Die finale Fassung des SanInsFoG steht – und tritt zum 1.1.2021 in Kraft

Der Deutsche Bundestag wird heute, am 17.12.2020, ab 13:10 Uhr in zweiter Lesung das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) beraten und verabschieden. Grundlage der Abstimmung ist eine Fassung, die nach den Beratungen im Rechtsausschuss entstanden ist und zum Teil erhebliche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf beinhaltet. Die wesentlichen Änderungen in der finalen Gesetzfassung lassen sich wie folgt beschreiben:

1. Änderungen im Restrukturierungsrahmen (StaRUG)

Die Änderungen, die das StaRUG durch den Rechtsausschuss erhalten hat, sind durch zwei Streichungen geprägt.

Zum einen entfällt der Abschnitt zur Vertragsbeendigung (§§ 51 ff. RegE) ersatzlos. Damit stehen bei Restrukturierungen in Deutschland weder die gerichtliche Vertragsbeendigung nach niederländischem Vorbild zur Verfügung, wie sie im Referentenentwurf vorgeschlagen und im Regierungsentwurf verwässert wurde, noch besteht die Option zur Regelung erst künftig fälliger Forderungen aus bestehenden gegenseitigen Verträgen im Plan nach englischem Vorbild, wie ich es im Rechtsausschuss angeregt hatte. Der Restrukturierungsrahmen wird so auf ein Instrument zur rein bilanziellen Restrukturierung von Stichtagsverbindlichkeiten reduziert. Die außergerichtliche Verhandlungen von laufenden Vertragsbeziehungen, insbesondere von Miet- oder Leasingverträgen, wird nicht unterstützt. Allerdings wird zum 1.1.2021 in solchen Fällen das BATNA nicht mehr nur aus der Wahl zwischen der Fortsetzung des Vertrags oder dem Gang zum Insolvenzgericht bestehen. Als dritte Option steht die Inanspruchnahme niederländischer Hilfen im Raum, die ohne eine Verlagerung des COMI, also ohne großen Aufwand, erreichbar und in Deutschland verwertbar sind. Es dürfte nur einiger erfolgreicher „Test“-Verfahren bedürfen, um die Diskussion um die Korrektur der späten Streichung dieses Instruments wiederzubeleben.

Zum anderen hat der Rechtsausschuss die Regeln zum Vorrang der Gläubigerinteressen ab dem Moment der drohenden Zahlungsunfähigkeit und die daran anknüpfende Organhafung (§§ 2 und 3 StaRUG) ersatzlos gestrichen. Das StaRUG greift damit nicht in Kernbereiche gesellschaftsrechtlicher Haftungsgrundsätze ein. Die weitreichende Prägung der Geschäftsführung durch insolvenzrechtliche Prüfungen entfällt. Dies ist sicher zu begrüßen, hätte aber auch zu naheliegenden Streichungen bei den Zugangshürden Anlass gegeben. Der im Grundkonzept des StaRUG verfolgte Geltungsanspruch insolvenzrechtlicher Prinzipien wird aber so zumindest an einer Stelle aufgeben. Es ist aber auch insgesamt kaum nachvollziehbar, warum insolvenzrechtliche Prinzipien nicht erst ab Insolvenzreife, sondern bereits bis zu zwei Jahre davor das Handeln der Beteiligten lenken sollen. Als dogmatische Grundlage taugt dieses Konzept wenig. Das Insolvenzrecht sollte diesen Regelungsbereich dem vertragsrechtlich geprägten Restrukturierungsrecht überlassen.

Die in der Begründung des StaRUG verfolgte dogmatische Fehldeutung begünstigt dann auch Irrwege des Gesetzgebers. So braucht es ohne eine Insolvenz eben keines kollektiv wirkenden Instrumentenkastens (kein common pool Problem), sodass die Verfahrenshilfen in Restrukturierungen auch keinen „quasi-kollektiven“ Charakter erhalten dürften. Das StaRUG zieht diese Grenze leider nicht, sodass es kaum verwundert, dass ein neuer § 93 nun für Fälle, in denen ein StaRUG-Verfahren aussieht wie ein Insolvenzverfahren, da es „gesamtverfahrensartige Züge“ aufweist, die Einsetzung eines „Gläubigerbeirats“ vorsieht, der dann wie ein Gläubigerausschuss agieren soll und insbesondere auch Gewerkschaftsvertreter einbezieht. An dieser Stelle besteht die Gefahr, dass ein Verfahren, das in der Öffentlichkeit vielleicht nicht mehr vom Insolvenzverfahren zu unterscheiden ist, bald auch die indirekten Kosten eines solchen Verfahrens erzeugt.

Zu bedauern ist, dass es nicht mehr gelang, Regelungen zur internationalen Zuständigkeit bei nicht-öffentlichen Verfahren zu ergänzen sowie die Sonder-Restrukturierungsbeauftragten zu entfernen oder aber näher zu definieren. Hier wird man auf Nachbesserungen nach einer Evaluierung hoffen müssen.

Immerhin findet sich im StaRUG weiter die Konzentration der Restrukturierungsgerichte und auch die Modularität und Flexibilität der Hilfen bleibt unangetastet. In der Summe findet sich im StaRUG damit immer noch ein moderner und flexibler Instrumentenkasten zur Begleitung und Finalisierung von Restrukturierungen außerhalb der Insolvenz. Deutschland macht hier einen bedeutenden Schritt hin zu einem modernen Restrukturierungsstandort. Nun bedarf es erster „Leuchtturm-Verfahren“, um die Funktionalität des neuen Rechts und der mit ihm umgehenden deutschen Institutionen zu verdeutlichen und so auch im Ausland zu signalisieren, dass wir in Deutschland nicht nur übertragende Sanierungen und Liquidationen in der Insolvenz können (World Bank Ranking), sondern auch Restrukturierungen.

2. Änderungen in der InsO-Modernisierung

Die Änderungen, die der Rechtsausschuss gegenüber dem Regierungsentwurf im Bereich der Insolvenzordnung vornimmt, fallen ebenfalls eher punktuell, aber erheblich aus.

Hervorzuheben ist die Aufweichung der Vorgaben zur Gerichtskonzentration in § 2 InsO. Hier hat sich der Bundesrat durchgesetzt. Bedeutsam ist auch die Erstreckung des § 55 Abs. 4 InsO auf die vorläufige Eigenverwaltung, die danach nicht mehr von steuerlichen Vorteilen profitiert. Den Sondersachwalter wird es in der InsO-Eigenverwaltung – im Gegensatz zu StaRUG-Verfahren – nicht geben.

3. Der Corona-Schutzschirm

Einen Schritt in die richtige Richtung macht der Rechtsausschuss auch in Sachen Corona-Schutzschirm. Hier wird Corona-Betroffenen nun die Möglichkeit eröffnet, über die bislang geltenden Regeln der InsO-Eigenverwaltung in ein Schutzschirmverfahren oder auch vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu gehen, selbst wenn bereits Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Damit steht den Betroffenen nun ein Schutzschirm in Eigenverwaltung offen. Was weiter fehlt, ist jede Regelung dazu, wie die Betroffenen im Verfahren weiter vorgehen sollen. So gilt etwa die Dreimonatsfrist des § 270b InsO. Vorzugswürdig dürfte insofern weiter eine passgenaue Regelung für Pandemiebetroffene sein – ein zeitlich begrenztes Pandemierecht, das mehr ist als nur das Zurverfügungstellen des Insolvenzrechts. Vorschläge hierzu finden sich auch in meiner Stellungnahme im Rechtsausschuss.

Der Winter wird frostig für Kleinunternehmer – was könnte die Bundesregierung tun?

Die Temperaturen sinken, Covid-19-Fallzahlen steigen. Eine Strategie, die auf Vermeidung von Infektionen setzt, bis eine Immunisierung durch Impfung erreicht ist, wird nun herausgefordert und muss mit einer Eskalation der Gegenmaßnahmen reagieren. Grenzwerte, die schon bei Sommertemperaturen kaum zu halten waren, sind nun verbeitet dauerhaft und erheblich überschritten. Nur kurz sei nochmals darauf hingewiesen, dass auch andere Strategien möglich sind. Binnen Jahresfrist neu entwickelte Impfstoffe mit weitgehend unbekanntem Risikoprofil werden wohl allenfalls dieselbe Immunisierung erreichen wie eine Infektion (oft ohne Erkrankung), sodass jeder jenseits der Risikogruppe  abwägen sollte, ob eine solche Impfung tatsächlich einer Infektion vorzuziehen ist. Rational wäre es wohl, als Trittbrettfahrer zu agieren und zu versuchen, beides zu vermeiden. Sollen die anderen sich doch impfen oder infizieren. Geht man von einer derartigen Rationalität der Bevölkerung aus, so wird ein Ende der infektionsschutzbedingten Einschränkungen in Deutschland und Europa noch Jahre dauern. Vielleicht wird es erst erreicht, wenn sich die Politik mit der Präsenz des Virus und jährlichen grippeschutzähnlichen Impfkampagnen mit begrenzter Wirkung arrangiert.

SanInsFOG: Marktbereinigung durch Insolvenzrecht

Die perspektivisch auf Jahre fortdauernden Umsatzverluste in vielen Branchen werden in den kommenden Wochen bei vielen Unternehmen zu existenziellen Krisen führen. Die Bundesregierung reagiert hierauf im gestern veröffentlichten Regierungsentwurf des Sanierungs-und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFOG) nicht mehr substanziell. Art. 10 sieht nur noch vor, von coronabedingten Umsatzverlusten betroffenen Unternehmen den Zugang zu Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung zu erleichtern. Der präventive Rahmen des StaRUG bleibt ihnen ab Insolvenzreife verwehrt. Die Bundesregierung hat sich damit entschlossen, die Marktbereinigungsfunktion des Insolvenzrechts zum Tragen kommen zu lassen. Auch corona-bedingt scheiternde Unternehmen sollen vom Markt verschwinden. Die Sanierungsoption einer Insolvenz, die ohne Zweifel im Grundsatz gegeben und unter normalen Marktbedingungen für viele Krisenunternehmen interessant ist, kann in diesem Winter für Corona-Krisenunternehmen kaum funktionieren. Insofern werden die kurzen Fristen relevant, die in Insolvenzverfahren zu beachten sind. Der Schutzschirm endet nach spätenstens drei Monaten mit einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Hier wird nach spätestens drei weiteren Monaten im Berichtstermin über das Schicksal des Unternehmens entschieden. Ein Unternehmen, dass – wie ein Hotel oder ein Restaurant – derzeit pandemiebedingt Umsatzeinbußen und daher kein tragfähiges Geschäftsmodell hat, wird im Frühjahr/Sommer 2021 voraussichtlich weiter unter denselben Einbußen leiden. Hier führt das Insolvenzverfahren im Regelfall zur Betriebsstilllegung. Sollte sich doch ein Käufer oder Investor finden, ändert dies selten etwas am Ausscheiden des Unternehmers. Insolvenzvermeidung wird für den Unternehmer damit das Gebot der Stunde bleiben.

Zugleich wird das neu reformierte Insolvenzrecht zur Restschuldbefreiung dazu führen, dass dieser Unternehmer nach der INsolvenz seiner Unternehmung erst nach drei Jahren, im Fall einer bereits einmal erlittenen Insolvenz aber auch erst nach insgesamt 16 Jahren von den Verbindlichkeiten befreit wird, die das coronabedingte Scheitern unbefriedigt lässt. Gründergeist und Unternehmentum werden hier bestraft.

Handlungsbedarf 1: Corona-Schutzschirm und Kurzarbeitergeld für Unternehmer

Die erste und dringendste gesetzgeberische Handlung im Angesicht massiver neuer Beschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit ist die Schaffung eines Corona-Schutzschirms für die in Art. 10 SanInsFOG definierten Unternehmen. Im Kern geht es um die Entzerrung der Fristen eines Insolvenzverfahrens. Ein Vorschlag zur Ausgestaltung ist umsetzungsfertig im Umlauf. Ein solcher Schutzschirm erlaubt es, die Zeit der Infektionsschutzmaßnahmen bei geringen oder fehlenden Umsätzen zu überstehen, während gleichzeitig durch die Notwendigkeit einer Antragstellung und der ggf. möglichen Bestellung eines Sachwalters bereits ordnungspolitische Aspekte des Insolvenzrechts zum Tragen kommen.

Begleitet werden muss die Möglichkeit zum „Überwintern“ im Schutzschirm von Hilfen, die nicht nur die Fixkosten des Betriebs adressieren, sondern auch den Lebensunterhalt des Unternehmers. Dass dieser nicht allein auf die sozialrechtliche Grundsicherung verwiesen wird, wie es derzeit im Maßnahmenpaket für Unternehmengegen die Folgen des Coronavirus unter Punkt III. vorgesehen ist, entspricht sogar insolvenzrechtlichen Prinzipien (§ 100 InsO). Das englische Hilfssystem kann insofern als Vorbild dienen. Als Gesamtkonzept entstünde so eine echte Überwinterungschance anstelle eines Zwangs zur „Beantragung von Insolvenz und Hartz-IV“.

Schließlich ist an dieser Stelle auch darauf hinzuweisen, dass die Marktbereinigung durch das Insolvenzrecht unter Bedingungen, in denen ganze Branchen und Unternehmenskluster gleichzeitig verschwinden, zu einem Strukturverlust führt, der nicht nur soziale Spannungen durch gebrochene Lebensläufe und „leere Innenstädte“ schafft, sondern auch die ökonomische Erholung bremst – was sich im Ostdeutschland der letzten 30 Jahre beispielhaft beobachten lässt.

Handlungsbedarf 2: Die schnelle automatische Entschuldung bei pandemiebedingtem Scheitern

Unternehmer und Unternehmerinnen, die angesichts der Lage aufgeben müssen oder sich gegen ein Überwintern entscheiden, sind in der Regel Menschen mit Unternehmergeist, Kreativität und Erfahrung. Ihnen sollte ein schneller Neustart mit neuen Projekten ermöglicht werden, wenn das Scheitern auf Umsatzeinbußen durch Pandemiemaßnahmen beruht. Eine zusätzliche Wohlverhaltensperiode erscheint hier als doppelte Bestrafung durch den Staat und ist volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Folgerichtig sollte Art. 10 des Regierungsentwurfs zum SanInsFOG um eine Regelung ergänzt werden, die wie folgt lauten könnte:

§ 6

Erleichterter Zugang zur Restschuldbefreiung

(1) Wird ein Insolvenzverfahren über einen Schuldner im Sinn des § 4 oder das Vertretungsorgan eines Schuldners im Sinne des § 4 eröffnet, so hat das Insolvenzgericht noch im Schlusstermin oder anlässlich einer Einstellung nach § 211 von Amts wegen über die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 zu entscheiden.

(2) Die §§ 288, 292-297, 298-300a finden keine Anwendung. Die Wirkungen der Restschuldbefreiung bestimmen sich nach den § 301 und 302. Für den Widerruf der Restschuldbefreiung gilt § 303 entsprechend.

 

Die Zeit drängt. Viele kleine Unternehmer erreichen in den kommenden Wochen das Ende finanzieller Reserven. Kreditaufnahmen – falls überhaupt möglich – würden ihre Situation nur verschlechtern. Spätestens nach Umsatzverlusten im Weihnachtsgeschäft müssen die benannten Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Ihre Aufnahme ins SanInsFOG und damit ein Inkrafttreten zum 1.1.2021 käme vielleicht gerade noch rechtzeitig.

 

CovInsAG II – Zeit für einen Corona-Schutzschirm

Der Koalitionsausschuss hat am 25. August beschlossen, dass von den Verlängerungsoptionen im CovInsAG nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht werden soll. Allein die „Regelung über die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung wird bis zum 31.12.2020 weiterhin ausgesetzt.“ [Hier der Gesetzentwurf.] Daraus folgt, dass nach der Rückkehr der Insolvenzantragsrechte der Gläubiger zum 29. Juni 2020 nun auch die uneingeschränkte Insolvenzantragspflicht für den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) zurückkehrt und dies bereits in vier Wochen – zum 1.10.2020. Auch ist zu beachten, dass Geschäftsleiter, die bereits heute wissen, dass eine Liquiditätslücke bis zum 30.9. (dem Ende des Aussetzungszeitraums) nicht zu schließen ist, auch unter Geltung des CovInsAG keine Befreiung von den Antragspflichten mehr genießen (hierzu der Blogbeitrag von Prof. Georg Bitter).

Die Begründung dieser zurückhaltenden und nach Insolvenzgründen differenzierenden Gesetzgebung folgt allein ordnungspolitischen Gesichtspunkten. Nach Auffassung der Bundesregierung würde es das Vertrauen in die Integrität des Marktprozesses erschüttern, würde man haftungsbeschränkten Gesellschaften mit akuten Liquiditätsproblemen weiter die Teilnahme am Markt erlauben. Die zusätzliche Insolvenzvorsorge führe zu erheblichen Belastungen des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs. Zugleich wird eine Aussetzung des Überschuldungstatbestands damit gerechtfertigt, dass die Pandemie nicht überwunden ist und für die kommenden Monate weiter corona-bedingte Beschränkungen des Wirtschaftsverkehrs erwartet werden, was insgesamt zu Unsicherheiten im Wirtschaftsgeschehen führt. Eine Fortbestehensprognose, auf die im Kern der geltende Überschuldungstatbestand basiert, ließe sich auf dieser Basis kaum erstellen. Dies ist sicher richtig, wird aber wohl auch für die Liquiditätsplanung gelten müssen.

Aus dem Beschluss des Koalitionsausschusses folgt damit, dass die Bundesregierung weiter die Strategie der Infektionsvermeidung verfolgt (zu den Alternativen siehe mein Working Paper aus dem Juli 2020), sodass die relevanten Entscheidungsträger – jedenfalls auf Bundesebene – über etwaige Beschränkungen des Wirtschaftslebens (insbesondere im Bereich Kultur, Unterhaltung und Freizeit) weiter ohne Rückkopplung an die Belastung des Gesundheitssystems entscheiden werden. Die bestehenden Beschränkungen bleiben folglich bestehen und werden im kommenden Winter wahrscheinlich noch verschärft werden. Auch ist mit einer flächendeckenden Impfung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Diese Umstände werden alle Unternehmen bei der Erstellung der Umsatzprognosen für die kommenden Monate beachten müssen.

Betrachtet man das Ergebnis des Koalitionsausschusses zum CovInsAG, so muss man leider feststellen, dass die Bundesregierung tausende deutsche Unternehmen weit vor der Bewältigung der Coronakrise aus rein ordnungspolitischen Überlegungen im Stich lässt. Der Regierungsentwurf verweist betroffene Unternehmen allein darauf, „sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote und im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren.“ Dies bedeutet, dass Einzelunternehmer zu Hartz IV-Empfängern werden, wenn sie nach Verbrauch aller Rücklagen (inklusive des Großteils der Altersvorsorge) mit ihrem Unternehmen zahlungsunfähig werden. Zugleich können sie über Fremdanträge auch dauerhaft ihre Existenz in einem Insolvenzverfahren verlieren. Größere Unternehmen sind darauf angewiesen, über staatliche Beteiligungen, Kredite oder Garantien die über den Sommer (mithilfe des CovInsAG und staatlicher Kredite) gesicherte Liquidität zu schonen (etwa durch Stundungen), zu refinanzieren oder zu restrukturieren. Hierfür stehen aber jenseits eines Insolvenzverfahrens nur außergerichtliche Verhandlungen zur Verfügung, ist doch mit der Einführung außerinsolvenzlicher Restrukturierungshilfen noch in diesem Jahr nicht zu rechnen.

Die Notwendigkeit eines kurzfristigen Corona-Schutzschirms

Wenn sich der Staat dazu entschließt, weiter den Wirtschaftsverkehr zu beschränken, so muss er angemessene Hilfestellungen für diejenigen anbieten, die durch diese Maßnahmen Einbußen erleiden. Mittel der Wahl ist dabei nicht die Schaffung von Restrukturierungshilfen im Rahmen der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie. Die Grundidee des Restrukturierungsrahmens liegt in der Identifizierung und Rettung von Unternehmen jeder Größe mit einem überlebensfähigen (profitablen) Geschäftsmodell. Gerade die Frage der Überlebensfähigkeit lässt sich aber für diejenigen Unternehmen derzeit nicht klar beantworten, die durch die Pandemie Einbußen erleben. Die Richtlinienumsetzung kann es diesen Unternehmen sicher – wie anderen Krisenunternehmen – erleichtern, eine Restrukturierung zu verhandeln. Sie sollte insofern auch wegen der Pandemie zeitnah erfolgen. Eine passgenaue Antwort auf die Corona-Herausforderungen bietet sie aber nicht. Auch kommt sie für Unternehmen zu spät, denen in den kommenden Wochen die Liquidität ausgeht.

Die Bundesregierung sollte daher noch zum 1.10.2020 einen Corona-Schutzschirm gesetzlich verankern (hierzu schon mein Blogbeitrag im April). Ein solcher Schutzschirm sollte nur noch denjenigen Unternehmen und Unternehmensleitern helfen, die unter den andauernden Einschränkungen der Pandemiebekämpfung leiden, indem ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, die Pandemie unter gerichtlichem Schutz zu überstehen und mittelfristig in den Wirtschaftskreislauf zurückzukehren.

Die Grundstrukturen eines Corona-Schutzschirms

Der Schutzschirm ist ein gerichtlich angeordnetes Moratorium. Vorbilder finden sich etwa im englischen oder auch im schweizer Recht.

Das Moratorium gewährt dem Schuldner folgende Handlungsoptionen:

  • „Überwintern“ der Krisenzeit und Rückkehr zur Rentabilität nach dem Ende der Pandemie ohne besondere Maßnahmen zur Schuldenregulierung
  • Atempause zur Verhandlung einen Schuldenlösung und deren Verankerung auf freiwilliger Basis (außergerichtlicher Vergleich) oder in einem Restrukturierungsplan (nach der Richtlinienumsetzung)
  • Atempause zur Verhandlung einen Schuldenlösung und deren Verankerung über einen Insolvenzplan im eröffneten Insolvenzverfahren
  • Atempause und Betriebsveräußerung oder Stilllegung ohne anschließende Insolvenz
  • Atempause und Betriebsveräußerung oder Stilllegung in der Insolvenz und schneller Entschuldung des Unternehmers

Die Inanspruchnahme des Moratoriums müsste als Erfüllung der wieder aktivierten Insolvenzantragspflicht gelten, auch wenn der Antrag auf ein Moratorium zunächst nicht als formeller Insolvenzantrag anzusehen ist.

Der Zugang zum Moratorium wäre auf Unternehmen zu beschränken, die durch die Pandemie Umsatzeinbußen erleiden.

  • Der Schuldner darf zum 31. Dezember 2019 weder überschuldet noch zahlungsunfähig gewesen sein.
  • Die Umsatzerlöse müssen seit März 2020  im Vergleich zum den entsprechenden Monaten im Jahr 2019 erheblich eingebrochen sein.

Diese Voraussetzungen sind – in Anlehnung an § 270b InsO, aber auch an die Verfahren bei Gewährung von Überbrückungshilfen – von einem Steuerberater (etwa bei kleinen Unternehmen), einem Wirtschaftsprüfer (bei größeren Unternehmen) oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bescheinigen und diese Bescheinigung ist dem Antrag beizufügen.

Die notwendige Dauer des Moratorium lässt sich kaum sinnvoll vorab prognostizieren, da unklar ist, wann wieder ein beschränkungsfreier Wirtschaftsverkehr möglich ist. Das Moratorium sollte daher zunächst für sechs Monate angeordnet und dann auf Antrag des Schuldners jeweils um weitere drei oder sechs Monate verlängert werden, wobei sich die Anforderungen an einer Verlängerung jeweils verschärfen, um einen Missbrauch zu verhindern. So könnte für die erste  Verlängerung verlangt werden, dass die erneut vorzulegende, aktualisierte Bescheinigung dahingehend zu erweitern ist, dass eine Wiederaufnahme des stillgelegten Geschäftsbetriebs sowie eine  Wiederherstellung der Rentabilität des Geschäftsbetriebs bei Aufhebung aller coronabedingten Maßnahmen nicht offensichtlich aussichtslos ist. Für weitere Verlängerungen könnte zusätzlich verlangt werden, dass die Bescheinigung durch einen Unternehmensberater oder zertifizierten Insolvenzverwalter erfolgt, um die umfassende Prüfung des Geschäftsmodells und aller Handlungsoptionen zur Beendigung des Moratoriums durch externen Sachverstand sicherzustellen. Eine vorzeitige Aufhebung muss auf Antrag des Schuldners möglich sein, wenn dieser eine Lösung für seine Lage verhandelt hat (etwa in Form einer Unternehmensveräußerung, eines außergerichtlichen Vergleichs oder eines Restrukturierungsplans). Eine Umwandlung in ein reguläres Eröffnungsverfahren findet statt, sobald der Schuldner dies beantragt oder aber das Moratorium ohne Verlängerung endet (im letzteren Fall kann der Schuldner seinen nun als Eröffnungsantrag behandelten Moratoriumsantrag nach § 13 Abs. 2 InsO zurücknehmen).

Die Wirkung des Corona-Schutzschirms besteht in denen eines Moratoriums analog § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Das ständige Nachverhandeln von Stundungen wird überflüssig; zugleich wird durch die kurze Laufzeit und die Anforderungen an Verlängerungsanträge verhindert, dass sich der Schuldner unter dem Schutzschirm ausruht.

Die Folgen einer Insolvenzantragstellung (jenseits der Erfüllung einer Antragspflicht) werden im Übrigen nicht ausgelöst. Der Schuldner behält die Geschäftsführung über sein Unternehmen und kann keine Masseverbindlichkeiten begründen. Ihm sollte aber verboten werden, auf durch das Moratorium betroffene Forderungen zu leisten, es sei denn, solche Leistungen sind für die Aufrechterhaltung des (Krisen-)Geschäftsbetriebs erforderlich. Im letzteren Fall sollte eine Anfechtbarkeit in der Folgeinsolvenz ausgeschlossen sein. Für Unternehmen jenseits der Schwelle des § 22a Abs. 1 InsO könnte man auch die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und eines vorläufigen Gläubigerausschusses andenken, deren Aufgabe darin bestünde, im Moratorium Sanierungsoptionen zu prüfen und zu verhandeln.

Schnelle Entschuldung bei nachweislich corona-bedingtem Scheitern als Unternehmer

Der Corona-Schutzschirm sollte gerade für Einzelunternehmer nicht die einzige Hilfestellung bleiben. Das unternehmerische Scheitern mit einem Unternehmen, das bis zur Ergreifung der pandemiebedingten Maßnahmen der Politik rentabel war, sollte nicht dadurch doppelt bestraft werden, dass eine Restschuldbefreiung erst nach Ablauf der gesetzlichen Wohlverhaltensperiode eintritt und in dieser „verdient“ wird. Stattdessen sollte Unternehmern, die pandemiebedingt scheitern und ein Insolvenzverfahren durchlaufen, mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch automatisch eine Restschuldbefreiung zuteil werden. Stellen sich im Nachhinein Umstände heraus, die gegen die Redlichkeit des Schuldners sprechen, so genügt für diese Sonderfälle die Möglichkeit des nachträglichen Widerrufs der Restschuldbefreiung.

Covid-19 – Was wird aus dem COVInsAG?

Die Laufzeit insolvenzrechtlicher Sonderregeln des COVInsAG endet im September 2020. Es muss also noch in diesen Wochen diskutiert werden, ob diese Regelungen weiter in Kraft bleiben. Konkret geht es darum, ob das BMJV von der Verordnungsermächtigung in Art. 1 § 4 COVInsAG und Art. 240 § 4 EGBGB Gebrauch machen sollte.

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie die Politik in den kommenden Monaten und vielleicht Jahren mit der Präsenz des SARS-CoV-2 Virus umgehen wird. Das unten abrufbare Working Paper beginnt die Überlegungen daher mit einer Analyse der Prämissen des COVInsAG (I.) und der derzeit dominierenden Strategie in Politik und Gesellschaft im Umgang mit der Pandemie (II.). Auf dieser Grundlage wird eine Überführung der COVInsAG-Regelungen in ein Pandemie-Sonderrecht befürwortet, das von der parallelen Verbesserung der Instrumente in Insolvenz- und Restrukturierungsfällen begleitet werden muss (III.).

Die Analyse macht deutlich, dass die derzeit herrschende Strategie der Infektionsvermeidung die Dauer der Pandemie auf unbestimmte Zeit verlängert und einen Schwebezustand erzeugt, in dem für Eingriffe in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nur geringe Schwellen bestehen, sodass mit solchen Eingriffen in vielen Wirtschaftsbereichen weiter zu rechnen ist; manche Branchen (etwa das Veranstaltungs- oder Reisegewerbe) werden mittelfristig dauerhaft Beeinträchtigungen hinnehmen müssen. Hierauf ist nicht mehr mit einem Notstandsgesetz – wie dem COVInsAG – zu reagieren. Es bedarf vielmehr eines Pandemiegesetzes, das für diesen längeren Zeitraum Überbrückungshilfen passgenau anbietet. Zugleich sind pandemiebedingte Marktaustritte und Restrukturierungen zu erleichtern. Durch staatliche Eingriffe erzeugte Sonderopfer sollten durch schnelle Entschuldungen und effiziente Restrukturierungshilfen begrenzt werden. Die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie und der ESUG-Reformen sollten daher noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.

Die Einzelheiten finden sich in diesem Working Paper (Stand 6. Juli 2020).

Ein zitierfähiger Abdruck des Working Paper ist in der ZInsO erschienen (Madaus, ZInsO 2020, 1693).

Das „Dutch Scheme“ nimmt die erste Hürde im Parlament

Am 26. Mai 2020 hat die Zweite Kammer (Tweede Kamer) des Niederländischen Parlaments das Gesetz verabschiedet, das ein Restrukturierungsverfahren in den Niederlanden verankern wird, welches auch als „Dutch Scheme“ bekannt ist. Eine inoffizielle Übersetzung der verabschiedeten Fassung findet sich hier. Das Gesetz (Wet homologatie onderhands akkoord – WHOA”) bedarf nun noch der Zustimmung des Senats (Eerste Kamer), die in den kommenden Wochen erfolgen soll, da das Gesetzgebungsverfahren als eilbedürftig zur Corona-Folgenbekämpfung eingestuft wurde. Das Verfahren könnte damit schon im Sommer zur Verfügung stehen.

Verfahrensziel

Das Dutch Scheme kombiniert Elemente des US Chapter 11-Verfahrens und des englischen Scheme of Arrangement mit den Ideen des Europäischen Präventiven Restrukturierungsrahmen der Richtlinie.

In seinem Kern dient es – wie der Name WHOA deutlich macht – allein der gerichtlichen Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Akkoord), dem am Ende der Verhandlungen nicht alle Beteiligten zustimmen. Dabei bestimmt der Schuldner den Kreis derjenigen, die vom Plan erfasst werden, während die nicht Betroffenen keine Rechtseinbußen erleiden. Im Plan sind die betroffenen Rechte Gruppen zuzuordnen. Das Gericht darf den Plan bestätigen, wenn in jeder Gruppe eine Zweidrittel-Summenmehrheit erreicht wird und der Plan die Rechte der Minderheit hinreichend berücksichtigt. Stimmen nicht alle Gruppen mit der notwendigen Mehrheit zu, so ist unter bestimmten Voraussetzungen ein Cross-Class-Cramdown möglich.

Verfahrensablauf

Die Entwicklung und Verhandlung des Plans liegt in der Hand des Schuldners und kann vollständig außergerichtlich und vertraulich erfolgen (out-of-court workout). Im Idealfall gelingt die Sanierung außergerichtlich. Treten hingegen Akkordstörer auf, so kann eine Minderheit durch Vorlage des mehrheitlich gewollten Plans bei Gericht im Wege der gerichtlichen Bestätigung gebunden werden.

Stören einzelne Gläubiger schon den Verhandlungsprozess durch (die Androhung von) Vollstreckungshandlungen, so kann sich der Schuldner auch bereits zu diesem Zeitpunkt an das Gericht wenden, um eine Aussetzung der Vollstreckung oder auch eine generelle präventive „Atempause“ (Schutzschirm) zu erreichen, die maximal vier Monate dauern kann und auf maximal acht Monate verlängerbar ist.

Das Initiativrecht für die Planerstellung und -vorlage sowie für die Atempause liegt beim Schuldner. Über sein Tätigwerden informiert er das Gericht informell, woraufhin dieses für den Fall seiner offiziellen Befassung eine Akte anlegt und für ein Jahr bereithält.

Bleibt der Schuldner in der Krise untätig, können Gläubiger, Gesellschafter, aber auch Arbeitnehmervertreter bei Gericht die Bestellung eines Restrukturierungsexperten beantragen, der dann die Planerstellung initiiert und begleitet, den Plan aber auch nur im Einvernehmen mit dem Schuldner bei Gericht einreichen kann.

Soweit ein Gericht am Verfahren offiziell beteiligt wird, kann dies wahlweise vertraulich oder öffentlich verhandeln. Folgerichtig unterliegt das jeweilige Verfahren bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nur wahlweise dem Anwendungsbereich der EuInsVO, die nur öffentliche Verfahren erfasst, und soll für diese Fälle im Anhang A erscheinen. Welchem Regime die vertraulichen Verfahren unterliegen, ist unklar. In Betracht kommen die EuGVVO (Brüssel Ia-VO), aber auch die nationalen Regeln über die Zuständigkeit und Anerkennung von ausländischen Insolvenzverfahren oder Zivilprozesse.

Minderheitenschutz

Bemerkenswert am niederländischen Gesetzgebungsverfahren war insbesondere die fortgesetzte Fachdiskussion über das richtige Maß an Minderheitenschutz im WHOA, insbesondere im Fall eines Cramdown.

Ungesicherte Gläubiger dürfen nach dem Plan nicht schlechter stehen als im Fall einer Liquidation (best interest test mit Liquidationsszenario als Maßstab). Dabei darf der Plan gesicherten Gläubigern aufgrund des Sicherungsrechts nur den Liquidationswert der Sicherheit zusprechen.

Cross-Class Cramdown

Haben nicht alle Gruppen dem Plan mit hinreichender Summenmehrheit zugestimmt, so kann der Plan nur bestätigt werden, wenn die Voraussetzungen eines Cross-Class Cramdwon gegeben sind. Hierzu muss mindestens eine Gruppe dem Plan zugestimmt haben, die im Liquidationsfall einen Wert erhalten hätte.

Wesentliche Voraussetzung des Cramdown ist die Einhaltung der Vorrangregel durch den Plan. In der finalen Fassung des WHOA findet sich dabei nicht mehr die noch im Vorschlag verankerte strenge „Absolute Vorrangregel“ nach amerikanischen und deutschen Vorbild. Dies überrascht, wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz gerade niederländische Stimmen die Übernahme dieser Regel in die Restrukturierungsrichtlinie gefordert haben. Das niederländische Parlament entschied sich in einer gesonderten Beschlussfassung dennoch gegen die strikte Version der Vorrangregel. Das WHOA sieht stattdessen vor, dass das Gericht den Plan auch gegen den Widerstand einer ablehnende Gruppe bestätigen darf, wenn neben den Voraussetzungen des Minderheitenschutzes auch die der Absoluten Vorrangregel erfüllt sind, es sei denn, ein Abweichen von dieser Regel ist sachgerecht und verletzt nicht die Interessen der hiervon betroffenen Gläubiger und Gesellschafter. Dabei hat es das Parlament explizit abgelehnt, die Gründe für dieses Abweichen numerativ aufzuzählen und so einzugrenzen. Die so entstandene Vorrangregel ähnelt stark der „relaxed“ absolute priority rule aus den Vorschlägen, die Bob Wessels und ich schon 2017 in unserer Untersuchung für das European Law Institute gemacht haben und die ich auch für die deutsche Richtlinienumsetzung propagiert habe. Eine vergleichbare Regelung sollte auch endlich die zu unflexible Regel in § 245 Abs. 2 InsO ersetzen, wie es auch schon der Evaluationsbericht zum ESUG anregt. Im Ergebnis lässt sich so eine ähnliche Flexibilität erreichen, wie sie die Relative Priority Rule bietet, zumal sich die „Sachgerechtigkeit“ des Abweichens vom absoluten Vorrang an Kriterien messen lassen muss, die eben auch für die Relative Priority Rule diskutiert werden, insbesondere das Diskriminierungsverbot.

Ein Cross-Class-Cramdown scheidet nach dem WHOA zudem aus, wenn der Plan  einer ablehnenden Gruppe kleinerer ungesicherter Gläubiger (MSME creditors) mit Forderungen aus Lieferungen oder Delikt eine Quote von weniger als 20% bietet, soweit nicht zwingende Gründe dies diktieren. So soll die Beteiligung dieser vulnerablen Gläubiger am Reorganisationswert garantiert werden.

Schließlich muss der Plan allen ablehnenden Gruppen außer Sicherungsrechten eine Cash-out-Option zum Liquidationswert anbieten, um sie doch an den Plan zu binden. Gesicherten Gläubigern muss der Plan mindestens zwei Befriedigungsoptionen zur Wahl stellen, um auch ohne ihre Zustimmung bestätigt zu werden.

Gerade in diesem Zusammenhang kann es entscheidend sein, dass der Schuldner schon im Verhandlungszeitraum eine verbindliche Vorabentscheidung des Gerichts über Teilaspekte der Restrukturierung beantragen kann. Hierdurch steigt die Planungssicherheit.

Besonderheit 1: die Anpassung von Dauerschuldverhältnissen

In Anlehnung an das englische Company Voluntary Arrangement (CVA) erlaubt das WHOA nicht nur eine Anpassung der Passivseite der Bilanz, sondern auch eine Einwirkung auf laufende und nicht kurzfristig kündbare Dauerschuldverhältnisse wie Miet- oder Leasingverträge. Dabei wird dem Plan nicht wie beim CVA erlaubt, eine Anpassung der Preise oder Laufzeiten vorzunehmen. Stattdessen gewährt das WHOA dem Schuldner für den Fall des Scheiterns von Anpassungsverhandlungen ein Sonderkündigungsrecht, das allerdings gerichtlich ausgeübt werden muss. Die Entscheidung hierüber hat das Gericht dann im Rahmen der Planbestätigung zu treffen, sodass die Kündigung mit Inkrafttreten des Plans bzw. zu einem gerichtlich bestimmten Zeitpunkt binnen dreier Monate nach der Planbestätigung wirkt. Auf diese Weise wird dem Schuldner eine wirkungsvolle Nichteinigungsalternative für Verhandlungen mit Vertragspartnern in die Hand gegeben. Die Beurteilung der Angemessenheit einer einseitigen Vertragsbeendigung liegt im Ermessen des Gerichts. Die Interessen des Vertragspartners werden durch einen Schadenersatz wegen Nichterfüllung berücksichtigt, der allerdings zum Gegenstand des Restrukturierungsplans gemacht werden kann.

Besonderheit 2: Third Party Release in Konzernrestrukturierungen

Als weitere Besonderheit erlaubt das WHOA dem Restrukturierungsplan, bei Konzernsachverhalten auch die Befriedigung der Gläubiger aus Sicherungsrechten gegenüber anderen Konzerngesellschaften mitzuregeln. Voraussetzung für eine Anpassung ist allerdings, dass auch die anderen Konzerngesellschaften in Schwierigkeiten sind und insofern sich der Gesamtlösung anschließen.

Covid-19: Insolvenzgesetzgeber bewegen sich (langsam) in die richtige Richtung

[UPDATE 25.3.2020]

Es setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass diese Pandemie nicht durch kurzfristige Einschränkungen bis Ostern bewältigt werden wird. Geschäfte werden länger schließen, Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland länger fehlen, der Ausnahmezustand wird Wochen dauern. Die wirtschaftlichen Folgen wird man mit staatlichen Finanzhilfen vielleicht in Deutschland, nicht aber in anderen EU-Mitgliedstaaten abfedern können. Zehntausende Unternehmen werden also durch gesundheitspolitische Maßnahmen in die materielle Insolvenz gedrängt werden.

Ökonomen erwarten in dieser Situation, dass nationale Gesetzgeber verhindern, dass die politik-bedingte Insolvenz zu Liquidationen und damit zum Verlust von Unternehmen und Arbeitsplätzen führt. Insolvenzverfahren seien zu verhindern; die Unternehmen müssten „überwintern“ dürfen. Auf diesen Wunsch hin sind in der letzten Woche Regelungsmodelle entwickelt worden – sowohl in Deutschland als auch auf der europäischen Ebene (siehe das CERIL Statement zu Covid-19). Inzwischen haben auch die ersten Gesetzgeber reagiert.

Deutschland

In Deutschland ist am 23.3.2020 ein Gesetzgebungsvorschlag durch die Regierung verabschiedet worden, der weit über den noch in der Vorwoche angedachten Minimalansatz hinausgeht. Der neue Gesetzesentwurf folgt den Vorschlägen aus Wissenschaft und Wirtschaft. Kernpunkte sind:

  • ein bis zum 30.9.2020 geltendes Moratorium in Form eines materiellrechtlichen Leistungsverweigerungsrechts gegenüber Forderungen aus vor dem 8.3.2020 geschlossenen „wesentlichen Dauerschuldverhältnissen“ bei Covid-19-bedingter Leistungsunfähigkeit oder Unzumutbarkeit. Dieses Recht soll zumindest Verbrauchern und Kleinstunternehmern zur Verfügung stehen; in einem früheren Entwurf stand es noch allen Schuldnern für jegliche Forderungen zu. Ausgenommen sind jedenfalls Leistungen aus Arbeits-, Miet-, Pacht- und Darlehensverträgen.
  • Beschränkungen vertraglicher Kündigungsrechte bei Covid-19-bedingten Zahlungsrückständen im Miet- und Verbraucherdarlehensrecht.
  • eine grundsätzliche Aussetzung der Insolvenzantragspflichten aus § 15a InsO bis 30.9.2020 – verlängerbar bis 31.3.2021. Es wird nun vermutet, dass die Insolvenz auf Covid-19-Maßnahmen beruht, insbesondere wenn der Schuldner am 31.12.2020 noch zahlungsfähig war. Für den Zeitraum der Aussetzung entfällt auch die Haftung für Zahlungen in der Insolvenzreife sowie die Haftung für und Anfechtbarkeit von Sanierungskrediten ohne Sanierungsfähigkeitsprüfung inklusive Gesellschafter-darlehen und deren Besicherung.
  • keine Verfahrenseröffnung aufgrund eines Gläubigerantrags, es sei denn, der Eröff-nungsgrund lag schon vor dem 1.3.2020 vor.
  • die Einführung virtueller Gesellschafter- und Hauptversammlungen auch ohne ent-sprechende Satzungsbestimmung.
  • die Hemmung der Verjährung in Strafverfahren bei Covid-19-bedingtem Stillstand der Rechtspflege.

Die beschlossenen Maßnahmen bewegen sich weitgehend auf dem Boden der hier vorgeschlagenen Maßnahmen und schaffen für ein halbes Jahr Planungssicherheit. Sie sind insoweit zu begrüßen (ebenso Prof. Dr. Georg Bitter). Allerdings sollten das Moratorium und die Kündigungsbeschränkungen wie in früheren Entwürfen vorübergehend allen von der Krise betroffenen Schuldnern gegenüber allen nicht erfüllbaren Zahlungspflichten zugute kommen (ebenso der Gravenbrucher Kreis). Die Härtefallklausel schützt verletzliche Gläubiger hinreichend. Kritikwürdig scheint auch die Vermutungsregelung bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, lässt diese doch einen Rest an Unsicherheit und damit Haftungsrisiko bestehen. Andere Länder normieren hier klarer.

Vor allem fehlt bislang eine Regelung zu Zahlungsrechten des im Moratorium geschützten Schuldners. In der Vorwoche hatte ich ein Zahlungsverbot jenseits existenzieller Verträge vorgeschlagen, was insbesondere bei staatlichen Hilfszahlungen an das Unternehmen (nicht den Unternehmer – etwa zu Sicherung seines Unterhalts) wichtig ist, um deren Abfließen zu verhindern. Der Gesetzentwurf enthält hierzu nichts und wird insoweit zu Recht vehement kritisiert. Hier wird man nachbessern müssen.

Im nächsten Schritt muss dann die Umsetzung der ESUG-Reform und der Restruktu-rierungsrichtlinie erfolgen. Präventive Restrukturierungshilfen nicht-kollektiver Art werden gerade auch im Rahmen des Wiederanfahrens der Wirtschaft benötigt werden. Effizientere ESUG-Insolvenzverfahren mit ihren weitreichenden Sanierungsinstrumenten werden wir wohl auch schon in der Krise benötigen.

Italien

In Italien ist noch nichts passiert; es herrscht Rechtsstillstand. Es wird erwogen, das Inkrafttreten des grundlegend reformierten Insolvenzrechts zum 1.8.2020 zu verschieben.

Spanien

Die spanische Regierung hat die Insolvenzantragspflichten für Schuldner und die Insolvenzantragsrechte für Gläubiger für die Dauer des Notstandes  per Dekret ausgesetzt. Dabei wurde auch die Möglichkeit für virtuelle Gesellschafterversammlungen geschaffen.

Schweiz

Die Schweiz hat für die Zeit vom 19.3. bis 4.4.2020 den Rechtsstillstand angeordnet, sodass weder Zwangsvollstreckungen noch Insolvenzverfahren möglich sind.

Österreich

In Österreich wurde bislang nur der Zeitraum, binnen dessen nach Eintritt eines Insolvenzgrundes der Antrag zu stellen ist, von 60 auf 120 Tage verlängert.

Slowenien

Slowenien folgt dem Vorbild der Schweiz und reagiert auf die Krise bislang nur mit einem Insolvenzschutz durch Rechtsstillstand. Alle Antragspflichten und Haftungsregeln bleiben in Kraft.

Niederlande

In den Niederlanden haben bislang nur die Banken reagiert und eine sechsmonatige Stundung von Krediten mit einem Maximalbetrag von 2,5 Mio. Euro angeboten. Der Gesetzgeber behandelt ohnehin gerade die Neuregelung des Restrukturierungsrechts, sodass erwartet wird, dass dieses Reformgesetz beschleunigt in Kraft tritt.

Belgien

In Belgien vertraut man in auf die vorhandenen Instrumente des Restrukturierungsrechts, um Schuldnern in Zahlungsschwierigkeiten zu helfen.

Großbritannien

In Rechtsordnungen ohne Insolvenzantragspflichten wie Großbritannien fokussiert man sich auf Finanzhilfen für betroffenen Unternehmen. Gerichte bleiben virtuell erreichbar, um Restrukturierungen möglich zu machen.

 

Fazit

Das Insolvenzrecht kann keine Wunder bewirken – erst recht nicht, wenn es suspendiert wird. Unternehmen brauchen Umsätze, um zu überleben. Sie dürfen in der Zeit, in der sie durch den Staat gehindert werden, diese Umsätze zu erzielen, nicht durch einen Zwang zur Kreditaufnahme überschuldet werden. Jedenfalls wird man diese Zwangskredite nach der Krise erleichtert restrukturieren, ja entschulden müssen. Dafür müssen möglichst bald die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen in der Insolvenz- und ggf. einer neuen Restrukturierungsordnung geschaffen werden. Planungssicherheit ist essenziell.

Die Politik muss schließlich darauf hingewiesen werden, dass ökonomische Verluste, also Wohlfahrtseinbußen, auch den Verlust von Menschenleben bedeuten (siehe die Studie für Schweden, also ein Land, das mit unserem Sozialstaat vergleichbar ist). Die gegenwärtige Tendenz, bei der Anordnung von freiheitsbeeinträchtigenden, ja existenzvernichtenden Maßnahmen ohne gesicherte Effektivität Wohlfahrtsverluste ohne Weiteres hinzunehmen, ist bedenklich. Differenziertere Schutzmaßnahmen, die sich auf die Schutzbedürftigen fokussieren, sollten zumindest – wie in anderen Mirgliedstaaten – ernsthaft erwogen werden.

Covid-19: Die bedingte Aussetzung der Insolvenzantragspflichten genügt nicht

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz reagiert auf von der Politik geschaffene Sondersituation und die so sicher bevorstehende Rezession  in einer Pressemitteilung vom 16.3.2020 sehr vorsichtig und nur durch die Wiederholung erprobter Maßnahmen. Wie schon in den Hochwasserkatastrophen 2002, 2013 und 2016 ist bislang nur eine gesetzliche Regelung zur bedingten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.09.2020 vorgesehen, die durch das BMJV durch Verordnung bis zum 31.03.2021 verlängert werden kann. Damals lautete die Regelung in § 1 des Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasser- und starkregenfallbedingter Insolvenz wie folgt:

„Beruht der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle und Hochwasser im Mai und Juni 2016, so ist die nach § 15a der Insolvenzordnung bestehende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen, längstens jedoch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2016.“

Nun scheint nach dem Wortlaut der Pressemitteilung angedacht, die Aussetzung der Antragspflichten davon abhängig zu machen, dass „der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht und dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen bzw. ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen.“

Diese Bedingung wird der Sondersituation nicht gerecht (ebenso Prof. Dr. Georg Bitter). Anders als bei einem Hochwasser treffen die Maßnahmen, die derzeit mit Bezug auf die Virusverbreitung getroffen werden, unmittelbar – und vor allem mittelbar – alle Unternehmen in Deutschland. Stornierungen und Auftragsrückgänge sind dabei nicht immer nachweisbar auf die Epidemie zurückzuführen, etwa wenn Auftraggeber Bestellungen stornieren, um ihre Liquidität angesichts der krisebbedingten Unsicherheiten zu sichern. Die verlangte Kausalität zu den Auswirkungen der Epidemie ist insofern entweder stets zu bejahen oder aber einer ex-post Betrachtung in späteren Insolvenzen-/Haftungsprozessen zu unterwerfen, die ex ante in den nächsten Wochen dazu führen wird, dass vorsichtshalber doch lieber Insolvenzanträge gestellt werden. Die Regelung verliert so ihre Wirkung.

Einen Fehlanreiz setzt dann auch noch die zweiten Voraussetzung. Das Führen von Sanierungsverhandlungen oder die Beantragung öffentlicher Hilfen ist sicher ein Indiz für das Vorliegen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, nicht aber für begründete Aussichten auf eine Sanierung. Insoweit passen die geforderten Indizien nicht zum gewünschten Ziel. Vor allem aber begründet die zweite Voraussetzung faktisch einen Zwang zur Beantragung von Mitteln bzw. zur Aufnahme von Verhandlungen, um angesichts der derzeitigen Prognoseunsicherheiten eine Suspendierung der Antragspflichten rechtssicher zu erreichen. Auch Unternehmer, denen es eigentlich möglich wäre, ohne staatliche Hilfe oder Finanzierungsverhandlungen die Zeiten der Unsicherheit zu überstehen, werden so zu solchen Maßnahmen gezwungen. Dieser Anreiz sollte vermieden werden.

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Die Überlegungen des BMJV gehen in die richtige Richtung, sollten aber entschiedener ausfallen als in vergangenen – vergleichsweise regionalen – Hochwasserkrisen. Ich habe hierzu Vorschläge gemacht. Eher in Richtung der Förderung von Finanzierungshilfen gehen die Anregungen von Prof. Dr. Georg Bitter, der insofern vor allem Bedarf für Korrekturen im Bereich des Anfechtungsrechts sieht (ähnlich sehen erste Überlegungen der TMA Deutschland aus). Die Niederlande hatten gute Erfahrungen mit einem gesetzlichen Moratorium in Kombination mit einem Hilfsfonds angesichts einer verheerenden Überschwemmung im Februar 1953. Entsprechende Regelungen sollten nun auch für Deutschland vorbereitet werden. So fordet nun auch der Gravenbrucher Kreis schnelle Liquiditätshilfen. Die Selektions- und Marktaustrittsfunktion des Insolvenzrechts kann dann wieder einsetzen, wenn die Sondersituation bewältigt ist.

Covid-19 – Der Gesetzgeber muss das Insolvenzrecht anpassen

Die Pandemie des Covid-19 wird vielleicht infolge der Krankheitsfälle, jedenfalls aber infolge der Gegenmaßnahmen und Marktreaktionen die Unternehmen in Schwierigkeiten bringen. Nicht nur „Zombie-Unternehmen“,  Unternehmen mit grundsätzlich solidem Geschäftsmodell werden betroffen sein. Der exogene Schock trifft ganze Branchen (siehe die Umfrage des ifo-Instituts) und alle Unternehmensgrößen, vielleicht sogar alle Unternehmen. Während größere Unternehmen mit Hilfe von Beratern und Verhandlungsmacht gegenüber der Politik und den Finanzämtern der Sondersituation begegnen und noch Kreditabsorbtionskapazität besitzen, um staatliche Liquiditätshilfen zu nutzen, sieht die Situation bei den zehntausenden kleinen Unternehmen deutlich pessimistischer aus. Die Umsatzrenditen sind hier in der Regel so gering, dass weitere Kreditlasten keine Option sind, um Liquidität zu ersetzen, die aufgrund der Umsatzrückgänge fehlt. Gleichzeitig ist auch für den sorgfältigen Kaufmann unklar, wann sich die Situation wieder normalisiert. Liquiditäts- und Fortführungsprognosen werden quasi unmöglich. Dies wiederum kann zu Unternehmensinsolvenzen führen, obwohl derzeit nicht die Abwicklung dieser Kapazitäten, sondern deren „temporäres Einfrieren“ sachgerecht erscheint. Hierauf muss der Gesetzgeber reagieren und entsprechende Möglichkeiten im Insolvenzrecht kurzfristig und vielleicht nur vorübergehend schaffen.

1. Die Antragspflicht bei Überschuldung aussetzen

Die Unmöglichkeit einer seriösen Liquiditätsplanung für die kommenden Monate macht derzeit jede Fortführungsprognose für die Unternehmensleitung zu einem Drahtseilakt. Vorsichtige Unternehmensleiter müssten oft im Interesse der Begrenzung einer persönlichen Haftung Insolvenzanträge stellen, wenn Umsätze wegbrechen oder Absatzmärkte schließen. Eine solche Marktbereinigung grundsätzlich solider Unternehmen soll mit den Insolvenzantragspflichten sicher nicht verfolgt oder gar beschleunigt werden. Insofern ist es angezeigt, die Antragspflicht aufgrund des Überschuldungstatbestands (§ 19 InsO) temporär auszusetzen – etwa bis zum 31.8.2020. Über eine Wiedereinsetzung kann dann der InsO-Gesetzgeber im Rahmen der ESUG-Reformgesetzgebung entscheiden, ist hier das Thema der Abschaffung der Überschuldung als Antragspflicht ohnehin einer der Streitpunkte.

2. Den „Winterschlaf“ für (kleine) Krisenunternehmen temporär zulassen

Die gerade erst aufziehende Covid-19-Krise schafft aber nicht nur Probleme für die Liquiditätsplanung. Auf die akuten Liquiditätsprobleme gerade kleiner Unternehmen mit geringen oder fehlenden Liquiditätsreserven und keiner Kapazität zur krisenbedingten Kreditaufnahme muss auch mit einer Anpassung der Insolvenzantragspflichten bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) reagiert werden. Müssen Restaurants, Theater, Bäder und Kinos auf behördliche Anordnung für unbestimmte Zeit schließen und fehlen Hotels, Reisebüros, Messen und Verkehrsunternehmen die gewohnten Kundenzahlen und damit verbundene Einnahmen über Wochen, so bleibt hier nach geltendem Recht oft nur die Schließung verbunden mit der kurzfristigen Stellung eines Insolvenzantrags. Das Insolvenzverfahren kann dann ohne Einnahmen aus der Betriebsfortführung auch keine Strukturen erhalten. Stattdessen sollte überlegt werden, in der Krisenzeit ein „Einfrieren des Unternehmens“ zu erreichen.

Hierzu muss zunächst der Unterhalt des Unternehmers, seiner Angestellten und die Strukturerhaltung durch entsprechende zweckgebundene staatliche Zuschüsse (analog dem Kurzarbeitergeld) gesichert werden.

Sodann ist die krisenbedingte Zahlungsunfähigkeit zu adressieren, wozu verschiedene Ansätze denkbar sind:

Alternative 1: Suspendierung der Insolvenzantragspflichten/der Fälligkeit

Die einfachste gesetzgeberische Krisenreaktion könnte darin bestehen, die Antragspflichten aus § 15a InsO insgesamt vorübergehend (etwa bis zum 31.8.2020) zu suspendieren. Damit wäre dem Unternehmer der Handlungsdruck genommen, wenn zugleich auch die Insolvenzverschleppung für diesen Zeitraum zugelassen wäre, also keine Haftung (etwa aus § 64 GmbHG) droht, wenn man der Pflicht nicht entspricht.

Alternativ (und vorzugswürdig) wäre es auch denkbar, für eine gesetzlich bestimmten Krisenzeitraum die Fälligkeit von Zahlungspflichten auszusetzen, sodass Rechnungen, aber auch Steuerverbindlichkeiten etc., die in diesem Zeitraum fällig werden, nicht durchsetzbar sind und folglich für § 17 InsO (und alle hieran anknüpfenden Regeln) keine Rolle spielen. Diese Erleichterung sollte nicht erst in einem Verfahren erreicht werden müssen, sondern für den Krisenzeitraum gesetzlich angeordnet werden, auch wenn so alle Unternehmen begünstigt werden – unabhängig von ihrer Größe und Liquiditätslage. Sie könnte so gerade auch für den Fall Effekte erzielen, in dem Gerichte wegen Quarantänemaßnahmen nicht besetzt bzw. verfügbar sein sollten. (Dies etwa durch Notbesetzungen – ggf. auf OLG-Ebene – zu vermeiden, ist Sache der Justizverwaltungen der Länder! Auch die Möglichkeit telefonischer Erreichbarkeit oder Skype-/Zoom-Verhandlungen sollte nachgedacht werden – siehe England.)

Alternative 2: „Winterschlaf im Eröffnungsverfahren“

Will der Gesetzgeber die weitreichenden Maßnahmen der Alternative 1 vermeiden, so könnte zumindest auf die dann oft unvermeidliche Insolvenzantragstellung mit einem Ruhen des Eröffnungsverfahrens für den Krisenzeitraum reagieren. In dieser Alternative scheinen folgende Instrumente denkbar:

  • Stellung des pflichtgemäßen Insolvenzantrags verbunden mit dem Antrag auf Ruhen des Verfahrens für die Krisenzeit (zB bis 31.8.2020) oder für eine bestimmte Zeit (etwa für 3 Monate),
  • Stundung aller Forderungen und Suspendierung aller Vollstreckungen für die Dauer des Ruhens, inklusive Steuer- und Sozialversicherungsverbindlichkeiten, sowie Aufhebung aller Steuervorauszahlungen in diesem Zeitraum,
  • Verbot aller Zahlungen auf Verbindlichkeiten mit Ausnahme derjenigen, die für den Erhalt der Strukturen erforderlich sind (Notbesetzung; Server usw.),
  • Ruhen aller Pflichten und Befugnisse von Amtsträgern in diesem Zeitraum (inkl. vorläufige Sachwalter und Insolvenzverwalter), sodass keine Kosten entstehen,
  • Fortsetzung des Verfahrens erst nach Ablauf der Frist, zuvor nur auf Antrag des Schuldners;
  • Möglichkeit der Rücknahme des Insolvenzantrags im fortgesetzten Verfahren.

Diese insolvenzrechtliche Antwort auf die Covid-19-Herausforderung hat natürlich den Nachteil, das „I-Wort“ zu beinhalten. Dies kann die Bereitschaft zur entsprechenden Antragstellung im Kreis der Betroffenen erheblich mindern. Andererseits verhindert diese Gestaltung einen Missbrauch des Verfahrens und schafft eine Aufsicht und Verantwortlichkeit bei der Verfahrensaufhebung. Der Unternehmer ist so auch in der Ruhephase gehalten, an einer Lösung zu arbeiten. Zudem wäre es auch denkbar, diese Lösung zwingend als Eigenverwaltungslösung auszugestalten und an § 270b InsO anzuknüpfen, sodass der Marketingeffekt des „Schutzschirmverfahrens“ und der „Eigenverwaltung“ genutzt werden könnte.

Alternativ könnte auch eine Regelung der Instrumente in einem neuen § 240a ZPO – und damit insolvenzferner – erfolgen. Eine solche „modularisierte Lösung“ ließe sich durch den Gesetzgeber im Krisenfall „zuschalten“ und danach wieder „abschalten“.

Europäische Regelungen dürften keiner der vorgeschlagenen Krisenreaktionen im Wege stehen. Die EU-Kommission hat schon signalisiert, dass sie Beihilferegelungen nicht anwenden will. Entsprechendes dürfte für Auswirken im Bereich der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und den bankaufsichtsrechtlichen Folgen (CRD IV) gelten. Das Zuwarten auf eine europäische Lösung ist nicht erforderlich.

3. Die vorzeitige Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie

Schließlich wird bereits vorgeschlagen, die Instrumente des präventiven Restrukturierungsrahmens zeitnah zur Verfügung zu stellen. Insbesondere die Möglichkeit zur Aussetzung von Zahlungspflichten (Art. 6, 7 der Richtlinie) könnte insofern vergleichbare Wirkungen erzeugen wie die oben angeregte gesetzliche Suspendierung von Fälligkeiten, zumal dies mit einer Suspendierung der Antragspflichten (inklusive derjenigen bei Zahlungsunfähigkeit) einhergeht. Diese Wirkungen sollten in einem Restrukturierungsrahmen allerdings nur auf Antrag, nur gegenüber einzelnen Vertragspartnern und erst nach gerichtliche Anordnung zur Verfügung stehen (siehe Blogpost zur Umsetzung). Dies kann natürlich genügen, um einzelnen Unternehmen zu helfen, die mit den Folgen der Covid-19-Krise kämpfen. Für die breite Masse gerade der kleinen Unternehmen wird hingegen eine einfachere, weil direktere Krisenhilfe notwendig sein.

Die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie kommt in Etappen

Das zu Ende gehende Jahr hat im Bereich des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts eine Vielzahl von Themen auf die Agenda des deutschen Gesetzgebers gerufen, die noch in der laufenden Legislaturperiode, also bis zum Sommer 2021, abgearbeitet werden sollen. Derzeit wird hierzu folgender Zeitplan kommuniziert:

Die schrittweise Verkürzung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre

Noch in diesem Jahr sollte eigentlich der zweite Teil der Restrukturierungsrichtlinie umgesetzt werden, der die gesetzlichen Restschuldbefreiungstatbestände für natürliche Personen harmonisiert. Kern der Richtlinienvorgabe ist dabei die Vorgabe einer Frist von maximal drei Jahren für das Erlangen der Restschuldbefreiung ab Einleitung des Verfahrens für ehrliche Schuldner. Der deutsche Gesetzgeber wird diese Fristverkürzung umsetzen, plant aber zugleich eine Übergangsregelung, nach der die maßgebliche Frist in einem Übergangszeitraum monatlich kürzer wird. Hierzu hat das BMJV am 7. November 2019 eine Pressemitteilung sowie ein Informationsblatt veröffentlicht. Der eigentliche Referentenentwurf müsste dieser Tage folgen.

Vorinsolvenzliche Restrukturierungshilfen für Unternehmen

Die Umsetzung des ersten Teils der Richtlinie und damit die Einführung vorinsolvenzlicher gerichtlicher Restrukturierungshilfen wurde durch das BMJV seit dem Sommer mit verschiedenen Stakeholdern sowie der Wissenschaft diskutiert. Die Arbeit an einem Referentenentwurf scheint insofern fortgeschritten. Dessen Freigabe wird derzeit mit Spannung für das Frühjahr 2020 erwartet. Hierzu hatte ich einen Umsetzungsvorschlag gemacht, der jedenfalls hinsichtlich der dort vorgeschlagenen Regelungsorte (BGB, ZPO) auf der Handelsblatt-Tagung im Herbst als „radikal“ kommentiert wurde. Es dürfte insofern wohl eher eine eigenständige Restrukturierungsordnung zu erwarten sein. Wichtiger als der Regelungsort wird aber der Regelungsinhalt sein, der hoffentlich von einer Neuauflage der Vergleichsordnung absieht und stattdessen moderne, effiziente und insolvenzferne Hilfen zur Verfügung stellt.

Die Einführung derartiger Restrukturierungshilfen verlangt dann auch nach einer Anpassung derjenigen Regelungen, die nach Ansicht des ESUG-Gesetzgeber noch genügen sollten, um Deutschland im Wettbewerb mit ausländischen Rechtsordnungen im Bereich der Restrukturierungshilfen zu positionieren: die ESUG-Reformen. Insbesondere die Regelungen zur vorläufigen Eigenverwaltung und zum Schutzschirm, aber auch die Möglichkeiten des Insolvenzplan sollen im Zuge der Umsetzung der Richtlinie einer erneuten Reform unterzogen werden. Dabei werden hoffentlich die Ergebnisse der ESUG-Evaluation eine zentrale Rolle spielen.

Berufsrecht für Insolvenzverwalter und Restrukturierungspraktiker

Der dritte Teil der Richtlinie betrifft Fragen der Qualitätssicherung bei Gerichten und Verwaltern. Die Konzentration von Restrukturierungsverfahren bei spezialisierten Gerichten wird hier weiter auf der Agenda der (Länder-)Gesetzgeber bleiben. Zugleich wird ein Anstoß in Richtung eines besonderen Berufsrechts für Insolvenzverwalter und sonstige „Practitioner in the field of insolvency, restructuring and second chance“ gegeben. Fragen der Zulassung zum Beruf (etwa eine zentralisierte Auswahlliste), Qualitätssicherung, Aufsicht, Sanktionierung und auch der „angemessenen Vergütung“ sind danach von den Mitgliedsstaaten zu regeln. Die Verwalterverbände haben hierzu verschiedene Stellungnahmen veröffentlicht. Derzeit scheint es realistisch, dass diese Themen in einem dritten Schritt zum Ende der Legislaturperiode vom Gesetzgeber aufgegriffen werden.

PhD Workshop on European/International Insolvency Law 2020

Am 5. und 6. März 2020 findet an der Universität Leiden in den Niederlanden wieder der jährliche Doktoranden-Workshop zum europäischen und internationalen Insolvenzrecht statt. Er wird von der Stichting Bob Wessels Insolvency Law Collection getragen und lädt Doktorandinnen und Doktoranden aus aller Welt ein, ihre Ideen für dieses Rechtsgebiet miteinander zu diskutieren. Wissenschaftlich betreut wird der Workshop von renommierten Professoren aus den Niederlanden, Deutschland, Belgien und dem Vereinigten Königreich.

Die Teilnahme am Workshop setzt eine Bewerbung voraus. Nähere Informationen hierzu finden sich hier.