Die Niederlande beginnen mit der Umsetzung – das „Dutch Scheme“ ist im Gesetzgebungsverfahren

Am 5. Juli 2019 hat das Justizministerium der Niederlande einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der zur Umsetzung des Restrukturierungsrahmens der gerade erst im Amtsblatt veröffentlichten Restrukturierungsrichtlinie eine niederländische Version – genauer gesagt sogar zwei – des englischen Scheme of Arrangement beinhaltet. Dem interessierte Leser steht eine englische Version des Gesetzestextes zur Verfügung, ebenso eine Zusammenfassung durch RESOR.

Das atemberaubende Umsetzungstempo unserer Nachbarn wird dadurch erklärlich, dass Vertreter ihrer Restrukturierungsbranche gemeinsam mit dem Justizministerium schon angesichts des Richtlinienvorschlags der Kommission und des Brexit-Votum im Jahr 2016 damit begannen, ein „Dutch Scheme of Arrangement“ zu entwickeln. Dieses sollte die Stärken des englischen Vorbilds aufnehmen, zugleich aber dessen Schwächen (kein Moratorium, kein Cross-Class-Cramdown, keine Vertragsanpassungen wie im CVA) vermeiden. Es entstand ein Scheme of Arrangement, das mehr an das Singapurer Modell erinnert als das englische. Es findet sich ein gerichtliches Verfahren, in dessen Rahmen

  • ein Moratorium zur Verfügung steht,
  • der Schuldner in Eigenverwaltung bleibt,
  • Vertragsanpassungen ohne Plan erfolgen können,
  • die Kapitalstruktur kollektiv wie auch selektiv durch einen Plan restrukturiert werden kann,
  • die dazu erforderliche Gruppenbildung geprüft wird, die (elektronische) Abstimmung organisiert wird,
  • eine gerichtliche Bestätigung unter Berücksichtigung von Einwendungen erfolgt,
  • Rechtsmittel limitiert werden.

Bemerkenswert ist dabei, dass dieses Verfahren eine öffentliche und eine nicht-öffentliche Variante kennt. Findet es öffentlich statt, wird es über seine Aufnahme im Anhang A der EuInsVO unterfallen. Dem nicht-öffentlichen Verfahren ist demgegenüber der Anwendungsbereich der EuInsVO verschlossen. Eine Anerkennung im EU-Ausland wird dann über die Brüssel Ia-VO erfolgen und damit ebenfalls automatsich möglich sein. Der Zugang wird dabei nicht vom COMI des Schuldners abhängen; die Beteiligung von Gläubigern mit Sitz in den Niederlanden oder niederländischem Vermögen würde ebenso genügen wie eine Gerichtsstandsvereinbarung mit Ziel Niederlande. Damit soll das „Dutch Scheme“ nach dem Vorbild Londons und Singapurs gerade für ausländische Unternehmen attraktiv werden.

Abgerundet wird diese Strategie durch das seit Januar 2019 tätige internationale Handelsgericht (Netherlands Commercial Court), das seine Verfahren in englischer Sprache führt und von den Parteien im Rahmen eines internationalen Wirtschaftsrechtsstreits durch eine Gerichtsstandsvereinbarung gewählt werden kann. Es soll insbesondere für „Dutch Schemes“ ausländischer Unternehmen das Forum der Wahl werden und so dem High Court in London, aber auch dem in Singapur Konkurrenz machen.

Für die deutsche Umsetzungsdiskussion schafft das „Dutch Scheme“ Maßstäbe. Dies gilt nicht einmal zwingend für seine Verfahrensgestaltung und die aufgenommenen Sanierungsinstrumente. Die Ausgestaltung als (optional) vollwertiges kollektives Restrukturierungsverfahren fällt einer Rechtsordnung sicher leichter, in der die letzte Gesetzesreform des heimischen Insolvenzrechts Jahrzehnte zurückliegt und die daher derartige Instrumente im Insolvenzverfahren nicht kennt, sodass keine Anpassungsdiskussionen entsteht. Hier sollten wir in Deutschland differenziertere Wege gehen. Was beeindruckt ist die konsequente Ausrichtung auf ein international wettbewerbsfähiges und attraktives Rechtsangebot. Noch mehr hervorzuheben ist die institutionelle Absicherung der neuen Verfahren durch den Netherlands Commercial Court. Ausländische Unternehmen wissen so – wie in England und Singapur – sehr genau, dass sie auf kompetente, entscheidungsfreudige und ökonomisch denkende Richter treffen. Hiervon sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt.

 

Die Restrukturierungsrichtlinie ist veröffentlicht – Die Umsetzungsfrist beginnt

Am 26. Juni 2019 ist die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) im Amtsblatt (L 172/18) veröffentlicht worden und damit in Kraft getreten. Nun beginnt die zweijährige Umsetzungsfrist.

Der Richtlinientext ist in allen Amtssprachen, auch in deutsch und englisch, erhältlich.

Auch der Europäische Rat stimmt der Restrukturierungsrichtlinie zu

Am 6. Juni 2019 hat nun auch der Europäische Rat der Restrukturierungsrichtlinie zugestimmt (hier die zugrundeliegende englische Sprachfassung). Sie kann damit im Amtsblatt veröffentlicht werden und tritt zum Veröffentlichungszeitpunkt – voraussichtlich im Juni oder Juli – in Kraft. Allen Mitgliedstaaten sind dann aufgrefordert, innerhalb von zwei Jahren die Richtlinienvorgaben in nationales Recht umzusetzen.

Für den deutschen Gesetzgeber bedeutet dies, dass er bis Mitte 2021 Reformgesetze verabschieden muss, die folgende Themen richtlinienkonform anpacken:

  • vorinssolvenzliche Sanierungshilfen jenseits des Insolvenz(eröffnungs)verfahrens,
  • eine Verkürzung der Restschuldbefreiung auf (maximal) drei Jahre mit richtlinienkonformen Voraussetzungen und Ausnahmebestimmungen,
  • eine Struktur der Insolvenzgerichte, die Kompetenz auf der Richterbank und eine effiziente Verfahrensführung sichert,
  • eine Regulierung derjenigen Personen, die im Restrukturierung, Entschuldung und Insolvenz in den Verfahren bestellt werden, wobei sowohl deren Berufsordnung als auch deren Verfahrensposition (Bestellung, Haftung, Vergütung) zu überprüfen sein wird.

Die Umsetzungsspielräume sind dabei durchaus beachtlich. Das BMJV wird schon in den kommenden Wochen in verschiedenen Gesprächsrunden Standpunkte und Anregungen der wesentlichen Stakeholder zu vorinsolvenzlichen Sanierungshilfen zusammentragen. Ein erster Referntenentwurf könnte so schon zum Jahreswechsel entstehen. Hält die derzeitige Regierungskoalition über die gesamte Legislaturperiode (bis Sommer 2021), so scheint die zeitgerechte Umsetzung der Richtlinie möglich.

Europaparlament stimmt der Restrukturierungsrichtlinie zu – European Parliament adopts the Directive

Das Europaparlament hat die Restrukturierungsrichtlinie in dieser Fassung gestern (27.3.2019) in erster (und einziger) Lesung behandelt und ihr in der heutigen Abstimmung mit großer Mehrheit zugestimmt. Sie wird damit im Sommer veröffentlicht und in Kraft treten können.

The European Parliament discussed this version of the Restructuring Directive in a first (and only) reading yesterday (27.3.2019. Today it voted to approve it by a large majority. The adopted text will be published and  thus become effective later this summer.

Die neue European Relative Priority Rule der Restrukturierungsrichtlinie – Das Ende des europäischen Insolvenzrechts?

In einem auf SSRN veröffentlichten Working Paper von de Weijs/Jonkers/Malakotipour findet sich ein Frontalangriff auf die in Art. 11 des finalen Richtlinientextes neu verankerte Normierung einer sog. „European Relative Priority Rule“ – ähnlich nun auch Moritz Brinkmann in einem Blogpost. Hierzu bedarf es offensichtlich einer Klarstellung, um die Unbegründetheit der in diesem Beitrag geäußerten und alarmistisch vorgetragenen Kritik von vornherein deutlich zu machen.

Den Amsterdamer Kritikern geht es im Kern darum, im Fall einer dem mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplan widersprechenden Gläubigergruppe deren Bindung an den Plan nur dann zu erlauben, wenn anstelle der nun in Art. 11 eingeführten Regel (European Relative Priority Rule) wieder die noch im Richtlinienentwurf der Kommission von 2016 zu findenden „Absolute Priority Rule“ nach US Vorbild beachtet wird. Ansonsten drohe eine grenzenlose Umverteilung zulasten der Gläubiger durch Restrukturierungspläne.

Diese Kritik überzeugt nicht. Der Verzicht auf die Absolute Priority Rule (APR) ist berechtigt. Die APR ist dem US Chapter 11 Verfahren entnommen und wird im US Schrifttum seit langem und grundlegen kritisiert. Die ABI Reform Commission empfahl daher zuletzt zumindest ihre Abmilderung in Form einer „Relative Priority Rule“, die in der Sache aber nur den Bwertungszeitpunkt verschiebt bzw. Rechtspositionen doppelt bewertet („Redemption Option Value“). Die Übernahme einer derart in der Kritik stehenden Norm in das europäische Recht sollte zu Recht unterbleiben.

Die Kritiker übersehen sodann, dass die Richtlinie gerade nicht den Fall von Plänen in der Insolvenz von Unternehmen regeln will, sondern vorinsolvenzlich wirken soll. Die Anwendung von zerschlagungsbasierten Bewertungen wie sie im Working Paper erfolgen, erkennen diesen entscheidenden Unterschied nicht. Auch wird übersehen, dass die meisten Mitgliedstaaten weit mehr Vorrechte für Gläubiger kennen als die im Working Paper angenommene Dualität von Secured und Unsecured Credit. Lieferanten würden als ungesicherte Gläubiger daher tatsächlich keine Werte erhalten, wenn man diese Rangklassen bei den Rechenbeispielen berücksichtigt.

Schließlich und vor allem verkennen die Autoren die tatsächliche Wirkungsweise der nun in Art. 11 normierten Prüfung. Die European Relative Priority Rule unterscheidet sich grundlegend von der US Version, da sie zwar deren Kritik an der Absolute Priority Rule aufnimmt (so insbesondere der zitierte Bericht, den ich mit Bob Wessels für das European Law Institute erstellt hatte), nicht aber deren Lösungsvorschlag. Stattdessen wurde ein eigenständiger Ansatz gewählt, der von einer  Forschergruppe aus Italien, Spanien, Deutschland und England erarbeitet und im finalen Art. 11 verankert wurde. Erläuterungen finden sich im Abschlussbericht auf S. 45-47 sowie in einer ausführlichen Diskussion der Regel in Brüssel im Juli 2018. Die European Relative Priority Rule des Art. 11 schützt die vorinsolvenzlichen Rechte der ablehnenden Gläubigergruppe in zweifacher Weise: durch die Garantie des durchsetzbaren Wertes ihrer Rechte (best interest test) und durch die Berücksichtigung ihrer außerinsolvenzlichen (!) Rangstellung bzgl. des Fortführungsmehrwerts, ohne dieser Gruppe dabei eine Vetorecht einzuräumen, dass erst bei voller Befriedigung ihrer Nominalforderungen erlischt. Sie vermeidet im Gegensatz zur Absolute Priority Rule die insolvenzrechtlichen Vorrangregeln in den meisten Mitgliedstaaten, präzisiert die Wertgarantie in der vorinsolvenzlichen Restrukturierung und beinhaltet Spielraum für angemessene Lösungen. Das Ende des Insolvenzrechts wird warten müssen.

Siehe auch die Kritik am Amsterdamer Papier von Bob Wessels: http://www.bobwessels.nl/blog/2019-03-doc10-the-full-version-of-my-reply-to-professor-de-weijs-et-al/

Roma Iocuta, causa finita? Folgefragen aus dem BGH-Urteil zur Haftung der Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung

Vortrag auf dem ZIS Abendsymposion in Mannheim am 5. Februar 2019

Nach meinem Vortrag in Mannheim erreichte mich eine Reihe von Anfragen nach einer Veröffentlichung meines Vortragsmanuskripts. Ich plane, meine Ausführungen in einer Festschrift zu veröffentlichen, die im Herbst erscheinen soll. Bislang konnten meine wesentlichen Argumente dem Vortragsmanuskript entnommen werden, das hier zum Download bereitstand. Nachdem mein Beitrag nun als Working Paper fertiggestellt ist, biete ich diese zum Herunterladen an. Insbesondere den Teil zur Haftung in der vorläufigen Eigenverwaltung habe ich erheblich vertieft. Ich hoffe, insoweit schon zur aktuellen Diskussion betragen zu können, auch wenn eine zitierfähige Veröffentlichung erst im Herbst folgen wird.

Der finale Richtlinientext ist da – und folgt weitgehend der gemeinsamen Ausrichtung im Rat

Der finale Richtlinientext ist da – und folgt weitgehend der gemeinsamen Ausrichtung im Rat

Der Europäische Rat konnte sich – nach durchaus kontroversen Verhandlungsrunden  – vor Weihnachten mit dem Europäischen Parlament auf einen finalen Text der Restrukturierungsrichtlinie einigen. Dabei war insbesondere die konkrete Ausgestaltung des Restrukturierungsrahmens streitig, hatte hier das Parlament in seiner Stellungnahme doch einige durchaus problematische Positionen bezogen (dazu näher hier).

Die nun veröffentlichte finale Fassung des Richtlinientextes macht nach einer ersten Durchsicht deutlich, dass die Kompromisslinie – zum Glück – nahe an der Ratsposition gefunden wurde.

  • Der Zugang zu Restrukturierungshilfen kann von einem Viability-Test abhängig gemacht werden, muss es aber nicht.
  • Eine Beteiligung des PIFOR (Restrukturierungsexperten) wird nur bei vollständig kollektiven Moratorien (vorbehaltlich einer gerichtlichen Notwendigkeitsprüfung), bei Notwendigkeit eines Cross-Class-Cramdown oder bei Antrag des Schuldners oder der Gläubigermehrheit zwingend.
  • Der Vollstreckungsstopp kann kollektiv oder auch selektiv gestaltet werden und kann zunächst max. 4 Monate dauern, verlängerbar auf max. 12 Monate.
  • Insolvenzantragspflichten sind bei Anordnung eines Vollstreckungs-stopps suspendiert; eine Ausnahme bei Zahlungsunfähigkeit ist möglich.
  • Die Planvorlage bedarf nicht zwingend eines begleitenden Experten-gutachtens. Sie kann in Mitgliedstaaten auch für Gläubiger oder den PIFOR geöffnet werden.
  • Das Erreichen einer Kopfmehrheit in der Gruppe ist nur notwendig, wenn dies Mitgliedstaaten so vorsehen.
  • Der Abbau von mehr als 25% der Arbeitsplätze im Plan löst eine gesonderte Bestätigungsnotwendigkeit aus, wenn insoweit eine Plananfechtung erfolgt.
  • Ein Cross-Class-Cramdown ist möglich unter Einhaltung der Relative-Priority-Rule, wobei die Mitgliedstaaten alternativ auch an der Absolut-Priority-Rule festhalten können. Jedenfalls sind hier Ausnahmen für SME möglich.
  • Rechtsmittel gegen die Planbestätigung haben keine aufschiebende Wirkung.
  • Die Vorgaben an die Gestaltung der Geschäftsführungspflichten in der Krise bleiben eher vage.

Die Parlamentsposition findet sich vor allem in der Sicherung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Verfahren, soweit dieser Personalmaßnahmen beinhaltet, sowie in Privilegierungsklauseln für Kleingläubiger wieder. Auch konnte das Parlament festhalten, dass die Bestätigung eines Restrukturierungs-plans auch bei vollständiger Gläubigerunterstützung dann erforderlich ist, wenn nach dem Plan mehr als 25% der Arbeitsplätze verloren gehen und der Plan insofern angefochten wird (Art 10 (1)(b) und (2) letzter Satz. Voraussetzung hierfür ist nach Erwägungsgrund 30 allerdings, dass der Plan nach nationalem Recht selbst unmittelbar die Anpassung/Beendigung der Arbeitsverhältnisse beinhalten darf. Im deutschen Recht ist dies einem Plan bislang nicht möglich; es bedarf der arbeitsrechtlichen Umsetzung im Wege der Kündigung. Bliebe dies so, hätte dieser Bestätigungstatbestand keine Relevanz.

Insgesamt findet sich ein Rechtsrahmen, der eine Vielzahl an Ausgestaltungsfragen dem nationalen Gesetzgeber überlässt. Die Diskussion wird sich also nach Berlin verlagern. Dabei wird man nicht aus dem Auge verlieren dürfen, wie unsere Nachbarn ihre Ausgestaltungsspielräume nutzen. Ein wenig restrukturierungsfreundliches deutsches Recht droht ansonsten durch Verfahren bei den Nachbarn marginalisiert zu werden (eingehend hierzu mein aktueller Blog-Beitrag bei Tax-Legal-Excellence).

Der Europäische Rat hat sich zum Restrukturierungsrahmen positioniert – Spielräume statt Harmonisierung

Nach Abschluss der Beratungen in den Ratsarbeitsgruppen liegt nun auch die gemeinsame Ausrichtung des Rates zu dem Abschnitt des Richtlinienentwurfs vor, der den vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen betrifft (Link hier). Für die anderen Teile der Richtlinie (zur Restschuldbefreiung und zum institutionellen Rahmen) war schon zum Abschluss der Bulgarischen Ratspräsidentschaft eine gemeinsame Ausrichtung erreicht worden (Link hier).

Im Gegensatz zum Parlamentsbericht hat die am Kommissionsvorschlag geäußerte Kritik in der gemeinsamen Ausrichtung des Rates zu einer weiteren Flexibilisierung der Richtlinienvorgaben geführt. Dabei gilt es besonders hervorzuheben, dass hier auch innovative Ideen aus der Wissenschaft Eingang in den Text gefunden haben, etwa indem bei Cross-class Cramdown neben der ‚Absolute Priority Rule‘ nun endlich auch die ‚Relative Priority Rule‘ als Regelungsoption vorgegeben wird. Diese war zuvor nicht nur im Bericht von Wessels und Madaus für das European Law Institute (Business Rescue in Insolvency) empfohlen worden; sie wurde vor allem im Rahmen des CODIRE-Projektes weiter präzisiert.

Daneben finden sich eine Reihe weiterer Kompromisse, die als Handlungsoptionen für den nationalen Gesetzgeber beschrieben werden, sodass nun eigenlich nur verbindlich vorgeben werden wird, dass es einen vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen mit bestimmten Instrumenten in allen Mitgliedsstaaten geben muss. Wie diese dann konkret zugänglich gemacht und ausgestaltet werden, bleibt nach der Vorstellung des Rates hingegen weitgehend den Mitgliedsstaaten überlassen. In der Umsetzung der Richtlinie wird also etwa zu entscheiden sein, ob

  • ein Vollstreckungsstopp bzw. eine Planbestätigung eine gesonderte Feststellung der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens voraussetzt (viability test),
  • damit stets auch die Bestellung eines Sachwalters zu verbinden ist,
  • ob nur ein Vollstreckungsstopp gegen einzelne Beteiligte oder ein Moratorium mit kollektiver Wirkung zur Verfügung stehen soll,
  • ob es eine Mindestdauer des Vollstreckungsstopps/Moratoriums geben soll,
  • ob bei KMU die Vorgaben an die Gruppenbildung vereinfacht werden,
  • ob ein Cross-class Cramdown schon bei nur einer tatsächlich zustimmenden Gruppe möglich sein soll, solange diese Gruppe aus gesicherten bzw. bevorzugt zu befriedigenden Gläubigern besteht,
  • ob die Fairness eine Cross-class Cramdown anhand der Absolute oder der Relative Priority Rule zu bemessen ist.

Demgegenüber bleiben vor allem die Vorgaben zur Dauer des Vollstreckungsstopps/Moratoriums strikt (maximal 4 Monate, verlängerbar auf maximal 12 Monate bzw. bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Plan).

Können sich diese Positionen im weiteren Gesetzgebungsprozess gegenüber den Parlamentspositionen behaupten, so wird es den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht möglich sein, vorinsolvenzliche Restrukturierungshilfen flexibel an die vorhandenen Regelungssysteme anzupassen. In vielen Rechtsordnungen werden die bereits vorhandenen vorinsolvenzlichen Verfahren dazu wohl nur noch geringfügig angepasst werden müssen. In Deutschland wird hingegen ein Rechtsschöpfungsprozess beginnen müssen, der auf die Erkenntnisse der ESUG Evaluation aufbauen und die Schaffung eines passgenauen Restrukturierungsrechts mit vorinsolvenzlichen und insolvenzlichen Handlungsoptionen zum Ziel haben sollte. Auch hierzu haben Bob Wessels und ich schon Ideen vorgestellt. Im Ergebnis werden die flexiblen Richtlinienvorhaben damit nur einen sehr begrenzten Harmonisierungseffekt erzielen können. Der Wettbewerb der Restrukturierungsrechte im Binnenmarkt wird so befeuert werden.

Die Diskussion zum Richtlinienvorschlag gerät auf Abwege – der Bericht des EU Parlaments ist da

Die Diskussion zum Richtlinienvorschlag gerät auf Abwege – der Bericht des EU Parlaments ist da

Nach langen Beratungen hat nun auch Frau Niebler den finalen Bericht des Rechtsausschusses des EU Parlaments zum Entwurf einer Restrukturierungsrichtlinie vorgelegt. Dieser wird Gegenstand der Abstimmung des EU Parlaments und damit die – überaus vernünftige – Positionierung des Wirtschafts- und Sozialausschusses konsumieren. Mit der Abstimmung über diesen Bericht wird noch im September gerechnet, sodass das EU Parlament auf seiner Basis die Gespräche über die endgültige Fassung der Richtlinie mit der Kommission und dem Rat (also den Mitgliedstaaten) führen wird (sog. Trilog). Hier wird angesichts des Endes der Legislaturperiode im Mai 2019 mit einem Verhandlungsergebnis bis März 2019 gerechnet.

Ein Überblick über die bisher veröffentlichten offiziellen Texte zum Richtlinienentwurf findet man hier, einen Bericht zum Stand des gesamten Prozesses im Juni 2018 hier. Die Verhandlungspositionen der Kommission und des Rates sind noch abschließend bekannt. Die Kommission hat jedoch in Vorträgen ihrer Mitarbeiter einige „rote Linien“ erkennen lassen, um die Idee der Mindestharmonisierung nicht ganz aufzugeben.

Die Mitgliedstaaten haben sich im Mai 2018 auf eine gemeinsame Ausrichtung zur den Teilen der Richtlinie geeinigt, die nicht den präventiven Restrukturierungsrahmen betreffen. Die Einigung zu diesem Teil wird bis Ende September angestrebt.

Der Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 21. August 2018 ist das Ergebnis einer langwierigen Abstimmung über ca. 100 Änderungsanträge. Die sich hier widerspiegelnde intensive Arbeit von Lobbygruppen findet nun leider auch ihren Niederschlag im gewünschten Richtlinientext. Im Grundsatz ist festzustellen, dass die Instrumente eines Restrukturierungsrahmens auch nach Auffassung des Parlaments immer noch ausdrücklich im vorinsolvenzlichen Zeitfenster verfügbar gemacht werden sollen. Die gewünschte Ausgestaltung dieser Instrumente erinnert dann aber doch immer mehr an Insolvenzverfahren mit einer Restrukturierung oder übertragenden Sanierung als Verfahrensoptionen:

  • Eine Verwalterbeteiligung soll quasi immer möglich sein, wenn Mitgliedstaaten dies so vorsehen.
  • Pläne sollen nun Unternehmensbewertungen von „gerichtlich bestellten Experten“ (Art. 8 Nr. 1 b) enthalten; zugleich sollen Planerwartungen von „externen Experten“ testiert werden (Art. 8 Nr. 1 g).
  • In Gruppen bedürfte es neben Summen- auch der Kopfmehrheit.
  • Für Arbeitnehmer soll immer eine Pflichtgruppe gebildet werden, wenn sie vom Plan betroffen sind (wozu wohl schon genügen soll, dass aufgrund der oft nur begleitenden leistungswirtschaftlichen Sanierung Lohnverzichte oder ein Arbeitsplatzabbau droht). Zugleich sollen Arbeitnehmergruppen stets wie Gruppen gesicherter oder vorrangiger Gläubiger behandelt werden, was sie kaum einem Obstruktionsverbot unterwerfen würde.

Die Wünsche des Parlaments ist dabei vor allem an einer Stelle besonders fragwürdig. Art. 10 Abs. 1 verlangt eine gerichtliche Planbestätigung nicht mehr nur bei lediglich mehrheitlich unterstützten Plänen sowie bei Plänen, die Privilegien für Finanzierungen anstreben, sondern auch in allen Fällen, in denen ein Plan einen Arbeitsplatzverlust von mehr als 25% der Arbeitsplätze mit sich bringt. Erläutert wird diese Anforderung in den Erwägungsgründen nicht. Sie kann daher so interpretiert werden, dass nach Vorstellung des Parlaments künftig in allen Fällen einer außergerichtlichen Sanierung mit derartigem Arbeitsplatzverlust eine gerichtliche Planbestätigung erforderlich wird. Eine derartige Belastung konsensualer Sanierungen kann niemand wollen. Sie missachtet auch die im Kollektivarbeitsrecht bestehenden Möglichkeiten der Mitbestimmung bei Betriebsänderungen. Hier muss im Trilog eine Klarstellung erfolgen; idealerweise sollte dieses Bestätigungserfordernis in der finalen Richtlinie fehlen.

In der Gesamtschau kann man der Position des Parlaments gegenüber dem Kommissionsvorschlag kaum etwas Positives abgewinnen. Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Parlamentarier von einem Verfahren ausgehen, dass umfassend die Rechtspositionen aller Beteiligten berühren kann, wenngleich nicht muss. Insofern verwundert es kaum, dass der Rechtsausschussbericht in seinen Änderungsformulierungen ab und zu von einem Restrukturierungsverfahren („restructuring proceedings“, vgl. Art. 6 Nr. 7 aE) spricht. Schon dieser Ansatz ist problematisch, verkennt die Idee der Kommission und kann keineswegs überzeugen, bedarf es doch vor allem im vorinsolvenzlichen Bereich allenfalls eines kostengünstigen Vertragshilfeverfahrens, während tiefergehende Operationen zulasten einer Vielzahl von Beteiligten kollektiven Verfahren in der Insolvenz überlassen bleiben sollten (eingehend dazu der Bericht des European Law Instituts; auch mein Beitrag in der EBOR).

Die Parlamentsposition überzeugt insgesamt weder im Grundansatz noch im Detail. Kann sie sich im Trilog durchsetzen, werden vorinsolvenzliche Verfahren mit einer Vielzahl von Hürden und Anforderungen ausgestaltet werden müssen, die erst in der Insolvenz berechtigt sind, bei solventen Unternehmen aber unnötige Kosten erzeugen. Teure vorinsolvenzliche Sanierungshilfen, die etwa mehrere kostenträchtige Experten erfordern, werden in der Praxis nicht genutzt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen erhielten weiter keine effiziente Hilfeleistung in der Krise. Der Ausgangspunkt des Richtlinienvorhabens, gerade diesen Unternehmen, die 90 bis 95 Prozent der Volkswirtschaft in der EU ausmachen, im Fall einer Krise zu helfen, um NPL-Probleme in Europa zu adressieren, wäre konterkariert.

Im Trilog sollten sich mithin alle Beteiligten wieder auf die Funktion der Richtlinie und den Effizienzgedanken besinnen. Die Instrumente sollten vor der Insolvenz genau definiert werden und eingriffsarm bleiben. Es geht um Verhandlungsanreize und Vertragshilfe bei Sanierungsverhandlungen, nicht um ein vollumfassendes Restrukturierungsverfahren vor der Insolvenz. Unternehmen, die letzteres benötigen, sollen in kollektive Verfahrensformen gehen können (in Deutschland die ESUG-Sanierung). Gleichzeitig werden die wenigen Eingriffe primär durch Gläubigerunterstützung legitimiert; dem Gericht obliegt nur die Missbrauchskontrolle, nicht aber die wirtschaftliche Überprüfung. Es bleibt zu hoffen, dass die finale Richtlinie dies berücksichtigen wird. Jedenfalls sollte sie so viel Umsetzungsspielraum lassen, dass es den Mitgliedstaaten möglich ist, passgenaue „leichte“ Restrukturierungshilfen als Umsetzungsakt zu erlassen. Hierauf wird im Trilog zu achten sein.

Neuer vertraulicher Kommissionsentwurf der Restrukturierungsrichtlinie

Während der Rechtsausschuss des Europaparlaments über die zahlreichen Änderungsanträge berät, die über Parlamentarier in das Verfahren eingebracht werden, hat die EU-Kommission einen neuen – bislang vertraulichen – Richtlinienentwurf in die Ratsarbeitsgruppen eingebracht. Dies berichtete Mihaela Carpus Carcea, verantwortliche Mitarbeiter bei der Kommission, in Ihrem Grußwort auf dem International Restructuring Symposium am 19.1.2018 im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium in Paris.

In diesem Entwurf reagiert die Kommission auf Widerstände in den Mitgliedstaaten, indem die Umsetzungsspielräume in einigen Bereichen erweitert werden. Es blieben aber, so Carpus Garcea, „rote Linien“, die eine Mindestharmonisierung sicherstellen sollen. So sollen etwa die Zeiträume eines Vollstreckungsstopps flexibler formuliert werden, eine Maximalfrist von höchstens einem Jahr sei aber umzusetzen. Auch bei der Verankerung einer „Absolute Priority Rule“ sei man flexibel, solange die Gruppenbildung und die Möglichkeit eines Obstruktionsverbots gegen eine sich grundlos verweigernde Gruppe Teil des Rechtsrahmens bleibe. Auf Nachfrage stellte sie heraus, dass eine Veröffentlichung des neuen Entwurfs nicht beabsichtigt sei; er diene allein als Gesprächsgrundlage mit den Ratsarbeitsgruppen.

Die schwierigen Diskussionen mit den Mitgliedstaaten haben auch zu einem neuen Zeitplan geführt. Die Kommission hält es nun für wahrscheinlich, erst im Januar 2019 mit dem Trilog zur Richtlinie zu beginnen.