Der Winter wird frostig für Kleinunternehmer – was könnte die Bundesregierung tun?

Die Temperaturen sinken, Covid-19-Fallzahlen steigen. Eine Strategie, die auf Vermeidung von Infektionen setzt, bis eine Immunisierung durch Impfung erreicht ist, wird nun herausgefordert und muss mit einer Eskalation der Gegenmaßnahmen reagieren. Grenzwerte, die schon bei Sommertemperaturen kaum zu halten waren, sind nun verbeitet dauerhaft und erheblich überschritten. Nur kurz sei nochmals darauf hingewiesen, dass auch andere Strategien möglich sind. Binnen Jahresfrist neu entwickelte Impfstoffe mit weitgehend unbekanntem Risikoprofil werden wohl allenfalls dieselbe Immunisierung erreichen wie eine Infektion (oft ohne Erkrankung), sodass jeder jenseits der Risikogruppe  abwägen sollte, ob eine solche Impfung tatsächlich einer Infektion vorzuziehen ist. Rational wäre es wohl, als Trittbrettfahrer zu agieren und zu versuchen, beides zu vermeiden. Sollen die anderen sich doch impfen oder infizieren. Geht man von einer derartigen Rationalität der Bevölkerung aus, so wird ein Ende der infektionsschutzbedingten Einschränkungen in Deutschland und Europa noch Jahre dauern. Vielleicht wird es erst erreicht, wenn sich die Politik mit der Präsenz des Virus und jährlichen grippeschutzähnlichen Impfkampagnen mit begrenzter Wirkung arrangiert.

SanInsFOG: Marktbereinigung durch Insolvenzrecht

Die perspektivisch auf Jahre fortdauernden Umsatzverluste in vielen Branchen werden in den kommenden Wochen bei vielen Unternehmen zu existenziellen Krisen führen. Die Bundesregierung reagiert hierauf im gestern veröffentlichten Regierungsentwurf des Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFOG) nicht mehr substanziell. Art. 10 sieht nur noch vor, von coronabedingten Umsatzverlusten betroffenen Unternehmen den Zugang zu Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung zu erleichtern. Der präventive Rahmen des StaRUG bleibt ihnen ab Insolvenzreife verwehrt. Die Bundesregierung hat sich damit entschlossen, die Marktbereinigungsfunktion des Insolvenzrechts zum Tragen kommen zu lassen. Auch corona-bedingt scheiternde Unternehmen sollen vom Markt verschwinden. Die Sanierungsoption einer Insolvenz, die ohne Zweifel im Grundsatz gegeben und unter normalen Marktbedingungen für viele Krisenunternehmen interessant ist, kann in diesem Winter für Corona-Krisenunternehmen kaum funktionieren. Insofern werden die kurzen Fristen relevant, die in Insolvenzverfahren zu beachten sind. Der Schutzschirm endet nach spätenstens drei Monaten mit einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Hier wird nach spätestens drei weiteren Monaten im Berichtstermin über das Schicksal des Unternehmens entschieden. Ein Unternehmen, dass – wie ein Hotel oder ein Restaurant – derzeit pandemiebedingt Umsatzeinbußen und daher kein tragfähiges Geschäftsmodell hat, wird im Frühjahr/Sommer 2021 voraussichtlich weiter unter denselben Einbußen leiden. Hier führt das Insolvenzverfahren im Regelfall zur Betriebsstilllegung. Sollte sich doch ein Käufer oder Investor finden, ändert dies selten etwas am Ausscheiden des Unternehmers. Insolvenzvermeidung wird für den Unternehmer damit das Gebot der Stunde bleiben.

Zugleich wird das neu reformierte Insolvenzrecht zur Restschuldbefreiung dazu führen, dass dieser Unternehmer nach der INsolvenz seiner Unternehmung erst nach drei Jahren, im Fall einer bereits einmal erlittenen Insolvenz aber auch erst nach insgesamt 16 Jahren von den Verbindlichkeiten befreit wird, die das coronabedingte Scheitern unbefriedigt lässt. Gründergeist und Unternehmentum werden hier bestraft.

Handlungsbedarf 1: Corona-Schutzschirm und Kurzarbeitergeld für Unternehmer

Die erste und dringendste gesetzgeberische Handlung im Angesicht massiver neuer Beschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit ist die Schaffung eines Corona-Schutzschirms für die in Art. 10 SanInsFOG definierten Unternehmen. Im Kern geht es um die Entzerrung der Fristen eines Insolvenzverfahrens. Ein Vorschlag zur Ausgestaltung ist umsetzungsfertig im Umlauf. Ein solcher Schutzschirm erlaubt es, die Zeit der Infektionsschutzmaßnahmen bei geringen oder fehlenden Umsätzen zu überstehen, während gleichzeitig durch die Notwendigkeit einer Antragstellung und der ggf. möglichen Bestellung eines Sachwalters bereits ordnungspolitische Aspekte des Insolvenzrechts zum Tragen kommen.

Begleitet werden muss die Möglichkeit zum „Überwintern“ im Schutzschirm von Hilfen, die nicht nur die Fixkosten des Betriebs adressieren, sondern auch den Lebensunterhalt des Unternehmers. Dass dieser nicht allein auf die sozialrechtliche Grundsicherung verwiesen wird, wie es derzeit im Maßnahmenpaket für Unternehmengegen die Folgen des Coronavirus unter Punkt III. vorgesehen ist, entspricht sogar insolvenzrechtlichen Prinzipien (§ 100 InsO). Das englische Hilfssystem kann insofern als Vorbild dienen. Als Gesamtkonzept entstünde so eine echte Überwinterungschance anstelle eines Zwangs zur „Beantragung von Insolvenz und Hartz-IV“.

Schließlich ist an dieser Stelle auch darauf hinzuweisen, dass die Marktbereinigung durch das Insolvenzrecht unter Bedingungen, in denen ganze Branchen und Unternehmenskluster gleichzeitig verschwinden, zu einem Strukturverlust führt, der nicht nur soziale Spannungen durch gebrochene Lebensläufe und „leere Innenstädte“ schafft, sondern auch die ökonomische Erholung bremst – was sich im Ostdeutschland der letzten 30 Jahre beispielhaft beobachten lässt.

Handlungsbedarf 2: Die schnelle automatische Entschuldung bei pandemiebedingtem Scheitern

Unternehmer und Unternehmerinnen, die angesichts der Lage aufgeben müssen oder sich gegen ein Überwintern entscheiden, sind in der Regel Menschen mit Unternehmergeist, Kreativität und Erfahrung. Ihnen sollte ein schneller Neustart mit neuen Projekten ermöglicht werden, wenn das Scheitern auf Umsatzeinbußen durch Pandemiemaßnahmen beruht. Eine zusätzliche Wohlverhaltensperiode erscheint hier als doppelte Bestrafung durch den Staat und ist volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Folgerichtig sollte Art. 10 des Regierungsentwurfs zum SanInsFOG um eine Regelung ergänzt werden, die wie folgt lauten könnte:

§ 6

Erleichterter Zugang zur Restschuldbefreiung

(1) Wird ein Insolvenzverfahren über einen Schuldner im Sinn des § 4 oder das Vertretungsorgan eines Schuldners im Sinne des § 4 eröffnet, so hat das Insolvenzgericht noch im Schlusstermin oder anlässlich einer Einstellung nach § 211 von Amts wegen über die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 zu entscheiden.

(2) Die §§ 288, 292-297, 298-300a finden keine Anwendung. Die Wirkungen der Restschuldbefreiung bestimmen sich nach den § 301 und 302. Für den Widerruf der Restschuldbefreiung gilt § 303 entsprechend.

 

Die Zeit drängt. Viele kleine Unternehmer erreichen in den kommenden Wochen das Ende finanzieller Reserven. Kreditaufnahmen – falls überhaupt möglich – würden ihre Situation nur verschlechtern. Spätestens nach Umsatzverlusten im Weihnachtsgeschäft müssen die benannten Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Ihre Aufnahme ins SanInsFOG und damit ein Inkrafttreten zum 1.1.2021 käme vielleicht gerade noch rechtzeitig.

 

2 Gedanken zu „Der Winter wird frostig für Kleinunternehmer – was könnte die Bundesregierung tun?

  • 22. November 2020 um 16:35 Uhr
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    Die Kälte für eigentümergeführte Unternehmen wird von der Liquidität bestimmt. Derzeit wird noch Geld geflutet, doch die Welle der Schulden baut sich auf. Die Emotionen liegen latent unterdrückt.

    • 24. November 2020 um 11:00 Uhr
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      Die Liquiditätsschwemme mag im Kredit- und Kapitalmarkt existieren und durch staatliche Hilfen noch verstärkt werden. Sie erreicht aber leider den kleinen Unternehmer – jedenfalls in Deutschland – weitgehend nicht. Und in der Tat steht die Liquidität in der Regel nur als Fremdkapital zur Verfügung. Sie führt dann nicht selten in die Überschuldung und bietet daher für Krisenunternehmen keine Lösung.

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