Darf der StaRUG-Plan Rechtsverhältnisse gestalten, die ausländischem Recht unterliegen?

Im präventiven Rahmen der Restrukturierungsrichtlinie fehlt jede Vorgabe zu grenzüberschreitenden Wirkungen; die Anwendung der Europäischen Insolvenzordnung (EuInsVO) ist lediglich als Option erwähnt (ErwG. 13). Der deutsche Gesetzgeber hat sich daher bei Umsetzung der Richtlinie im StaRUG dazu entschlossen, die Anwendung der EuInsVO nur als Option zu ermöglichen, nicht aber für alle StaRUG-Verfahrensformen vorzuschreiben. Nur wenn der Schuldner bei Anzeige der Restrukturierungssache beantragt, sie als öffentliche Restrukturierungssache durchzuführen, wird ab dem Sommer 2022 das Regelungsregime der EuInsVO anwendbar sein (sofern die öffentliche Restrukturierungssache bis dahin im Anhang A der EuInsVO aufgenommen ist). Stellt der Schuldner diesen Antrag nicht, finden alle Verfahrensschritte des StaRUG als nicht-öffentliche Restrukturierungssachen statt. Entsprechendes gilt mangels Antragsoption für alle StaRUG-Verfahren bis Sommer 2022. Die EuInsVO kann die grenzüberschreitenden Wirkungen all dieser StaRUG-Verfahren ebenso wenig garantieren wie die eines gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleichs. Zugleich findet sich im StaRUG weder ein Verweis auf die Anwendung eines anderen Regelungsregimes, etwa der Brüssel Ia-VO für Zivilverfahren (EuGVVO), noch eine eigenständige Regulierung grenzüberschreitender Sachverhalte.

Regelungsbedarf

Wo liegt das Regelungsdefizit? Hat ein Sachverhalt Auslandsberührung, so sind drei Fragestellungen zusätzlich zu klären:

(1) Ist das deutsche Gericht trotz der Auslandskomponente zuständig (internationale Zuständigkeit)?

(2) Welches Recht wendet das zuständige deutsche Gericht an (anwendbares Recht)?

(3) Würde das deutsche Verfahrensergebnis in den relevanten ausländischen Rechtsordnungen Wirkung entfalten können (Anerkennung)?

Die Besonderheit der Anerkennungsfrage

Während die richtige Beantwortung der ersten beiden Fragen in Deutschland bis in die Revisionsinstanz vollständig überprüfbar ist, kann die Frage der Anerkennung offengelassen werden, solange aufgrund hinreichender Inlandswirkungen keine Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis des Schuldners für seine Restrukturierung entstehen. Die Anerkennung im Ausland ist dann allein Sache der Gerichte und Behörden im Ausland.

Für die Anerkennungsfrage ist zudem hervorzuheben, dass moderne Anerkennungsgrundsätze des Europäischen Zivilverfahrensrechts es den Anerkennungsgerichten regelmäßig verbieten, die richtige Beantwortung der zweiten Frage (richtige Bestimmung des anwendbaren Rechts und dessen richtige Anwendung im Einzelfall) zu überprüfen (Verbot der revision au fond). Dieses Verbot gilt mit Abstrichen auch für die Zuständigkeitsfrage: Die EuInsVO verbietet eine Überprüfung im Anerkennungsstaat (Grundsatz der automatischen Anerkennung in Art. 19, 32), währen die EuGVVO diese Überprüfung zumindest begrenzt (Art. 45 Abs. 3). Erst ein Ordre-Public-Verstoß markiert dann die Grenze der Wirkungserstreckung.

Die Antwort auf die dritte Frage, die Anerkennungsfrage, ist für nicht-öffentliche StaRUG-Verfahren bereits Gegenstand einer durchaus streitigen Fachdiskussion (siehe etwa Paulus/Bähr/Hackländer, ZIP 2021, 1086; Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041; Skauradszun, NZI 2021, 568). Für die anderen beiden Fragen gilt dies bislang leider nicht in gleichem Maße. Dies überrascht, wenn man bedenkt, dass jedes Restrukturierungsgericht diese Fragen bereits am ersten Tag richtig beantworten muss und insoweit durch alle Instanzen bis hin zum BGH überprüft werden kann.

Die Zuständigkeitsfrage

Die erste Frage (internationale Zuständigkeit) wird für öffentliche Restrukturierungssachen von Art. 3 EuInsVO beantwortet (werden) – auch im Verhältnis zu Drittstaaten. Für andere Restrukturierungssachen fehlt hingegen eine spezifische Regelung im StaRUG ebenso wie für die gerichtliche Bestätigung eines Sanierungsvergleichs. Immerhin scheint es insofern naheliegend, die Regelungslücke in guter deutscher Rechtsanwendungstradition wie in anderen Zivilverfahren der ZPO dadurch zu schließen, dass man im Wege der (doppelt analogen) Anwendung der Regeln zur örtlichen Zuständigkeit die Frage nach der internationalen Zuständigkeit mitbeantwortet. § 35 StaRUG würde mit seinem COMI-Kriterium so auch diese Frage klären. Die sich so ergebende Antwort auf die Zuständigkeitsfrage steht dabei unter dem Vorbehalt, dass auf nicht-öffentliche Restrukturierungssachen nicht vorrangig die EuGVVO anzuwenden ist, sodass deren Art. 4 ff. die Zuständigkeit regeln. Hier wird die Auslegung der insolvenzrechtlichen Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO durch den EuGH abzuwarten sein.

Die Frage nach dem anwendbaren Recht

Für die zweite oben aufgeworfene Frage nach dem anwendbaren Recht lässt sich eine Antwort nun leider nicht so unmittelbar erkennen. Öffentliche Restrukturierungssachen unterfallen gemäß Art. 7 EuInsVO weitgehend von der lex fori concursus; Ausnahmen ergeben sich aus den Art. 8 bis 18 insbesondere für Sicherungsrechte und grundstücksbezogene Rechtsverhältnisse. Für andere StaRUG-Verfahren findet sich hingegen keine Regelung.

Darf der Restrukturierungsplan also die Anleihen, die nach dem Recht des Staates New York begeben wurden, oder französische Steuerforderungen stunden oder gar erlassen? Weder das StaRUG noch eine eventuell anzuwendende EuGVVO enthalten hierzu eine Aussage.

Wie sind nun diese Fragen zu beantworten?

(1) Maßgeblichkeit des jeweiligen Statuts:

Im Grundsatz ist für jedes planbetroffenes Rechtsverhältnis das maßgebliche Sachrecht für Modifikationen und Erlöschenstatbestände nach den allgemeinen Regeln des IPR zu bestimmen. Für vertragliche Schuldverhältnisse gilt die Rom I-VO; für außervertragliche die Rom II-VO; für dingliche Rechte das Sachenrechtsstatut (lex rei sitae) – so auch BeckOK StaRUG/Skauradszun StaRUG § 2 Rn. 13). Damit wäre der Regelungsbereich des StaRUG bei nicht-öffentlichen Verfahren auf Rechtsverhältnisse begrenzt, die nach Maßgabe des deutschen Rechts (inklusive StaRUG) verändert werden können. Ausländische Rechtsverhältnisse wären allein nach ausländischen Recht zu gestalten. Parallelverfahren wäre erforderlich. Effiziente, kostengünstige Restrukturierungslösungen wäre so nicht gesichert.

(2) Analogie zum Insolvenzrecht:

Zur Begründung einer Maßgeblichkeit des deutschen Rechts auch für ausländische Rechtsverhältnisse könnte man auf die Idee kommen, die entsprechenden Regelungen aus dem Insolvenzrecht zu übernehmen und analog anzuwenden. Dort wird in § 335 InsO und Art. 7 EuInsVO bestimmt, dass das Recht des Verfahrensstaates (lex fori concursus) auch bestimmt, wie weit die Eingriffsbefugnisse von Restrukturierungsplänen reichen. Das Planstatut überlagert andere Sachrechte, etwa das Vertrags- oder Deliktsstatut. Aus der internationalen Zuständigkeit deutscher Restrukturierungsgerichte (§ 35 StaRUG analog: COMI des Schuldners) würde die Anwendung deutschen Rechts (§§ 2 ff. StaRUG) auf alle danach gestaltbaren Forderungen des Schuldners – unabhängig von deren Statut – folgen (so etwa die Idee bei Skauradszun, NZI 2021, 568; auch eine erste Entscheidung des englischen High Court zum neuen Restructuring Plan sieht in ihm der Sache nach ein Insolvenzverfahren: Gategroup Guarantee Ltd, Re [2021] EWHC 304 (Ch) (17 February 2021) .

Leider stößt eine solche Analogie in Deutschland bereits auf methodische Einwände. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte es keiner Sonderregel für öffentliche Restrukturierungssachen bedurft. Man hätte schlicht alle StaRUG-Verfahren der EuInsVO unterstellt. Es dürfte für eine Analogie also bereits an der Planwidrigkeit der Regelungslücke fehlen. Auch passt das Regelungsregime der Art. 7-18 EuInsVO, §§ 335-342 InsO nicht ohne Brüche zu den Besonderheiten eines nur bestimmte Gläubiger und Gesellschafter betreffenden und daher nicht öffentlichen Restrukturierungsversuchs und genau aus diesem Grund wich der Gesetzgeber auf eine zweite Verfahrensoption (nicht-öffentliche Verfahren) aus. Schon die Interessenlage ist insofern nicht vergleichbar.

(3) Erweiterung des Gesellschaftsstatuts:

Wer in den nicht-öffentlichen StaRUG-Verfahren rein gesellschaftsrechtliche Verfahrenshilfen erkennt, für den bestimmt das Gesellschaftsstatut und damit die Gründungstheorie bzw. gegenüber Drittstaaten die Sitztheorie das anzuwendende Sachrecht (J. Schmidt, ZInsO 2021, 654). Das Recht des Satzungs- oder Verwaltungssitzes ist auch das maßgebliche Restrukturierungsrecht. Schuldner mit Sitz in Deutschland könnten dann das StaRUG auch nutzen, um ausländische Rechtsverhältnisse zu verändern.

Fraglich ist allerdings, inwieweit das Argument überzeugt, ein Rechtsinstrument im Überschneidungsbereich von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht ist in seiner Gänze nur noch Gesellschaftsrecht zuzuweisen, wenn das Insolvenzrecht nicht gelten soll (so Schmidt). Die vertragsrechtliche Komponente einer Restrukturierung geht so völlig verloren. Vor allem aber bleibt offen, was bei Schuldnern gelten soll, die ihr Unternehmen nicht über eine Gesellschaft als Rechtsträger betreiben (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).

(4) Die lex fori:

Die Lösung könnte vielmehr in einer Anwendung der EuGVVO und damit im Verweis auf die lex fori gefunden werden, erscheint es doch selbstverständlich, dass international zuständige Gerichte ihre eigenen Verfahrensregeln anwenden. Bedenken gegenüber diesem Ansatz folgen aus dem Inhalt der lex fori, die eben nur die heimischen Verfahrensregeln, also das Prozessrecht, zur Anwendung beruft, bei Eingriffen in materielle Rechte aber keine Aussage darüber treffen kann, welches Sachrecht eben diese Eingriffe reguliert.

An diese Grenze stößt im Übrigen auch die lex fori concursus, also das Insolvenzstatut, das traditionell wie konzeptionell nur den verfahrensrechtlichen Umgang mit dem Schuldnervermögen und den Gläubigerforderungen regeln kann, nicht aber selbst materielle Rechtsänderung erzeugt. Lediglich Durchsetzungshindernisse entstehen (so etwa bei Ablehnung der Erfüllung nach § 103 InsO oder einem Planerlass nach § 254 Abs. 3 InsO bzw. einer Restschuldbefreiung nach § 301 InsO). Die Veränderung materiellen Rechts bedarf der Umsetzung nach Maßgabe des anwendbaren Rechts. Dabei ist die Grenzziehung sicher fließend, etwa wenn formal nur die Durchsetzbarkeit von Forderungen verändert wird (permanent stay), zugleich aber solche „prozessualen“ Wirkungen ein bestehenbleibendes materielles Recht im Kern entwerten. Man kann insofern durchaus auf die Idee kommen, solche „prozessualen“ Insolvenzwirkungen als materiell und damit nicht von der lex fori concursus gedeckt anzusehen, wie es die englischen Gerichte mit der Wiederentdeckung der Rule in Gibbs getan haben – dazu Bakhshiyeva v Sberbank of Russia & Ors [2018] EWHC 59 (Ch) (18 January 2018).

Die Diskussion um die Reichweite der lex fori concursus soll hier nicht vertieft werden, da sie den StaRUG-Verfahren nicht hilft. Festzuhalten ist allerdings, dass die allgemeine lex fori erst recht nicht in der Lage sein kann, das Sachrecht für die Veränderung materiellen Rechts zu bestimmen.

(5) Die Notwendigkeitsdoktrin:

So bleibt schließlich nur die Feststellung, dass keine der etablierten IPR-Grundsätze das besondere Geschehen einer nicht-insolvenzlichen Restrukturierung in dem Sinne erfassen, dass eine einheitliche Lösung für heimische wie ausländische Rechtsverhältnisse erreicht wird.

Eine Lösung kann hier – bis zum Eingreifen des Gesetzgebers – nur im Wege der Rechtsfortbildung entstehen. Sie sollte sich am pragmatischen Ansatz englischer Gerichte im Umgang mit Schemes of Arrangements ausländischer Unternehmen orientieren. Diese haben auf Basis der Feststellung ihrer internationalen Zuständigkeit (sufficient connection with England) und der Feststellung einer hinreichend sicheren Anerkennung der Wirkungen des Schemes auf ausländische Rechtsverhältnisse in den betreffenden Rechtsordnungen die Antwort auf Frage nach dem (tatsächlich) anwendbaren Recht offengelassen. Zugleich spielt der Gesichtspunkt, ob zumindest ein Teil der zu restrukturierenden Rechtsverhältnisse englischem Recht unterliegen, bei der Feststellung einer „sufficient connection with England“ und damit bei der Bejahung der internationalen Zuständigkeit eine Rolle, wenngleich dies kein entscheidender Gesichtspunkt ist (siehe schon in Rodenstock GmbH, Re [2011] EWHC 1104 (Ch) (06 May 2011); zuletzt etwa Colouroz Investment et al [2020] EWHC 1864 (Ch.) at 66 oder auch Swissport Fuelling Ltd, Re [2020] EWHC 1499 (Ch) (05 June 2020)). Interessanterweise wird also aus dem anwendbaren Recht auf das Forum, nicht aber aus dem Forum auf das anwendbare Recht geschlossen. Insgesamt ist dieser Umgang mit ausländischen Schuldnern und ausländischen Rechten von dem Grundgedanken getragen, dass der Schuldner und die zustimmende Gläubigermehrheit, sofern sie im Heimatrecht keine Hilfe wie im englischen Recht finden, das englische Scheme nutzen dürfen, sofern diese Restrukturierungshilfe für sie wirksam ist. Das Gesamtinteresse an der Restrukturierungslösung – deren Notwendigkeit – schlägt Brücken über rechtliche Lücken.

Ein solch pragmatisches Vorgehen wird auch den deutschen Restrukturierungsgerichten zu empfehlen sein. Kann die internationale Zuständigkeit bejaht werden und ist die Anerkennung des Plans in relevanten Rechtsordnungen hinreichend wahrscheinlich (was in der Regel durch Sachverständigengutachten zu belegen sein wird), so sollte die Frage nach der Anwendbarkeit des StaRUG auf alle betroffenen Rechtsverhältnisse offen bleiben dürfen, sofern relevante Anknüpfungspunkte für das anwendbare Recht zumindest im Schwerpunkt nach Deutschland verweisen (etwa das Sachrecht der Mehrzahl der zu restrukturierenden Rechtsverhältnisse oder auch eine Gerichtsstandsvereinbarung oder -klausel). Sollen im nicht-öffentlichen StaRUG-Verfahren lediglich Anleihen oder Kreditverträge mit Rechtswahlklauseln zugunsten ausländischer Rechtsordnungen restrukturiert werden, so wäre zunächst die Rechtswahl oder zumindest der Gerichtsstand zugunsten Deutschlands zu ändern.

Auf mittlere Sicht wird der deutschen, besser noch der europäische Gesetzgeber gefordert sein, die für außerinsolvenzliche Restrukturierungen entstandene Regelungslücke durch die Normierung eines eigenen Restrukturierungsstatuts zu schließen, dass nach dem regelungstechnischen Vorbild der Art. 7 bis 18 EuInsVO gern von einer Grundsatz- und mehreren Ausnahmebestimmungen getragen sein kann, dabei aber inhaltlich auf die Besonderheiten von Restrukturierungen eingeht und diese für alle drei Fragen grenzüberschreitender Sachverhalte mit eigenständigen Regelungen beachtet. Insbesondere die Wahl des Restrukturierungsgerichts und –rechts durch Vereinbarung und die limitierte Zahl von nicht dispositiven Ausnahmen von dieser Wahl wird hier zu erlauben und im Detail zu regeln sein.

Auf in die Moderne! Das SanInsFOG macht den Restrukturierungsstandort Deutschland 2021 wettbewerbsfähig

Am 19. September 2020 hat nach dem englischen und niederländischen nun auch der deutsche Gesetzgeber seine Vorstellungen zur Umsetzung der Insolvenz- und Restrukturierungsrichtlinie veröffentlicht. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFOG) enthält dabei gleich mehrere Reformprojekte, die zum Teil an die Richtlinienvorgaben anknüpfen (vorinsolvenzliche Restrukturierung, angemessene Verwaltervergütung; Eröffnungsgründe als Zugangsabgrenzung), zum Teil aber auch Reformbedarf aus der ESUG-Evaluierung adressieren. Hinzu kommt eine kleine Sonderregel für Covid-19-Folgen (diese ist unzureichend und sollte durch einen Corona-Schutzschirm ergänzt werden).

Außerinsolvenzliche Restrukturierungshilfen – das StaRUG

Erster und innovativster Teil des Reformgesetzes ist die Umsetzung der Richtlinienvorgaben zum präventiven Restrukturierungsrahmen durch das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG). Der Gesetzgeber etabliert damit modular zur Verfügung stehende gerichtliche Restrukturierungshilfen nach dem Vorbild des englischen und niederländischen Modells, legt den Zugang zu diesen aber allein in die Hand des Schuldners. Dieses Regelungskonzept lässt die Struktur eines klassischen Vergleichsverfahrens hinter sich und involviert das Gericht nur, wo eine solche Intervention hilfreich ist (Vertragshilfe statt Vergleichsverfahren). Die einzeln verfügbaren, aber auch kombinierbaren Hilfen finden sich nicht in verschiedenen Gesetzen (so mein Vorschlag im Sommer 2019), sondern in einem neuen Restrukturierungsgesetz – dem StaRUG.

Konzentrierte Restrukturierungsgerichte

Die wichtigste Innovation besteht sicher schon darin, den Bundesländern die Einrichtung von Restrukturierungsgerichten vorzugeben. Restrukturierungshilfen bleiben so klar von den Insolvenzgerichten  getrennt. Vor allem aber wird es nur ein Restrukturierungsgericht je OLG-Bezirk geben, sodass zumindest in diesem Bereich Kompetenzen und Erfahrungen gebündelt werden. Idealerweise nehmen die Bundesländer dies zum Anlass, auch ESUG-Verfahren nur noch einem Insolvenzgericht je OLG-Bezirk zuzuweisen (§ 2 Abs. 2 InsO dürfte dies zulassen).

Das deutsche Mandat ad hoc – die Sanierungsmoderation

Der Gesetzgeber bietet dem Schuldner in Sanierungsverhandlungen sodann eine gerichtlich bestellte Sanierungsmoderatorin an, mit deren Zustimmung ein erfolgreich verhandelter außergerichtlicher Sanierungsvergleich durch gerichtliche Bestätigung in den Genuß von Anfechtungsprivilegien im Fall einer Folgeinsolvenz kommen kann. Das französische Mandat ad hoc bietet in Verbindung mit der Conciliation Vergleichbares.

Die deutsche Antwort auf das niederländische WHOA – das modulare Restrukturierungshilfen mit Planbezug

Gelingt dem Schuldner in seinen Verhandlungen kein Sanierungsvergleich, da die hierzu notwendige Zustimmung aller Beteiligten nicht zu erreichen ist, so wird ihm ein Restrukturierungsplan zur Verfügung gestellt, der schon bei hinreichender mehrheitlicher Unterstützung der Planbetroffenen (75% Summenmehrheit aller Forderungen in jeder Gruppe) für alle verbindlich wird. Diese Mehrheitserfordernisse sind höher als bei unseren Nachbarn (75% aller Betroffenen statt 66% aller Abstimmenden), zugleich ist aber das Votum einer ablehnenden Gruppe etwas einfacher zu überwinden (weniger konkrete Anforderungen insbesondere an die Wertzuweisung im Plan als im niederländischen WHOA). Hervorzuheben ist, dass sich der Gesetzgeber im Anschluss an Ideen, die Bob Wessels und ich im ELI Report veröffentlicht hatten, für eine zugunsten fortführungsnotwendiger Gesellschafter durchbrechbare absolute Vorrangregel entschieden hat („relaxed APR“ – zum Streit mit der „relativen Vorrangregel“ und deren Vorzügen hier) – und diese Entscheidung auch in § 245 Abs. 2 InsO übernimmt. Ebenfalls in beiden Planverfahren (StaRUG und InsO) wird die Erstreckung von Planwirkungen auf Sicherungsrechte bei Konzerntöchtern eingeführt.

Der Schuldner kann die insofern erforderlichen Zustimmungserklärungen außergerichtlich einsammeln und dokumentieren. Hierzu kann er den Plan mit der Bitte um Zustimmung an die Betroffenen versenden und das Ergebnis der Rückmeldungen dokumentieren muss. Er kann aber auch einen privat zu organisierenden Erörterungs- und Abstimmungstermin veranstalten. Kommen hinreichende Mehrheiten zustande oder besteht Aussicht auf die Anwendbarkeit des Obstruktionsverbotes, so kann der Schuldner den Plan mit allen Unterlagen zur Abstimmung dem Restrukturierungsgericht zur Bestätigung vorlegen.

Alternativ kann der Schuldner auch das Restrukturierungsgericht mit der Organisation eines gerichtlichen  Erörterungs- und Abstimmungstermins beauftragen. Das Verfahren nähert sich dann stark dem englischen Scheme of Arrangement an, zumal das Gericht über streitige Rechtsfragen vorab entscheiden kann. Letzteres ist übrigens auch im Rahmen außergerichtlicher Erörterungen möglich.

Wird der Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt, so richten sich seine Anfechtbarkeit mit Rechtsmitteln wie auch die Planwirkungen rechtskräftig bestätigter Pläne nach den Grundsätzen des Rechts der Insolvenzpläne in den §§ 253 ff. InsO (sofortige Beschwerde, Freigabe, Vollstreckbarkeit, Nichterfüllungsfolgen, Planüberwachung). Neu ist die Regelung zur Anfechtungssicherheit von Plänen und Planleistungen – diese Regel sollte auch in der InsO für den Fall einer erneuten Insolvenz verankert werden. Sie gilt auch für Planumsetzungsfinanzierungen (new finance). Was fehlt, ist eine Regelung zu Zwischenfinanzierungen.

Restrukturierungsforderungen und schwebende Geschäfte – Plankonzept und gerichtliche Vertragsbeendigung

Neu und entsprechenden Instrumenten im niederländischen (WHOA) und englischen (CVA) Recht nachgebildet ist das Recht des Schuldners, vom Gericht die Beendigung schwebender Verträge ausprechen zu lassen, wenn dies nach dem von den Gläubigern getragenen Restrukturierungskonzept erforderlich und eine privatautonome Vertragsanpassung gescheitert ist. Würde der Vertragspartner dann auch eine Vertragsbeendigung nach den Regeln der §§ 103, 109 InsO hinnehmen müssen, bleibt dem Schuldner der formale Umweg in ein Insolvenzverfahren erspart. Stattdessen kann das Restrukturierungsgericht neben der Bestätigung des Planes (wo nur zum Stichtag der Planvorlage bestehende Forderungen erfasst werden dürfen) auch die – häufig als Planbedingung wohl verknüpfte – Vertragsbeendigung beschließen, die Kündigungswirkung hat. Der so erzeugte Einigungsdruck sollte in Verhandlungen mit Vermietern, Leasing- oder Lizenzgebern helfen, notwendige Vertragsanpassungen auf ein Niveau zu erreichen, das der andere Vertragsteil nicht ohne weiteres auch am Markt erzielen kann. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass der Nichterfüllungsschaden aus der Beendigung plantauglich ist, also bis zur Grenze des Schlechterstellungsverbotes auf den wirtschaftlichen Wert reduziert werden kann. Insbesondere für Filialunternehmen wird hierdurch das neue Recht interessant.

Der gerichtlich abgesicherte Standstill – die Stabilisierungsanordnung

Wird das Restrukturierungskonzept durch Rechtsdurchsetzungshandlungen einzelne Gläubiger gestört, so kann der Schuldner durch eine gerichtliche Stabilisierungsanordnung gefährdende vertragliche Gestaltungsrechte suspendieren, Vollstreckungsmaßnahmen einfrieren und die Nutzung besicherter Gegenstände erreichen. Dazu ist die Erforderlichkeit der Maßnahme darzulegen, woraus sich auch deren Umfang und Dauer (max. 3 Monate) ergibt. Widersprüchlich ist die Möglichkeit, die Anordnung gegen „alle“ Gläubiger zu richten, sodass der Adressatenkreis nicht mehr zu individualisieren wäre, was aber – etwa beim Zustellungserfordernis – notwendig wäre. Tatsächlich sollte der Gesetzgeber auf solche kollektiven Maßnahmen vorinsolvenzlich verzichten (dazu näher bereits hier).

Der Restrukturierungsbeauftragte – unabhängiger Experte in der Sanierung

Außerhalb des Insolvenzverfahrens bleibt der Schuldner über sein Vermögen frei verfügungsbefugt. Folgerichtig kommt ein  Restrukturierungsbeauftragter mit gerichtlichem Mandat nur ins Spiel, wenn die Richtlinie dies verlangt (höhere Eingriffsintensität) oder die Beteiligten dies wünschen. Ihm obliegt dann die Aufsicht und Berichterstattung an das Gericht, aber auch die Stellungnahme zur Erforderlichkeit eingriffsintensiverer Hilfen (Plan, Stabilisierungsanordnung, Vertragsbeendigung). Im Einzelfall kann das Gericht sogar Kassenführungs- und Mitwirkungsrechte bei der Geschäftsführung anordnen – was der Natur dieses rechtlichen Rahmens nicht wirklich gerecht wird und nochmals überdacht werden sollte. Anzuregen wäre an dieser Stelle, den bei größeren Verfahren bei der Erstellung von IDW S6-Gutachten ohnehin beteiligten Gutachter explizit als Restrukturierungsbeauftragten einzubinden und so auch dem Gericht als Ansprechpartner zugänglich zu machen. Jedenfalls sollten die Beteiligten dessen fakultative Bestellung beantragen dürfen. [Im Hinblick auf Rückfragen zu dieser Idee folgende Klarstellung: Die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten ist uU zwingend gesetzlich vorgegeben. Besteht in einer finanziellen Restrukturierung unter den betroffenen Gläubigern (weitgehend) Vertrauen in den Sanierungsgutachter, so scheint es aus Kostengesichtspunkten unnötig, einen weiteren Gutachter/Berater/Verwalter in ein Verfahren einzubinden, in dem er und solange er nicht benötigt wird.]

Außenwirkung – Öffentliche und nicht-öffentliche Restrukturierungshilfen

Wiederum in Anlehnung an das niederländische Vorbild ist es auch dem Schuldner erlaubt, die gerichtlichen Hilfen entweder (insgesamt) öffentlich oder nicht-öffentlich in Anspruch zu nehmen. Nur öffentliche Restrukturierungssachen werden durch das Gericht öffentlich bekannt gemacht und unterliegen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr der EuInsVO. Nicht-öffentliche Verfahren dürften der mangels Anwendbarkeit der EuInsVO sowie mangels Erfüllung der Definition eines Insolvenzverfahrens in Art. 1 Abs. 1 EuInsVO in den Anwendungsbereich der EuGVVO fallen (soweit der EuGH sie nicht doch als dem Insolvenzverfahren „ähnliche“ Verfahren hiervon ausschließen würde – wofür keine guten Gründe sprechen). Sie genießen insofern die großzügigeren Zuständigkeitsregeln der EuGVVO, deren Schutz gegen Parallelverfahren und die automatische Anerkennung von Entscheidungen, müssen aber eben auch die Regeln zu ausschließlichen Gerichtsständen beachten. Grenzüberschreitende Regelungen zu Grundpfandrechten oder Versicherungsansprüchen werden so erschwert. Hier besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf, der auf eine europäische Restrukturierungsverordnung abzielen sollte, die neben die EuInsVO und die EuGVVO tritt.

Umsetzung der Anregungen der ESUG-Evaluierung

Der zweite Teil des Reformgesetzes betrifft die Reform des Insolvenzrechts im Anschluss an die Erkenntnisse, die im Rahmen der ESUG-Evaluierung gewonnen wurden. Neben vielen technischen, aber wichtigen Korrekturen im Bereich des Planverfahrensrechts finden sich nur punktuelle Klarstellungen im Bereich der Eröffnungsgründe (die Überschuldung bleibt antragspflichtig). Folgenreich ist die Neugestaltung der Eigenverwaltung. Hier wird der Nachteilsbegriff fallen gelassen und nur noch geplanten Sanierungsfällen der Zugang zur Eigenverwaltung gewährt. Auch finden sich die in der Evaluierung herausgearbeiteten Ausschlüssgründe als Regelbeispiele für Schuldner, denen selbst dann keine Eigenverwaltung zugestanden werden sollte. Dabei gelten einheitliche Zugangsregeln für die vorläufige Eigenverwaltung inklusive Schutzschirmverfahren und das eröffnete Verfahren in Eigenverwaltung. Diese Neuordnung ist zu begrüßen.

Kritischer darf die geplante Bestellung eines Sondersachwalters in Fällen des dem Gericht bindend vorgegebenen Sachwalters betrachtet werden. Die damit provozierten zusätzlichen Konflikte dürften Sanierungen nicht eben erleichtern. Die Idee sollte aufgegeben und durch eine passgenaue Ausrichtung der Sachwalterkompetenzen an die Qualität der Eigenverwaltungsplanung ersetzt werden (so schon der Forschungsbericht zur ESUG-Evaluierung auf S. 90).

Das neue Restrukturierungsrecht in Deutschland

Im Zusammenspiel von StaRUG und InsO entsteht ab 2021 ein komplexes System an gerichtlichen Restrukturierungshilfen, die in diesem Schema veranschaulicht werden (hier nun auch als pps zum Download).

Die Attraktivität des Restrukturierungsplans nach dem StaRUG gegenüber Sanierungsvergleichen und Insolvenzplänen wird zunächst durch Unterschiede im Regelungsumfang limitiert. Während außergerichtlich im Einvernehmen mit allen Betroffenen (selbstverständlich) alle Regelungsinhalte möglich sind und auch im Insolvenzplan mit Ausnahme von Masseverbindlichkeiten Schulden umfassend restrukturiert werden können, erlaubt das StaRUG dem Restrukturierungsplan (entsprechend der Vorgaben der Richtlinie) keine Eingriffe in Arbeitnehmerrechte inklusive ihrer betrieblichen Altersvorsorge. Auch Planregelungen zur Haftung aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen (Stichwort Dieselgate) sind unzulässig. Sanierungskonzepte, die hierzu Maßnahmen vorsehen, werden weiter entweder über ein Insolvenzplanverfahren oder rein außergerichtlich umgesetzt werden müssen.

Hinzu kommt, dass der Schuldner zur Inanspruchnahme des Rahmens im Moment der Anzeige weder zahlungsunfähig noch überschuldet sein darf, gleichwohl aber zumindest im Moment der gerichtlichen Entscheidung über konkret beantragte Restrukturierungshilfen drohend zahlungsunfähig sein muss. Ob ein solches – von der Richtlinie nicht vorgegebenes – Zugangsfenster zu eng bemessen ist, wird sich wohl erst in der Praxis zeigen und auch vom sanierungsfreundlichen Umgang mit den Tatbeständen der Überschuldung und drohenden Zahlungsunfähigkeit bestimmt werden. Angesichts der hohen Zustimmungserfordernisse scheint diese Zugangshürde wenig überzeugend (dazu schon hier).

Der deutsche Restrukturierungsrahmen – Anregung einer zivilrechtlichen Umsetzung

Der deutsche Restrukturierungsrahmen – Anregung einer zivilrechtlichen Umsetzung

Die „Richtlinie über Restrukturierungs- und Insolvenz„, so ihr nun offizieller Kurztitel, ist in Kraft. Die Umsetzungsfrist läuft damit und das BMJV hat begonnen, Konsultationen mit allen Interessengruppen zu führen. Zugleich beginnt die Diskussion einer möglichen Richtlinienumsetzung auf einer Vielzahl von Tagungen und Vortragsveranstaltungen. Gerade der Blick auf den präventiven Restrukturierungsrahmen wird dabei nicht selten von Vorstellungen geprägt, die sich an bekannten Vorbildern orientieren: der ehemaligen Vergleichsordnung, dem Scheme of Arrangement (oft englischer, manchmal nun auch irischer oder niederländischer Art), den französischen Präventivverfahren. Dies ist verständlich, kann man doch von eigenen früheren Erfahrungen bzw. von denen in anderen Rechtsordnungen lernen und profitieren.

Durch diese Prägung besteht allerdings die Gefahr, eine Umsetzungsoption zu übersehen, die sich ebenfalls in den Spielräumen der Richtlinie bewegt und zugleich an den Umstand anknüpft, dass jede Restrukturierung durch Verhandlungen mit dem Ziel einer konsensualen Lösung geprägt ist, die nur in gewissen, durch das Gesetz (und die Richtlinie) bestimmten Fällen einer gerichtlichen Beteiligung bedarf. Das Gericht kann dann nach den Vorgaben der Richtlinie vertragliche Rechte ebenso suspendieren wie gesetzliche Vollstreckungsmöglichkeiten. Pläne mit gewissem Inhalt (privilegierte Finanzierungen) werden trotz des Konsens aller Beteiligten erst verbindlich, wenn die gerichtliche Bestätigung vorliegt; mehrheitlich unterstützte Pläne ebenso. Die Regelungswirkung eines präventiven Restrukturierungsrahmens findet man also primär im Schuld- und Vollstreckungsrecht.  Es liegt insofern nahe, die entsprechenden Regelungen ebenfalls dort zu verankern.

Um die Vorstellung einer zivilrechtlichen Umsetzung des präventiven Restrukturierungs-rahmens konkret möglich zu machen, habe ich mir erlaubt, sie in Form einer gesetzlichen Regelung mit Erläuterungen – also ähnlich wie ein Gesetzesvorschlag – zu formulieren (Download des PDF hier). Die Umsetzung der Richtlinie würde in neuen §§ 313a bis c, 314a BGB sowie einem neuen § 765b ZPO erfolgen. Daneben wären Ergänzungen in der InsO und dem GVG notwendig. Schließlich enthält der Vorschlag eine kurze Erläuterung der in ihm enthaltenen Regelungen zum Obstruktionsverbot, die nochmals die Bedenken ausräumen soll, die gegen eine Aufweichung der absoluten Vorrangregel geltend gemacht werden.

Die Idee einer zivilrechtlichen Umsetzung ist ein Denkanstoß. Sie soll zeigen, was möglich und aus meiner Sicht empfehlenswert ist, um eine Regelung zu schaffen, die insolvenzfern, international konkurrenzfähig und dogmatisch logisch verankert ist. Die so geschaffenen Sanierungshilfen wäre zivilrechtlich geprägt und folglich nicht in den Anhang A der EuInsVO aufzunehmen. Auch ausländische Unternehmen könnten sie über die Brüssel Ia-VO nutzen.

Madaus – Zivilrechtliche Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie – eine Diskussionsgrundlage (WP 2019-08)

Die Niederlande beginnen mit der Umsetzung – das „Dutch Scheme“ ist im Gesetzgebungsverfahren

Am 5. Juli 2019 hat das Justizministerium der Niederlande einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der zur Umsetzung des Restrukturierungsrahmens der gerade erst im Amtsblatt veröffentlichten Restrukturierungsrichtlinie eine niederländische Version – genauer gesagt sogar zwei – des englischen Scheme of Arrangement beinhaltet. Dem interessierte Leser steht eine englische Version des Gesetzestextes zur Verfügung, ebenso eine Zusammenfassung durch RESOR.

Das atemberaubende Umsetzungstempo unserer Nachbarn wird dadurch erklärlich, dass Vertreter ihrer Restrukturierungsbranche gemeinsam mit dem Justizministerium schon angesichts des Richtlinienvorschlags der Kommission und des Brexit-Votum im Jahr 2016 damit begannen, ein „Dutch Scheme of Arrangement“ zu entwickeln. Dieses sollte die Stärken des englischen Vorbilds aufnehmen, zugleich aber dessen Schwächen (kein Moratorium, kein Cross-Class-Cramdown, keine Vertragsanpassungen wie im CVA) vermeiden. Es entstand ein Scheme of Arrangement, das mehr an das Singapurer Modell erinnert als das englische. Es findet sich ein gerichtliches Verfahren, in dessen Rahmen

  • ein Moratorium zur Verfügung steht,
  • der Schuldner in Eigenverwaltung bleibt,
  • Vertragsanpassungen ohne Plan erfolgen können,
  • die Kapitalstruktur kollektiv wie auch selektiv durch einen Plan restrukturiert werden kann,
  • die dazu erforderliche Gruppenbildung geprüft wird, die (elektronische) Abstimmung organisiert wird,
  • eine gerichtliche Bestätigung unter Berücksichtigung von Einwendungen erfolgt,
  • Rechtsmittel limitiert werden.

Bemerkenswert ist dabei, dass dieses Verfahren eine öffentliche und eine nicht-öffentliche Variante kennt. Findet es öffentlich statt, wird es über seine Aufnahme im Anhang A der EuInsVO unterfallen. Dem nicht-öffentlichen Verfahren ist demgegenüber der Anwendungsbereich der EuInsVO verschlossen. Eine Anerkennung im EU-Ausland wird dann über die Brüssel Ia-VO erfolgen und damit ebenfalls automatsich möglich sein. Der Zugang wird dabei nicht vom COMI des Schuldners abhängen; die Beteiligung von Gläubigern mit Sitz in den Niederlanden oder niederländischem Vermögen würde ebenso genügen wie eine Gerichtsstandsvereinbarung mit Ziel Niederlande. Damit soll das „Dutch Scheme“ nach dem Vorbild Londons und Singapurs gerade für ausländische Unternehmen attraktiv werden.

Abgerundet wird diese Strategie durch das seit Januar 2019 tätige internationale Handelsgericht (Netherlands Commercial Court), das seine Verfahren in englischer Sprache führt und von den Parteien im Rahmen eines internationalen Wirtschaftsrechtsstreits durch eine Gerichtsstandsvereinbarung gewählt werden kann. Es soll insbesondere für „Dutch Schemes“ ausländischer Unternehmen das Forum der Wahl werden und so dem High Court in London, aber auch dem in Singapur Konkurrenz machen.

Für die deutsche Umsetzungsdiskussion schafft das „Dutch Scheme“ Maßstäbe. Dies gilt nicht einmal zwingend für seine Verfahrensgestaltung und die aufgenommenen Sanierungsinstrumente. Die Ausgestaltung als (optional) vollwertiges kollektives Restrukturierungsverfahren fällt einer Rechtsordnung sicher leichter, in der die letzte Gesetzesreform des heimischen Insolvenzrechts Jahrzehnte zurückliegt und die daher derartige Instrumente im Insolvenzverfahren nicht kennt, sodass keine Anpassungsdiskussionen entsteht. Hier sollten wir in Deutschland differenziertere Wege gehen. Was beeindruckt ist die konsequente Ausrichtung auf ein international wettbewerbsfähiges und attraktives Rechtsangebot. Noch mehr hervorzuheben ist die institutionelle Absicherung der neuen Verfahren durch den Netherlands Commercial Court. Ausländische Unternehmen wissen so – wie in England und Singapur – sehr genau, dass sie auf kompetente, entscheidungsfreudige und ökonomisch denkende Richter treffen. Hiervon sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt.

 

Der finale Richtlinientext ist da – und folgt weitgehend der gemeinsamen Ausrichtung im Rat

Der finale Richtlinientext ist da – und folgt weitgehend der gemeinsamen Ausrichtung im Rat

Der Europäische Rat konnte sich – nach durchaus kontroversen Verhandlungsrunden  – vor Weihnachten mit dem Europäischen Parlament auf einen finalen Text der Restrukturierungsrichtlinie einigen. Dabei war insbesondere die konkrete Ausgestaltung des Restrukturierungsrahmens streitig, hatte hier das Parlament in seiner Stellungnahme doch einige durchaus problematische Positionen bezogen (dazu näher hier).

Die nun veröffentlichte finale Fassung des Richtlinientextes macht nach einer ersten Durchsicht deutlich, dass die Kompromisslinie – zum Glück – nahe an der Ratsposition gefunden wurde.

  • Der Zugang zu Restrukturierungshilfen kann von einem Viability-Test abhängig gemacht werden, muss es aber nicht.
  • Eine Beteiligung des PIFOR (Restrukturierungsexperten) wird nur bei vollständig kollektiven Moratorien (vorbehaltlich einer gerichtlichen Notwendigkeitsprüfung), bei Notwendigkeit eines Cross-Class-Cramdown oder bei Antrag des Schuldners oder der Gläubigermehrheit zwingend.
  • Der Vollstreckungsstopp kann kollektiv oder auch selektiv gestaltet werden und kann zunächst max. 4 Monate dauern, verlängerbar auf max. 12 Monate.
  • Insolvenzantragspflichten sind bei Anordnung eines Vollstreckungs-stopps suspendiert; eine Ausnahme bei Zahlungsunfähigkeit ist möglich.
  • Die Planvorlage bedarf nicht zwingend eines begleitenden Experten-gutachtens. Sie kann in Mitgliedstaaten auch für Gläubiger oder den PIFOR geöffnet werden.
  • Das Erreichen einer Kopfmehrheit in der Gruppe ist nur notwendig, wenn dies Mitgliedstaaten so vorsehen.
  • Der Abbau von mehr als 25% der Arbeitsplätze im Plan löst eine gesonderte Bestätigungsnotwendigkeit aus, wenn insoweit eine Plananfechtung erfolgt.
  • Ein Cross-Class-Cramdown ist möglich unter Einhaltung der Relative-Priority-Rule, wobei die Mitgliedstaaten alternativ auch an der Absolut-Priority-Rule festhalten können. Jedenfalls sind hier Ausnahmen für SME möglich.
  • Rechtsmittel gegen die Planbestätigung haben keine aufschiebende Wirkung.
  • Die Vorgaben an die Gestaltung der Geschäftsführungspflichten in der Krise bleiben eher vage.

Die Parlamentsposition findet sich vor allem in der Sicherung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Verfahren, soweit dieser Personalmaßnahmen beinhaltet, sowie in Privilegierungsklauseln für Kleingläubiger wieder. Auch konnte das Parlament festhalten, dass die Bestätigung eines Restrukturierungs-plans auch bei vollständiger Gläubigerunterstützung dann erforderlich ist, wenn nach dem Plan mehr als 25% der Arbeitsplätze verloren gehen und der Plan insofern angefochten wird (Art 10 (1)(b) und (2) letzter Satz. Voraussetzung hierfür ist nach Erwägungsgrund 30 allerdings, dass der Plan nach nationalem Recht selbst unmittelbar die Anpassung/Beendigung der Arbeitsverhältnisse beinhalten darf. Im deutschen Recht ist dies einem Plan bislang nicht möglich; es bedarf der arbeitsrechtlichen Umsetzung im Wege der Kündigung. Bliebe dies so, hätte dieser Bestätigungstatbestand keine Relevanz.

Insgesamt findet sich ein Rechtsrahmen, der eine Vielzahl an Ausgestaltungsfragen dem nationalen Gesetzgeber überlässt. Die Diskussion wird sich also nach Berlin verlagern. Dabei wird man nicht aus dem Auge verlieren dürfen, wie unsere Nachbarn ihre Ausgestaltungsspielräume nutzen. Ein wenig restrukturierungsfreundliches deutsches Recht droht ansonsten durch Verfahren bei den Nachbarn marginalisiert zu werden (eingehend hierzu mein aktueller Blog-Beitrag bei Tax-Legal-Excellence).

Die Diskussion zum Richtlinienvorschlag gerät auf Abwege – der Bericht des EU Parlaments ist da

Die Diskussion zum Richtlinienvorschlag gerät auf Abwege – der Bericht des EU Parlaments ist da

Nach langen Beratungen hat nun auch Frau Niebler den finalen Bericht des Rechtsausschusses des EU Parlaments zum Entwurf einer Restrukturierungsrichtlinie vorgelegt. Dieser wird Gegenstand der Abstimmung des EU Parlaments und damit die – überaus vernünftige – Positionierung des Wirtschafts- und Sozialausschusses konsumieren. Mit der Abstimmung über diesen Bericht wird noch im September gerechnet, sodass das EU Parlament auf seiner Basis die Gespräche über die endgültige Fassung der Richtlinie mit der Kommission und dem Rat (also den Mitgliedstaaten) führen wird (sog. Trilog). Hier wird angesichts des Endes der Legislaturperiode im Mai 2019 mit einem Verhandlungsergebnis bis März 2019 gerechnet.

Ein Überblick über die bisher veröffentlichten offiziellen Texte zum Richtlinienentwurf findet man hier, einen Bericht zum Stand des gesamten Prozesses im Juni 2018 hier. Die Verhandlungspositionen der Kommission und des Rates sind noch abschließend bekannt. Die Kommission hat jedoch in Vorträgen ihrer Mitarbeiter einige „rote Linien“ erkennen lassen, um die Idee der Mindestharmonisierung nicht ganz aufzugeben.

Die Mitgliedstaaten haben sich im Mai 2018 auf eine gemeinsame Ausrichtung zur den Teilen der Richtlinie geeinigt, die nicht den präventiven Restrukturierungsrahmen betreffen. Die Einigung zu diesem Teil wird bis Ende September angestrebt.

Der Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 21. August 2018 ist das Ergebnis einer langwierigen Abstimmung über ca. 100 Änderungsanträge. Die sich hier widerspiegelnde intensive Arbeit von Lobbygruppen findet nun leider auch ihren Niederschlag im gewünschten Richtlinientext. Im Grundsatz ist festzustellen, dass die Instrumente eines Restrukturierungsrahmens auch nach Auffassung des Parlaments immer noch ausdrücklich im vorinsolvenzlichen Zeitfenster verfügbar gemacht werden sollen. Die gewünschte Ausgestaltung dieser Instrumente erinnert dann aber doch immer mehr an Insolvenzverfahren mit einer Restrukturierung oder übertragenden Sanierung als Verfahrensoptionen:

  • Eine Verwalterbeteiligung soll quasi immer möglich sein, wenn Mitgliedstaaten dies so vorsehen.
  • Pläne sollen nun Unternehmensbewertungen von „gerichtlich bestellten Experten“ (Art. 8 Nr. 1 b) enthalten; zugleich sollen Planerwartungen von „externen Experten“ testiert werden (Art. 8 Nr. 1 g).
  • In Gruppen bedürfte es neben Summen- auch der Kopfmehrheit.
  • Für Arbeitnehmer soll immer eine Pflichtgruppe gebildet werden, wenn sie vom Plan betroffen sind (wozu wohl schon genügen soll, dass aufgrund der oft nur begleitenden leistungswirtschaftlichen Sanierung Lohnverzichte oder ein Arbeitsplatzabbau droht). Zugleich sollen Arbeitnehmergruppen stets wie Gruppen gesicherter oder vorrangiger Gläubiger behandelt werden, was sie kaum einem Obstruktionsverbot unterwerfen würde.

Die Wünsche des Parlaments ist dabei vor allem an einer Stelle besonders fragwürdig. Art. 10 Abs. 1 verlangt eine gerichtliche Planbestätigung nicht mehr nur bei lediglich mehrheitlich unterstützten Plänen sowie bei Plänen, die Privilegien für Finanzierungen anstreben, sondern auch in allen Fällen, in denen ein Plan einen Arbeitsplatzverlust von mehr als 25% der Arbeitsplätze mit sich bringt. Erläutert wird diese Anforderung in den Erwägungsgründen nicht. Sie kann daher so interpretiert werden, dass nach Vorstellung des Parlaments künftig in allen Fällen einer außergerichtlichen Sanierung mit derartigem Arbeitsplatzverlust eine gerichtliche Planbestätigung erforderlich wird. Eine derartige Belastung konsensualer Sanierungen kann niemand wollen. Sie missachtet auch die im Kollektivarbeitsrecht bestehenden Möglichkeiten der Mitbestimmung bei Betriebsänderungen. Hier muss im Trilog eine Klarstellung erfolgen; idealerweise sollte dieses Bestätigungserfordernis in der finalen Richtlinie fehlen.

In der Gesamtschau kann man der Position des Parlaments gegenüber dem Kommissionsvorschlag kaum etwas Positives abgewinnen. Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Parlamentarier von einem Verfahren ausgehen, dass umfassend die Rechtspositionen aller Beteiligten berühren kann, wenngleich nicht muss. Insofern verwundert es kaum, dass der Rechtsausschussbericht in seinen Änderungsformulierungen ab und zu von einem Restrukturierungsverfahren („restructuring proceedings“, vgl. Art. 6 Nr. 7 aE) spricht. Schon dieser Ansatz ist problematisch, verkennt die Idee der Kommission und kann keineswegs überzeugen, bedarf es doch vor allem im vorinsolvenzlichen Bereich allenfalls eines kostengünstigen Vertragshilfeverfahrens, während tiefergehende Operationen zulasten einer Vielzahl von Beteiligten kollektiven Verfahren in der Insolvenz überlassen bleiben sollten (eingehend dazu der Bericht des European Law Instituts; auch mein Beitrag in der EBOR).

Die Parlamentsposition überzeugt insgesamt weder im Grundansatz noch im Detail. Kann sie sich im Trilog durchsetzen, werden vorinsolvenzliche Verfahren mit einer Vielzahl von Hürden und Anforderungen ausgestaltet werden müssen, die erst in der Insolvenz berechtigt sind, bei solventen Unternehmen aber unnötige Kosten erzeugen. Teure vorinsolvenzliche Sanierungshilfen, die etwa mehrere kostenträchtige Experten erfordern, werden in der Praxis nicht genutzt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen erhielten weiter keine effiziente Hilfeleistung in der Krise. Der Ausgangspunkt des Richtlinienvorhabens, gerade diesen Unternehmen, die 90 bis 95 Prozent der Volkswirtschaft in der EU ausmachen, im Fall einer Krise zu helfen, um NPL-Probleme in Europa zu adressieren, wäre konterkariert.

Im Trilog sollten sich mithin alle Beteiligten wieder auf die Funktion der Richtlinie und den Effizienzgedanken besinnen. Die Instrumente sollten vor der Insolvenz genau definiert werden und eingriffsarm bleiben. Es geht um Verhandlungsanreize und Vertragshilfe bei Sanierungsverhandlungen, nicht um ein vollumfassendes Restrukturierungsverfahren vor der Insolvenz. Unternehmen, die letzteres benötigen, sollen in kollektive Verfahrensformen gehen können (in Deutschland die ESUG-Sanierung). Gleichzeitig werden die wenigen Eingriffe primär durch Gläubigerunterstützung legitimiert; dem Gericht obliegt nur die Missbrauchskontrolle, nicht aber die wirtschaftliche Überprüfung. Es bleibt zu hoffen, dass die finale Richtlinie dies berücksichtigen wird. Jedenfalls sollte sie so viel Umsetzungsspielraum lassen, dass es den Mitgliedstaaten möglich ist, passgenaue „leichte“ Restrukturierungshilfen als Umsetzungsakt zu erlassen. Hierauf wird im Trilog zu achten sein.