AcP 212 (2012), S. 251-295

Die Bruchteilsgemeinschaft als Gemeinschaft von Vollrechtsinhabern

 Die Diskussion über das Wesen der Bruchteilsgemeinschaft in § 741 BGB ist von Typisierungen geprägt. Mit der Bruchteilsgemeinschaft wird traditionell das Bild einer Zufallsgemeinschaft verbunden, die nur solange existieren soll, wie es zu einer geordneten Auseinandersetzung nötig erscheint. Ihre dogmatische Struktur ist zugleich primär unter dem Blickwinkel des Miteigentums untersucht worden, dem „klassischen“ Anwendungsfall der Bruchteilsgemeinschaft. Es verwundert insofern kaum, dass die Resultate dieser Überlegungen in römisch-rechtlichen Traditionen verfangen geblieben sind und der Vielfalt der Anwendungsfelder einer modernen Bruchteilsgemeinschaft des BGB kaum gerecht werden. Hier soll mit der Theorie von der Vielfalt der Vollrechte ein erneuter Denkanstoß gegeben werden.

Die Theorie von der Vielfalt der Vollrechte

Die Grundidee besteht darin, dass die Vervielfältigung der Rechtssubjekte in der Gemeinschaft gegenüber dem „Normalfall“ der Alleininhaberschaft des Rechts gerade nicht zu einer Teilung auf der Objektseite führt, sondern jeder Mitberechtigte Inhaber desselben ungeteilten Vollrechts ist (echte Vervielfachung). Die Besonderheit der Gemeinschaft besteht mithin allein in dem Umstand, dass es keinen Alleininhaber des Vollrechts im Sinne eines ungeteilten Rechts an der ganzen Sache gibt. Die Vielfalt der Personen setzt sich im Recht fort. Ihr „Anteilsrecht“ ist mithin kein mit dem Vollrecht wesensgleiches Etwas, sondern das Vollrecht selbst.

Diese Grundidee lässt sich für die Mehrzahl der Fälle eines gemeinschaftlichen Rechtes ohne dogmatische Verwerfungen durchführen, wie der Beitrag ausführlich aufzeigt. Für das Miteigentum bedeutet sie allerdings eine Abkehr vom römisch-rechtlichen Grundsatz des „et ait duorum dominium vel possessionem esse non posse“. Dies sollte jedoch nicht zur Aufgabe der Idee für alle Fälle einer Gemeinschaft zwingen, sondern zur Fortentwicklung des deutschen Rechts führen, das seine römischen Wurzeln nicht vergessen oder gar leugnen, aber sehr wohl relativieren darf und nicht als Fesseln begreifen muss.

Auf dieser dogmatischen Grundlage stellt sich die Gemeinschaft der §§ 741 ff. BGB als bloße Regelung der Binnenorganisation und der Koordination der Vollrechtskollision von rein schuldrechtlicher Natur dar. Sie fällt aus diesem Grunde nicht in den Anwendungsbereich des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes und kann daher einheitlich an mehreren Gegenständen entstehen.