Die IDW-Standards unter der Lupe – was sind sie eigentlich?

Keine Sanierung ohne „IDW S6“?  Man könnte meinen, man hätte es mit einem Industriestandard zu tun. Oder versteckt sich dahinter ein Gesetz?

Auf Einladung des Hamburger Kreises für Sanierungs- und Insolvenz-Steuerrechts e.V. durfte ich solchen Fragen vor atemberaubender Alpenkulisse nachgehen. Das Gespräch versammelte auf Einladung von Dr. Stefan Debus und Dr. Günter Kahlert neben meiner Person auch Torsten Gutmann und Martin Lambrecht zu einer lebhaften und zum Teil auch kontroversen Diskussion um Herkunft, Wirkung und Erfolg der Standards S 6, S 9 und S 11 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.  Ich habe viel gelernt. Ich hoffe, es geht ihnen nicht anders.

Fellow of the American College of Bankruptcy – Class 35

The American College of Bankruptcy announced this week who will be inducted as Fellows in the 35h Class of the College at its Annual Meeting, March 2024, in Washington, D.C. I am excited to share that I am a member of this class. It is difficult to describe the excitement I felt when I learnt about it.

What is the Amercian College of Bankruptcy

The American College of Bankruptcy is an honorary public service association of United States and international insolvency professionals who are invited to join as Fellows based on a proven record of the highest standards of expertise, leadership, integrity, professionalism, scholarship, and service to the bankruptcy and insolvency practice and to their communities. The College facilitates the effective domestic and cross-border application of bankruptcy and insolvency laws and the administration of justice in the courts through, among other activities, conducting professional educational programs, sponsoring the publication of scholarly reports, and maintaining the National Bankruptcy Archives. The College also funds projects that improve the quality of bankruptcy law and practice, as well as access to justice, in particular through grants by its affiliated Foundation. The Foundation is believed to be the single largest financial supporter of pro bono bankruptcy services in the United States, contributing over $5 million since 2003. Underlying all of its work, the College is dedicated to enhancing professionalism, scholarship, and service in bankruptcy and insolvency law and practice, and to promoting diversity, equity and inclusion within the organization and across the insolvency profession.

Fellows of the American College of Bankruptcy

The new Fellows are being honored and recognized for their professional excellence and exceptional contributions to the bankruptcy and insolvency practice. Trish Redmond, Chair of the Board of Regents responsible for selecting these candidates, noted, “Representing a broad cross-section of our industry, these professionals exemplify the combination of exceptional talent and selfless service that is the hallmark of College Fellows. The Board of Regents is thrilled to welcome Class 35 and looks forward to celebrating each new Fellow in Washington DC this spring.”

Nominees are extended an invitation to join based on a sustained record of achievement. Candidates are selected by the College’s Board of Regents from recommendations of Circuit Admissions Councils in each federal judicial circuit and Judicial and International Nominating Committees.

College Fellows include United States and international business and consumer bankruptcy attorneys, judges and other government officials, corporate turnaround specialists, accountants, financial advisors, academics and other professionals who are experts in the field of bankruptcy and insolvency. Criteria for selection as a Fellow of the College include: the highest standards of professionalism, ethics, character, integrity, professional expertise and leadership contributing to the enhancement of bankruptcy and insolvency law and practice; sustained evidence of scholarship, teaching, lecturing or writing on bankruptcy or insolvency; community service; and commitment to elevating knowledge and understanding of the profession and public respect for the practice.

Das Schreckgespenst des verwalterlosen Insolvenzverfahrens – bei Lichte betrachtet

Kaum eine Regelungsidee hat die Diskussion über die Harmonisierungsideen der EU Kommission zum Insolvenzrecht in Deutschland so beflügelt wie die des „verwalterlosen Verfahrens“ zur Liquidation von Kleinstunternehmen. In Stellungnahmen der Verwalterverbände (VID, NIVD, DAV), ersten schriftlichen Äußerungen (siehe etwa Sämisch, ZRI 2023, 93) und vor allem bei Paneldiskussionen wird diese Idee als „Risiko“, „realitätsfern“ oder „Einladung zum Missbrauch“ diskreditiert, ja die drohende Aufgabe der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts skizziert und eine Überforderung der Justiz prognostiziert. Ein genauerer Blick auf die Regelungsidee scheint daher lohnend.

 

Die Funktion des Liquidationsverfahrens für Kleinstunternehmen

Der 6. Teil des Richtlinienvorschlags vom 7. Dezember 2022 propagiert die europaweite Schaffung eines einheitlichen Liquidationsverfahrens für zahlungsunfähige Kleinstunternehmen. Das Verfahren dient also der ordnungsgemäßen Beendigung solcher Unternehmen – ihrem Marktaustritt. Zugleich – und vor allem – soll dieser Marktaustritt auch die gleichzeitige oder zumindest koordinierte Entschuldung der am Unternehmen und seinem Risiko finanziell beteiligten natürlichen Personen ermöglichen. Das gesamte unternehmerische Risiko der Unternehmung wird einheitlich adressiert und den Unternehmern samt mithaftenden Familienangehörigen ein echter Neustart ermöglicht.

Beide Aspekte sind im geltenden deutschen Insolvenzrecht nicht verwirklicht. Kleine und damit in der Krise oft schon masselose Unternehmen erzeugen masselose Insolvenzen, sodass selbst bei Stellung eines Insolvenzantrags oft kein Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 26 InsO). Die masselose Gesellschaft wird dann im Handelsregister gelöscht, ohne dass das Registergericht die gesellschaftsrechtliche Liquidation beaufsichtigen würde. Dem Unternehmer bleibt dann bei eigener Zahlungsunfähigkeit nur die Entschuldung im Wege der Privatinsolvenz, die auch unternehmerische Risiken erfasst und diese nicht von privaten Konsumrisiken trennt. Selbst dem redlichsten Unternehmer steht daher nur alle 16 Iahre eine Entschuldung zu (§§ 287 Abs. 2, 287a Abs. 2 Nr. 1 InsO). Entsprechendes gilt für mithaftende Angehörige, sofern nicht ausnahmsweise die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung des BGH zu Bürgschaften und Schuldbeitritten hilft. Der Richtlinienvorschlag kann hier zumindest teilweise Abhilfe schaffen.

Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ohne Masse ist nun allerdings eine konzeptionelle Herausforderung, die alle kostenträchtigen Komponenten des Verfahrens auf den Prüfstand stellt. So kann das Verfahren außerhalb der Gerichte „vor einer zuständigen Behörde“ stattfinden, etwa nach dem Vorbild des Insolvency Service in Großbritannien. Vor allem aber müssen die Kosten des Insolvenzverwalters in den Blick rücken.

Die in Art. 39 des Richtlinienentwurfs vorgeschlagene Verwalterbeteiligung

Hierzu enthält die Richtlinie folgenden Vorschlag in Art. 39:

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei vereinfachten Liquidationsverfahren ein Insolvenzverwalter nur bestellt werden kann, wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:
a) Der Schuldner, ein Gläubiger oder eine Gruppe von Gläubigern haben eine solche Bestellung beantragt.
b) Die Kosten für das Eingreifen des Insolvenzverwalters können aus der Insolvenzmasse oder von der Partei finanziert werden, die die Bestellung beantragt hat.

Schon aus dem Wortlaut der Norm wird deutlich, dass die Richtlinie kein verwalterloses Insolvenzverfahren schaffen will. Der Insolvenzverwalter wird aber zum optionalen Bestandteil und nur beteiligt, wenn der Schuldner oder ein Gläubiger dies wünscht und die Kosten gedeckt sind.

 

Szenarien der Verwalterlosigkeit

Bleibt es bei dem bloßen Verweis in Art. 2(j) des Richtlinienentwurfs (RLE) auf die allgemeine Definition eines Kleinstunternehmens in Art. 2(3) der Kommissionsempfehlung 2003/361/EG, die Kleinstunternehmen als Unternehmen mit weniger als 10 beschäftigten Personen und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanz von untern zwei Millionen Euro, so wird eine Vielzahl von Unternehmen im Anwendungsbereich des neuen Liquidationsverfahrens weder massearm noch masselos sein, wenn es das Verfahren betritt. Der Vorrang der Verwalterkosten (§ 54 Nr. 2 InsO) führt dann zur Kostendeckung, sodass die Verwalterbestellung nur noch von einem Schuldner- oder Gläubigerantrag abhängt. Gerade öffentliche Gläubiger (Finanzamt, Sozialversicherungsträger) dürften diesen Antrag in der Regel stellen. Der insofern typische Fall des vereinfachten Liquidationsverfahrens wäre also ein Verfahren mit Insolvenzverwalter. Die Kritik geht insoweit ins Leere.

Verwalterlose Liquidationsverfahren sind nur in zwei Konstellationen denkbar:

1. Das masselose Verfahren

Das Vermögen des Kleinstunternehmens beinhaltet keine hinreichende freie Masse zur Deckung der Verwalterkosten (§ 26 InsO). In dieser Konstellation soll nun keine Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse mehr möglich sein (Art. 38 Abs. 3 RLE). Das Insolvenzverfahren wird eröffnet. Ein Insolvenzverwalter wird allerdings nur bestellt, wenn ein Gläubiger dies wünscht und dessen Kosten finanziert.

Ansonsten bleibt die Verwaltung des Vermögens und die Erfüllung insolvenzspezifischer Pflichten in der Hand des eigenverwaltenden Schuldners, der diese mit Blick auf die angestrebte Entschuldung erfüllen muss. Er wird hierzu – wie schon heute in Privatinsolvenzen – fachkundiger Beratung bedürfen. Ist der Schuldner nicht zur Eigenverwaltung geeignet, kann einem Gläubiger die Erfassung und Verwaltung des verbliebenen Schuldnervermögens übertragen werden (Art. 43 Abs. 4 RLE); insbesondere eine Art der „Institutsverwaltung“ gesicherter Gläubiger wird so bei Interesse möglich (vgl. § 150a ZVG). In Verfahren ohne freie Masse sind diese Gläubiger ohnehin nicht selten die einzigen mit einem aktiven Interesse am Verfahren. Sie können dann entscheiden, ob sie die Verwaltung selbst bzw. durch Angestellte übernehmen oder durch Antrag und Kostenfinanzierung einen Verwalter bestellen lassen. Zu beachten ist schließlich auch, dass der Schuldner im Interesse seiner schnellen Entschuldung daran interessiert sein kann, eine Eigenverwaltung zu vermeiden und eine Verwalterbestellung zu beantragen, ggf. aus Mitteln, die ihm zu diesen Zwecke von interessierten Dritten (insbesondere der Familie) zur Verfügung gestellt werden. Die Regelungssystematik schafft so insgesamt Anreize zur Einbindung eines Verwalters im eigenen Interesse der jeweiligen Beteiligten.

Im Übrigen kann das Gericht in Ausübung seiner Amtsermittlungsbefugnisse (§ 5 Abs. 1 InsO) jederzeit einen Sachverständigen damit betrauen, die Vermögensverhältnisse des Schuldners aufzuklären bzw. dessen Angaben zu überprüfen. Es steht also keineswegs zu befürchten, dass die Rechtspfleger oder gar Richter am Insolvenzgericht künftig regelmäßig Schuldnervermögen erfassen und Vermögensverzeichnisse selbst überprüfen müssen.

In der Summe funktioniert der Regelungsvorschlag also gerade bei masselosen Verfahren. Auch bei ihnen wird die Einbindung von Experten sichergestellt, sei es als Insolvenzverwalter oder aber als Institutsverwalter, Schuldnerberater oder Sachverständige. Zugleich wird die Kostenlast wie auch die Entscheidungskompetenz über die Art der Einbindung sachgerecht verteilt. Natürlich ist dabei Sachverständigenentschädigung geringer als die Verwaltervergütung (vgl. § 11 Abs. 4 InsVV). Und auch die Schuldnerberatung ist von anderen Kostenstrukturen geprägt als die Insolvenzverwaltung. Beide Strukturen scheinen aber durchaus gut zu einem masselosen, ordnungspolitisch motivierten Verfahren zu passen. Die Etablierung möglicher Alternativen zu einer Verwalterbestellung können aber auch der Grund sein, warum gerade Verwalterverbände ihre Ablehnung gegen diese neue Verfahrensregulierung mit Vehemenz vortragen.

2. Das kostendeckende Verfahren

Das Vermögen des Kleinstunternehmens kann gerade so ausreichen, um aus der im Insolvenzverfahren erzeugten freien Masse zumindest die Verfahrenskosten samt der Verwaltervergütung zu decken. In diesem Fall ist es bereits heute zu eröffnen und ein Insolvenzverwalter ist zu bestellen. Die von ihm über Insolvenzanfechtungs- und Haftungsansprüche erzeugte freie Masse fließt dann aber nicht an die Insolvenzgläubiger und verbessert nicht deren Verfahrensergebnis. Sie wird vielmehr von der Vergütung des Insolvenzverwalters vorrangig beansprucht.

Das geltende deutsche Insolvenzrecht billigt den Insolvenzgläubigern kein Entscheidungsrecht dahingehend zu, ob in solchen Fällen ein Verwalter zu bestellen ist. Die Quotenirrelevanz der Verwaltertätigkeit wird akzeptiert; die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens hat Vorrang. Art. 39 RLE würde hier eine Änderung bewirken. Nun bedarf es für die Verwalterbestellung zumindest eines Gläubiger- oder Schuldnerantrags. Das Versprechen einer agressiven Verfolgung von Anfechtungssachverhalten ist keine Garantie mehr für die eigene Bestellung und Vergütung als Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren. Ob Insolvenzverfahren ohne Quotenaussicht mit Verwalter stattfinden oder in der Hoffnung auf eine Quote auf den Verwalter verzichtet wird, liegt dann in der Entscheidungsmacht jedes einzelnen Gläubigers.

 

Fazit: Das verwalterlose Verfahren ist ein Mythos.

Schon der Richtlinienentwurf ist so gestaltet, dass es auch im vereinfachten Liquidationsverfahren jederzeit einen Insolvenzverwalter geben kann. Die Anreizstrukturen bewirken zudem, dass die Kosten eines Insolvenzverwalters gerade bei masselosen Verfahren von den am Verfahrensergebnis interessierten Beteiligten bewertet werden. Das Gericht kann sich zudem bei Zweifeln am Zahlenwerk des Schuldners stets durch einen Sachverständigen unterstützen lassen. Auch die Schuldnerberatung wird dieses Tätigkeitsfeld schnell erobern. Insolvenzrechtlicher Sachverstand wird so auch in masselosen, ja sogar verwalterlosen Verfahren gesichert. Er wäre zu wünschen, dass diese Harmonisierungsideen endlich konstruktiv diskutiert werden.

Der Münchener Kommentar zum StaRUG – mehr Rechtssicherheit für neue Verfahrensoptionen

Nach fast zwei Jahren Arbeit ist er nun endlich erschienen  – der Münchener Kommentar StaRUG. Ich habe die Ehre, sein Mtherausgeber zu sein.

Ein Beitrag zum besseren Verständnis des StaRUG und zu mehr Vertrauen in seine Handlungsoptionen

Das Buch erfasst Literatur und Rechtsprechung zum neuen Gesetz bis Herbst 2022 und kann damit erste wichtige Hinweise im Umgang mit Unsicherheiten hinsichtlich der neuen Verfahrensoptionen geben. Der Dschungel neuer Regelungen braucht Wegweiser, um Pfade zu etablieren. Ansonsten wird ihn weiter kaum jemand betreten. Der INDat-Report berichtete in seiner ersten Ausgabe 2023 von 22 Restrukturierungsanzeigen im Jahr 2021 und 24 Anzeigen in 2022. Im Schatten niedriger Insolvenzzahlen und angesichts des kleinen Zugangsfensters sowie begrenzter Restrukturierungsinstrumente des StaRUGs mag dies kaum überraschen. Das Potenzial präventiver deutscher Restrukturierungshilfen scheint dennoch nicht ausgeschöpft, gerade wenn man bedenkt, dass in eine Vielzahl der Restrukturierungsberatungen die StaRUG-Option mit entwickelt wird. Ein Mehr an Rechtssicherheit macht diese Option sicher attraktiver. Hierzu soll der neue Kommentar in der Reihe der Münchener Kommentare seinen Beitrag leisten.

 

Sonderfall: Grenzüberschreitende Restrukturierungen

Besonders deutlich wird das Verschenken von Potenzialen durch unzureichende rechtliche Regelungen im Bereich der grenzüberschreitenden Restrukturierungen. Das StaRUG enthält hierzu keinen eigenen Abschnitt vergleichbar mit dem Internationalen Insolvenzrecht der Insolvenzordnung (§§ 335 bis 358 InsO). Ein „Internationales Restrukturierungsrecht“ fehlt dem deutschen Recht wie der zugrundeliegenden Richtlinie. Stattdessen wird nur die Öffentliche Restrukturierungssache in den Anhang A der EuInsVO aufgenommen und durch Regelungen in den §§ 84 bis 88 StaRUG der Anschluss der auf Insolvenzverfahren zugeschnittenen Regeln der EuInsVO hergestellt. Offen bleibt der Umgang mit regulären Restrukturierungssachen. Unklar ist auch, auf welcher Basis ausländische Restrukturierungssachen jenseits der EuInsVO in Deutschland Wirkung entfalten.

Ich habe mich diesen Fragen ausführlich in meiner Kommentierung der §§ 84 bis 88 StaRUG in diesem Band gewidmet. Gerade der Umgang mit regulären Restrukturierungssachen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr wird ausführlich erläutert. In diesem Zusammenhang lohnt der Hinweis auf eine jüngst veröffentlichte Entscheidung eines niederländischen Gerichts (Rechtbank Noord-Nederland, Groningen), dass den nicht von der EuInsVO erfassten niederländischen Schuldenbereinigungsplan der Brüssel Ia VO (EuGVVO) unterwarf, seine Zuständigkeit in Art. 8 Nr. 1 der Verordnung fand und das auf den Plan anwnedbare Recht auf Basis der Vertragsnatur des Plans über Art. 4 Rom I VO bestimmte. Ich diskutiere und beschreibe in meiner Kommentierung in der Tat weitgehend denselben Weg.

Neuer Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung des Insolvenzrechts

Die EU-Kommission hat heute den schon seit dem Sommer erwarteten Vorschlag für eine Richtlinie zur weiteren Harmonisierung des Insolvenzrechts in den Mitgliedstaaten veröffentlicht (hier der Text in verfügbaren Sprachfassungen).

In der begleitetenden Presseerklärung wird betont, dass die weitere Harmonisierung des Insolvenzrechts im Interesse des Binnenmarktes, insbesondere der Kapitalmarktunion, erfolgt. Grenzüberschreitende Investitionen sollen erleichtert werden, indem die Risiken in fremden Insolvenzrechten vergleichbarer und so berechenbarer werden.

Inhaltlich bietet der Richtlinienvorschlag auf den ersten Blick keine besondere Überraschung. Thematisch orientiert er sich an den Regelungsgegenständen, die wir schon in der Expertengruppe als Beratergremium diskutieren und entwickeln durften. Die Protokolle dieser Beratungen sind öffentlich.

Der Vorschlag enthält Regelungsideen für die Harmonisierung des Insolvenzverfahrensrechts und des materiellen Insolvenzrechts:

  • Insolvenzanfechtungsrecht (Teil II; Art. 4-12)
  • Ermittlungshandlungen (Asset Tracing; Teil III, Art. 13-18)
  • Vorinsolvenzlich ausverhandelten Unternehmensverkäufe (Prepacks, Teil IV, Art. 19-35)
  • Insolvenzantragspflichten für Geschäftsleiter (Teil V, Art. 36-37)
  • Vereinfachtes Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen (Teil VI, Art. 38-57)
  • Gläubigerausschüsse (Teil VII, Art. 58-67)
  • Informationspflichten zum lokalen Insolvenzrecht (Fact Sheets, Teil VIII, Art. 68)

Bemerkenswert sind insoweit die Ideen zu Prepacks und in noch höherem Maße zu Sonderabwicklungsverfahren für Kleinstunternehmen, mit deren Hilfe das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten neuen internationalen Standards angepasst werden soll, die von der Weltbank und UNCITRAL gesetzt wurden. Sie orientiert sich an jüngsten Reformen im spanischen Recht.

In eigener Sache – Personalia

Es freut mich sehr, über folgende Ereignisse in eigener Sache berichten zu dürfen.

 

Executive Committee des International Insolvency Institute

 

Seit der Jahrestagung in Toronto bin ich nun Mitglied des Executive Committee des International Insolvency Institute und damit einer der Vize-Presidents.

Ich hoffe, das in mich gesetzte Vertrauen rechtfertigen zu können, und beabsichtige, meine Erfahrungen aus vier Jahren der Leitung des Academic Committee nun unmittelbar in die Ausrichtung des Instituts einfließen zu lassen.

 

Beirat der DKS und des FIRM

Seit dem Herbst gehöre ich zudem dem Beirat der Vereinigung Deutsche Kreditmarkt-Standards e. V. (DKS) an. Die Tätigkeit ergänzt meine Mitgliedschaft im wissenschaftlichen Beirat des Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM). Ich würde mich freuen, wenn ich in beiden Gremien den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis im Bereich des Kredit- und Restrukturierungsrechts unterstützen kann.

 

 

Ruf an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Überaus geehrt hat mich schließlich auch der Ruf an die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster auf eine Professur W3 für „Bürgerliches Recht mit einem wirtschaftsrechtlichen Fach einschließlich seiner internationalen Bezüge“. Nach sehr konstruktiven und perspektivreichen Gesprächen sowohl in Münster als auch in Halle habe ich mich nun entschieden, in Halle zu bleiben.  #MADAUSBLEIBT

 

 

Ist die staatliche Vermeidung von Insolvenzen gerechtfertigt?

Die Bundesregierung macht derzeit deutlich, dass sie nicht gewillt ist, die angesichts stark steigernder Kosten (Energie, Personal, Rohstoffe) bei nicht parallel steigenden Einnahmen zu erwartende Insolvenzwelle hinzunehmen. Im Gegenteil. Wie schon zu Zeiten der Pandemie scheint man gewillt, die Nutzung des Insolvenzrechts auszusetzen, um betroffenen Unternehmen ein „Aussitzen“ der Krise zu erlauben. Der Bäcker soll, frei nach dem Bundeswirtschaftsminister, eben vorübergehend mal keine Brötchen backen.

Die unberechtigte Polemik

Hinter dieser etwas ungeschickten Aussage steckt eine klare Strategie. Folgt man der Grundannahme, dass die Kostenexplosion – wie die Wirtschaftsbeschränkungen wegen der Pandemie  – ein nur vorübergehendes Phänomen sind, kann es in der Tat ungerecht erscheinen, die in der Krisenzeit existenziell betroffenen Unternehmen zum Durchlaufen eines Insolvenzverfahrens zu zwingen. Passender wäre in der Tat ihr vorübergehendes kostenreduziertes „Einfrieren“ oder „Einmotten“ (treffender scheint der englische Begriff des „mothballing“).

Das Problem des deutschen Insolvenzrechts

Das deutsche Insolvenzrecht wird – gerade von Insolvenzverwaltern – gern als effektives und effizientes System zur Marktbereinigung und Markterneuerung beschrieben. Träfe dies zu, so scheint es nahezu widersinnig, auf die Anwendung dieses Systems gerade in einer Krise zu verzichten. Ist die Effizienz des Systems also nur seinen Insidern bekannt? Werden der Rest der Wirtschaft und die Politik vom Stigma der Insolvenz geblendet?

Die Antwort auf diese Fragen wird, wie ich schon im Editorial des Heft 14 der NZI 2022 ausgeführt habe, komplexer ausfallen müssen. Der InsO-Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, die Verwertungsentscheidung im deutschen Insolvenzverfahren allein Marktmechanismen zu unterwerfen. „Das Insolvenzverfahren soll die Marktgesetze nicht außer Kraft setzen oder durch hoheitliche Regelung überformen, sondern Marktprozesse stimulieren“ (BT-Drs. 12/2443, 75). Die optimale Verwertungsentscheidung soll als „einzelwirtschaftliche Investitionsentscheidung“ jedes Gläubigers im Verhandlungsprozess entdeckt und von den Beteiligten verwirklicht werden. Ein solches System beruht auf der Annahme, dass in jedem Insolvenzverfahren aktive Beteiligte den Verhandlungsprozess auf Basis umfassender Informationen initiieren und die zutreffende Entscheidung entdecken. Die Berechtigung dieser Grundannahme war für den nominell größten Anteil an Unternehmen im Markt stets zweifelhaft: Kleinunternehmen haben kaum die Erwartung, in einem Insolvenzverfahren im Verhandlungswege eine Sanierungslösung zu erreichen. Die rationale Passivität ihrer Gläubiger lässt dies kaum zu. Ein Vermeidungsverhalten zugunsten einer freien Sanierung und vor allem einer Insolvenzverschleppung ist rational.

Die berechtigte Erwartung einer Zerschlagungsentscheidung im deutschen Insolvenzsystem wird man in Zeiten außergewöhnlicher Marktverwerfungen aber auch bei größeren Unternehmen finden. Werden Umsatz- und Gewinnprognosen, ja sogar Gewinne an sich, durch Energiepreis- und Lohnsteigerungen sowie andere Kriegs- und Transformationsfolgen auf unabsehbare Zeit unmöglich, so sind auch die Verhandlungspartner des Krisenunternehmens (Banken, Lieferanten, Finanzgläubiger, Warenkreditversicherer etc.) nicht in der Lage, ihre Investitionsentscheidung wie vom Gesetzgeber angedacht rational zu treffen. Vorsicht mahnt zur Deinvestition. Wird vor diesem Hintergrund eine Lastenteilung in der Krise nicht schon außergerichtlich erreicht, muss beim nachfolgenden gerichtlichen Verfahren die Bereitschaft zur selbigen fast schon zwangsläufig fehlen. Das Insolvenzsystem erzeugt hier so einen Zerschlagungsautomatismus – und dies ist den Beteiligten in Politik und Wirtschaft intuitiv bewusst. Ein auf Marktmechanismen basiertes Insolvenzsystem versagt, wenn kein Vertrauen in die rationale Entscheidungsfindung des Marktes im Rahmen eines Insolvenzverfahrens besteht. Jedenfalls Unternehmen mit potenziell fortführungsfähigem Geschäftsmodell sollten es in solchen Zeiten meiden.

Keine Suspendierung der Antragspflichten, sondern vor allem eine Verfahrensflexibilisierung

Die Politik sollte dennoch nicht auf eine Nutzung des Insolvenzrechts verzichten. Es kann sogar dazu dienen, den Unternehmen, denen eine außerinsolvenzliche Stilllegung nicht mehr finanzierbar erscheint, Unterschlupf zu bieten und so zu „überwintern“. DIe Lösung liegt also nicht im Vermeiden des Systems, sondern in seiner Flexibilisierung.

Im Grundsatz sollte man die in der aktuellen Krise insolvenzreif werdenden Unternehmen in einem (vorläufigen) Insolvenzverfahren auffangen und stabilisieren, ohne dass es zugleich zur Auslösung der Fristen des § 30 InsO führt. Der Berichtstermin mit der Verwertungsentscheidung sollte vielmehr erst dann anberaumt werden, wenn die dafür erforderlichen Marktmechanismen aus Sicht der Beteiligten wieder Gewähr für die Richtigkeit dieser Entscheidung bieten, also etwa ein Käufer gefunden wird, oder aber der Schuldner dies beantragt, etwa um die Liquidation durchzuführen. Im Fall eines Eröffnungsantrags durch den Schuldner kann zudem ein Schutzschirmverfahren in Betracht kommen, das dann ebenfalls nicht der Dreimonatsfrist des § 270d InsO unterliegen sollte und so flexibel verlängert werden kann. Im Kern sollte die Verwertungsentscheidung auf die Rückkehr der Normalität warten können, solange der Schuldner fortführungsbereit bleibt.

Die Finanzierung einer Betriebsfortführung auf Sparflamme oder auch einer vorübergehenden Stilllegung wäre über Insolvenz- und Kurzarbeitergeld sowie über gezielte Kostenzuschüsse ähnlich den Coronahilfen zu sichern.

Für die große Zahl an Kleinunternehmen ohne Rücklagen für den kommenden Winter wäre zudem vorübergehend das Erfordernis der Massedeckung aus § 26 InsO zu suspendieren. Die Finanzierung der Verfahren wäre staatlich zu sichern.

Insgesamt kann das Insolvenzverfahren mit seinen Strukturen und Experten auf diese Weise aktiv eingebunden werden, um Unternehmen, denen geschäftlicher Erfolg und ein eigenständiges Überwintern in der Krise nicht möglich ist, ein überwachtes Überwintern zu erlauben. Fortführungslösungen, aber auch Betriebsaufgaben wären jederzeit umsetzbar. Als Anreiz zu Nutzung des Verfahrens könnte man den betroffenen Unternehmern eine Befreiung von unternehmensbezogenen Verbindlichkeiten bei Aufhebung des Verfahrens im Wege der Liquidation in Aussicht stellen.

Passen die Grundannahmen?

Die vorgeschlagene Lösung basiert auf zwei Grundannahmen.

Zum einen kann ein „Überwintern“ nur funktioniere und den Aufwand lohnen, wenn ein Frühling zu erwarten ist. Dass sich die Energiepreise wieder normalisieren und die Inflation sinkt, scheint aktuell zumindest noch die Auffassung von EZB und Bundesregierung. Erweist sich dies als Trugschluss, wäre es im vorgeschlagenen System immerhin jederzeit möglich, die auf Basis einer neuen stabilen Realität wieder planbare Verwertungsentscheidung herbeizuführen.

Zum anderen bedarf es den politischen Willens zur proaktiven Einbindung des Insolvenzrechts. Dies wird notwendigerweise zum Steigen der Insolvenzzahlen führen. Maßstab politischen Erfolgs sollte aber eben auch nicht die Verneidung von Insolvenzverfahren und damit die aktive und transparente Gestaltung eines Transfrmationsprozesses sein, sondern die Vermeidung langfristiger Arbeitslosigkeit und sozialer Verwerfungen. Stille Betriebsschließungen helfen den Arbeitnehmern in dieser Hinsicht weit weniger als staatlich unterstütze Insolvenzlösungen.

Mehr Präzision bitte [Nachtrag 11.9.2022]

Die proaktive Einbindung des Insolvenzrechts setzt voraus, dass eine Differenzierung in den öffentlichen Diskurs eingeführt wird. Begriffe wie „Insolvenzwelle“ oder „Insolvenzflut“, ja „Insolvenz-Tsunami“, knüpfen an die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren an und verbinden damit ohne jede Differenzierung eine negative Folgenerwartung im Sinne des „Verschwindens“ von Betrieben, also der Stilllegung von Unternehmen und der Zerstörung von Strukturen. In der Flut träfe dies Unternehmen unterschiedslos – gescheiterte wie fortführungswürdige.

Diese Folgenerwartung basiert nicht bloß auf dem „Stigma“ der Insolvenz, das gerade in Ostdeutschland durch die Konkurserfahrungen in den frühen 1990iger Jahren tief verwurzelt ist. Sie hat gerade in einer Zeit der Marktverwerfungen – wie soeben aufgezeigt – auch für das aktuelle Insolvenzrecht ihre Berechtigung und muss durch die Flexibilisierung des Insolvenzverfahrens addressiert werden. Ein so entwickeltes Insolvenzrecht darf dann als „Insolvenzschutz“ vor Marktverwerfungen verstanden werden und sollte auch im öffentlichen Diskurs als „Insolvenzschutz“ beschrieben und verstanden werden. Eine hohe Zahl schutzsuchender Unternehmen ist dann ein Indikator der Schwere der Marktbelastung, nicht aber des Politikversagens. Politikversagen beginnt erst dort, wo Unternehmen unterschiedslos gefördert oder eben vernichtet werden. Die richtige Frage an die Politik ist also die nach einer „Zerschlagungswelle“ oder einer „Zerschlagungsflut“. Eine „Insolvenzschutzwelle“ wäre demgegenüber zu erhoffen, würde diese es doch als Nebeneffekt erlauben, staatliche Hilfen auf Unternehmen in existenziellen Schwierigkeiten – auf Unternehmen unter Insolvenzschutz – zu begrenzen. Zugleich hätten diese Unternehmen die Chance, sich mit Expertenhilfe in der Insolvenz ganzheitlich zu sanieren und an die neue Marktsituation normalisierter Märkte und neuer Lieferketten/Preisniveaus anzupassen.

Öffentliche Restrutkurierungssachen – neue Option in der StaRUG-Restrukturierung

Seit Montag (18.7.2022) gilt das StaRUG auch hinsichtlich seiner Regelungen in den §§ 84 bis 88. Öffentliche Restrukturierungssachen sind nun also möglich. Hierzu muss der Schuldner schlicht bei Anzeige der Restrukturierungssache (oder bis zur ersten Entscheidung des Restrukturierungsgerichts) beantragen, das öffentliche Bekanntmachungen erfolgen sollen (§ 84 Abs. 1 StaRUG).

 

Dies hat dann zur Folge, dass Entscheidungen des Gerichts, aber auch Ladungen zu Terminen (§ 85 StaRUG), online bei Restrukturierungsbekanntmachung.de veröffentlicht werden und einsehbar sind. Auf dieser Seite findet sich übrigens auch eine Übersicht über die in Deutschland eingerichteten Restrukturierungsgerichte.

Planbetroffene haben bei öffentlichen Restrukturierungsverfahren nun zudem die Option (§ 87 StaRUG), im Restrukturierungsforum des Bundesanzeigers Aufforderungen an andere Planbetroffene hinsichtlich ihrer Teilnahme und ihres Verhaltens in einer Planabstimmung zu veröffentlichen.

Neue Restrukturierungsinstrumente bietet die öffentliche Restrukturierungssache nicht; es bleibt bei den in § 29 StaRUG genannten gerichtlichen Hilfen. Die Wahl einer öffentlichen Restrukturierungssache bewirkt allerdings die Anwendung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO), in deren Anhang A nur diese Form des Restrukturierungsverfahrens aufgenommen wurde. Eine entsprechende Ergänzung der EuInsVO trat bereits zum 9.1.2022 in Kraft (Verordnung (EU) 2021/2260). Die öffentliche Restrukturierungssache kann damit in anderen EU Mitgliedstaaten (außer Dänemark) Wirkungen erzeugen (auf welchem anderen Weg dies auch vertrauliche Restrukturierungssachen können, ist weiter offen – dazu hier).

In öffentlichen Restrukturierungssachen gelten die Regeln der EuInsVO unmittelbar. Sie sind folglich als Haupt- oder Sekundär(insolvenz)verfahren zu eröffnen (Art. 3 und 4 EuInsVO). Ihre Regelungswirkung muss die Grenzen der Art. 8 bis 16 EuInsVO beachten. Ob aus der unmittelbaren Anwendung der EuInsVO auch die Pflicht zur Anwendung von Sachnormen folgt, die in Restrukturierungssachen nicht passen (etwa die Pflichtangaben zum Insolvenzregister in Art. 24 oder das Recht zur Forderungsanmeldung in Art. 53 EuInsVO), ist unklar, im Zweifel aber wegen Art. 288 Abs. 2 AEUV wohl zu bejahen. Der deutsche Gesetzgeber hat vielleicht auch im Hinblick auf diese Unsicherheit vorerst darauf verzichtet, die öffentliche Bekanntmachung unter Restrukturierungsbekanntmachungen.de auch pflichtgemäß europäisch zu vernetzen (Art. 25 EuInsVO). Richtig wäre es, alle in Anhang A der EuInsVO aufgelisteten Verfahren – auch präventive Restrukturierungshilfen – als „Insolvenzverfahren“ im Insolvenzregister des Europäischen Justizportals zu vernetzen, sofern sie die Merkmale des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO) erfüllen. Schließlich ist es auch möglich, neben einer öffentlichen Restrukturierungssache als „präventivem Restrukturierungs-Hauptinsolvenzverfahren“ ein beliebiges Sekundärinsolvenzverfahren aus dem Katalog des Anhang A zu eröffnen (dazu etwa auch der CERIL Report 2022-2 on Cross-Border Effects in European Preventive Restructuring). Die Anwendung der EuInsVO könnte mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass bislang kaum niederländische Restrukturierungsverfahren diesen Weg genuzt haben, obwohl er dort bereits seit Januar 2022 zur Verfügung steht.

Erwähnt sei schließlich auch noch, dass das Mundesministerium der Justiz am 14. Juli 2022 auch die Checkliste für Restrukturierungspläne gem. § 16 StaRUG zum Download bereitgestellt hat. Leider bietet der Text weder eine „Checkliste“ mit Selbstüberprüfungsfunktion („Checkboxes“) noch ein Formular oder gar ein interaktives Template zu Planerstellung, wie es insbesondere für Kleinunternehmen angedacht war. Stattdessen findet man eine Art Kurzkommentierung relevanter Bestimmungen. Eine Zusatznutzen hat diese Checkliste nicht. Stattdessen zeigt sich wieder einmal ein Denken in Dimensionen digitaler Steinzeit. Ich hatte dies schon im Rahmen der Konsultationen im Entstehungsprozess kritisch angemerkt.

Alternative Dispute Resolution (ADR) in Insolvenzverfahren – ungenutztes Potenzial?

Insolvenzverfahren sind Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten und widerstreitenden Interessen. Die effiziente Handhabung dieser Konflikte ist daher eine der Kernaufgaben jedes Insolvenzrechts. Soll das Insolvenzgericht schnell und ggf. nur für die Berücksichtigung im Verfahren über Streitigkeiten unter Beteiligten entscheiden, wie es in vielen Ländern in der Tradition des spanischen Konkursverfahrens nach Francisco Salgado de Somoza üblich ist (Stichwort „vis attractiva concursus„)? Soll also insbesondere auch die Forderungsfeststellung im Streitfall beim Insolvenzgericht verbleiben? Sind Anfechtungs- und Herausgabeklagen mit Massebezug durch das Insolvenzgericht zu entscheiden? Oder sollte man dem deutschen Modell folgen und all diese Streitigkeiten auslagern und das Insolvenzgericht entlasten?

Mediation

In den letzten Jahren scheinen sich beide Rechtstraditionen anzunähern – durch die Einschaltung von Mediatoren. Die Bemühungen um die Entlastung der Justiz durch gerichtliche und außergerichtliche Mediation erreichen „ausgelagerte“ Streitigkeiten der Parteien eines Insolvenzverfahrens nach deutschem Modell ganz automatisch. Zugleich haben gerade in Common Law-Ländern Insolvenzgerichte die Praxis entwickelt, schwierige Streitfragen zunächst einem Mediator anzuvertrauen. Die Streitbeilegung durch Mediation hat so in vielen (wenngleich sicher nicht allen) Ländern Einzug in die Insolvenzpraxis gehalten.

Für grenzüberschreitende Streitigkeiten zwischen verschiedenen nationalen Insolvenzverfahren und Insolvenzmassen hat die EuInsVO 2015 mit dem Koordinator sogar eine formale Mediationsinstanz geschaffen, der sich die Beteiligten bedienen können. Ob es dieser neuen Institution angesichts der vielfältigen anderweitigen Mediationsoptionen tatsächlich bedurfte, wird man bezweifeln können. Genutzt wurde diese Option bislang jedenfalls nicht. Dennoch zeigt die gesetzliche Verankerung von Mediationsoptionen (auch in Form der Sanierungsmoderation im deutschen Restrukturierungsrecht), dass viele Gesetzgeber durchaus noch Entwicklungspotenzial für diese Streitbeilegungstechnik im Insolvenzraum sehen.

Schiedsverfahren (Arbitration)

Die Erledigung von Streitigkeiten durch ein Schiedsverfahren ist im Gegensatz zur Mediation wohl im ersten Schritt einfacher, wenn das Insolvenzgericht gewohnt ist, diese Streitigkeiten ohnehin nicht selbst zu entscheiden, sondern auszulagern. In Deutschland können Schiedsklauseln so auch für Forderungsfeststellungsstreitigkeiten bedeutsam bleiben. Ist das Insolvenzgericht hingegen eigentlich selbst zur Entscheidung berufen, tun sich die Gerichte nicht selten schwer, diese Entscheidungsmacht an ein Schiedsgericht abzugeben, selbst wenn die Parteien dies einvernehmlich wünschen. Die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten in der Insolvenz wird zum zentralen Thema in der Praxis und in der wissenschaftlichen Diskussion (siehe etwa die Beiträge hier oder hier). Die Erkenntnisse der letzten Jahre scheinen aber auch hier zumindest einen Minimalkonsens zu erzeugen, nach dem gewisse Streitigkeiten (etwa die Forderungsfeststellung oder die Allokation von Massegegenständen) durchaus auch  durch Schiedsverfahren effizient befriedet werden könnten.

ADR Colloquium at INSOL London 2022

Am Rande der diesjährigen INSOL International Conference in London werden all diese Fragen nun erstmals in einem fokussierten Event – dem ADR Colloquium – mit einer globalen Perspektive gestellt und diskutiert. Experten mit jahrelander Erfahrung in Mediation und Schiedsverfahren im Kontext von Insolvenzverfahren teilen ihre Sicht und erörtern die Zukunft moderner Streitbeilegungsmechanismen in Insolvenzverfahren gemeinsam mit dem interessierten Publikum. Ich bin froh, Teil dieses Events sein zu dürfen und das Panel zu Schiedsverfahren zu moderieren. Sollten Sie also in London sein, schauen Sie doch mal rein.

The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses

The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses

In der aktuellen Ausgabe der International Insolvency Review ist ein Beitrag erschienen, in dem ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Janis Sarra (Professorin an University of British Columbia, Vancouver, Canada) und Jennifer Payne (Professorin an der University of Oxford, UK) die rechtliche Handhabung von Lösungsklauseln (sog. „Ipso facto“ Klauseln) in den Insolvenz- und Restrukturierungsrechten Kanadas, Englands und Deutschlands beleuchtet haben.

Anlass dieser Kooperation war die Erkenntnis, dass sich die diesbezüglichen Regeln in unseren Rechtsordnungen erheblich unterscheiden. Wir sind daher der Frage nachgegangen, welche grundlegenden rechtspolitischen Fragen den Gesetzgebungsprozess bestimmten und warum diese unterschiedlich beantwortet wurden. Die Erkenntnisse dieser Analyse ergab ein Menü an Entscheidungsoptionen, das jeder Gesetzgeber in seiner Bandbreite erkennen und aus dem er bewusst wählen sollte, wenn er – wie gerade im Rahmen der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie geschehen – in diesem Bereich neue Regelungen schaffen will.

Der Beitrag ist unter diesem Link kostenlos erhältlich (Open Access). Zitat: Janis Sarra, Jennifer Payne and Stephan Madaus „The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses“, Int Insolv Rev.2022;31:45–80.