Das Schreckgespenst des verwalterlosen Insolvenzverfahrens – bei Lichte betrachtet

Kaum eine Regelungsidee hat die Diskussion über die Harmonisierungsideen der EU Kommission zum Insolvenzrecht in Deutschland so beflügelt wie die des „verwalterlosen Verfahrens“ zur Liquidation von Kleinstunternehmen. In Stellungnahmen der Verwalterverbände (VID, NIVD, DAV), ersten schriftlichen Äußerungen (siehe etwa Sämisch, ZRI 2023, 93) und vor allem bei Paneldiskussionen wird diese Idee als „Risiko“, „realitätsfern“ oder „Einladung zum Missbrauch“ diskreditiert, ja die drohende Aufgabe der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts skizziert und eine Überforderung der Justiz prognostiziert. Ein genauerer Blick auf die Regelungsidee scheint daher lohnend.

 

Die Funktion des Liquidationsverfahrens für Kleinstunternehmen

Der 6. Teil des Richtlinienvorschlags vom 7. Dezember 2022 propagiert die europaweite Schaffung eines einheitlichen Liquidationsverfahrens für zahlungsunfähige Kleinstunternehmen. Das Verfahren dient also der ordnungsgemäßen Beendigung solcher Unternehmen – ihrem Marktaustritt. Zugleich – und vor allem – soll dieser Marktaustritt auch die gleichzeitige oder zumindest koordinierte Entschuldung der am Unternehmen und seinem Risiko finanziell beteiligten natürlichen Personen ermöglichen. Das gesamte unternehmerische Risiko der Unternehmung wird einheitlich adressiert und den Unternehmern samt mithaftenden Familienangehörigen ein echter Neustart ermöglicht.

Beide Aspekte sind im geltenden deutschen Insolvenzrecht nicht verwirklicht. Kleine und damit in der Krise oft schon masselose Unternehmen erzeugen masselose Insolvenzen, sodass selbst bei Stellung eines Insolvenzantrags oft kein Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 26 InsO). Die masselose Gesellschaft wird dann im Handelsregister gelöscht, ohne dass das Registergericht die gesellschaftsrechtliche Liquidation beaufsichtigen würde. Dem Unternehmer bleibt dann bei eigener Zahlungsunfähigkeit nur die Entschuldung im Wege der Privatinsolvenz, die auch unternehmerische Risiken erfasst und diese nicht von privaten Konsumrisiken trennt. Selbst dem redlichsten Unternehmer steht daher nur alle 16 Iahre eine Entschuldung zu (§§ 287 Abs. 2, 287a Abs. 2 Nr. 1 InsO). Entsprechendes gilt für mithaftende Angehörige, sofern nicht ausnahmsweise die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung des BGH zu Bürgschaften und Schuldbeitritten hilft. Der Richtlinienvorschlag kann hier zumindest teilweise Abhilfe schaffen.

Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ohne Masse ist nun allerdings eine konzeptionelle Herausforderung, die alle kostenträchtigen Komponenten des Verfahrens auf den Prüfstand stellt. So kann das Verfahren außerhalb der Gerichte „vor einer zuständigen Behörde“ stattfinden, etwa nach dem Vorbild des Insolvency Service in Großbritannien. Vor allem aber müssen die Kosten des Insolvenzverwalters in den Blick rücken.

Die in Art. 39 des Richtlinienentwurfs vorgeschlagene Verwalterbeteiligung

Hierzu enthält die Richtlinie folgenden Vorschlag in Art. 39:

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei vereinfachten Liquidationsverfahren ein Insolvenzverwalter nur bestellt werden kann, wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:
a) Der Schuldner, ein Gläubiger oder eine Gruppe von Gläubigern haben eine solche Bestellung beantragt.
b) Die Kosten für das Eingreifen des Insolvenzverwalters können aus der Insolvenzmasse oder von der Partei finanziert werden, die die Bestellung beantragt hat.

Schon aus dem Wortlaut der Norm wird deutlich, dass die Richtlinie kein verwalterloses Insolvenzverfahren schaffen will. Der Insolvenzverwalter wird aber zum optionalen Bestandteil und nur beteiligt, wenn der Schuldner oder ein Gläubiger dies wünscht und die Kosten gedeckt sind.

 

Szenarien der Verwalterlosigkeit

Bleibt es bei dem bloßen Verweis in Art. 2(j) des Richtlinienentwurfs (RLE) auf die allgemeine Definition eines Kleinstunternehmens in Art. 2(3) der Kommissionsempfehlung 2003/361/EG, die Kleinstunternehmen als Unternehmen mit weniger als 10 beschäftigten Personen und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanz von untern zwei Millionen Euro, so wird eine Vielzahl von Unternehmen im Anwendungsbereich des neuen Liquidationsverfahrens weder massearm noch masselos sein, wenn es das Verfahren betritt. Der Vorrang der Verwalterkosten (§ 54 Nr. 2 InsO) führt dann zur Kostendeckung, sodass die Verwalterbestellung nur noch von einem Schuldner- oder Gläubigerantrag abhängt. Gerade öffentliche Gläubiger (Finanzamt, Sozialversicherungsträger) dürften diesen Antrag in der Regel stellen. Der insofern typische Fall des vereinfachten Liquidationsverfahrens wäre also ein Verfahren mit Insolvenzverwalter. Die Kritik geht insoweit ins Leere.

Verwalterlose Liquidationsverfahren sind nur in zwei Konstellationen denkbar:

1. Das masselose Verfahren

Das Vermögen des Kleinstunternehmens beinhaltet keine hinreichende freie Masse zur Deckung der Verwalterkosten (§ 26 InsO). In dieser Konstellation soll nun keine Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse mehr möglich sein (Art. 38 Abs. 3 RLE). Das Insolvenzverfahren wird eröffnet. Ein Insolvenzverwalter wird allerdings nur bestellt, wenn ein Gläubiger dies wünscht und dessen Kosten finanziert.

Ansonsten bleibt die Verwaltung des Vermögens und die Erfüllung insolvenzspezifischer Pflichten in der Hand des eigenverwaltenden Schuldners, der diese mit Blick auf die angestrebte Entschuldung erfüllen muss. Er wird hierzu – wie schon heute in Privatinsolvenzen – fachkundiger Beratung bedürfen. Ist der Schuldner nicht zur Eigenverwaltung geeignet, kann einem Gläubiger die Erfassung und Verwaltung des verbliebenen Schuldnervermögens übertragen werden (Art. 43 Abs. 4 RLE); insbesondere eine Art der „Institutsverwaltung“ gesicherter Gläubiger wird so bei Interesse möglich (vgl. § 150a ZVG). In Verfahren ohne freie Masse sind diese Gläubiger ohnehin nicht selten die einzigen mit einem aktiven Interesse am Verfahren. Sie können dann entscheiden, ob sie die Verwaltung selbst bzw. durch Angestellte übernehmen oder durch Antrag und Kostenfinanzierung einen Verwalter bestellen lassen. Zu beachten ist schließlich auch, dass der Schuldner im Interesse seiner schnellen Entschuldung daran interessiert sein kann, eine Eigenverwaltung zu vermeiden und eine Verwalterbestellung zu beantragen, ggf. aus Mitteln, die ihm zu diesen Zwecke von interessierten Dritten (insbesondere der Familie) zur Verfügung gestellt werden. Die Regelungssystematik schafft so insgesamt Anreize zur Einbindung eines Verwalters im eigenen Interesse der jeweiligen Beteiligten.

Im Übrigen kann das Gericht in Ausübung seiner Amtsermittlungsbefugnisse (§ 5 Abs. 1 InsO) jederzeit einen Sachverständigen damit betrauen, die Vermögensverhältnisse des Schuldners aufzuklären bzw. dessen Angaben zu überprüfen. Es steht also keineswegs zu befürchten, dass die Rechtspfleger oder gar Richter am Insolvenzgericht künftig regelmäßig Schuldnervermögen erfassen und Vermögensverzeichnisse selbst überprüfen müssen.

In der Summe funktioniert der Regelungsvorschlag also gerade bei masselosen Verfahren. Auch bei ihnen wird die Einbindung von Experten sichergestellt, sei es als Insolvenzverwalter oder aber als Institutsverwalter, Schuldnerberater oder Sachverständige. Zugleich wird die Kostenlast wie auch die Entscheidungskompetenz über die Art der Einbindung sachgerecht verteilt. Natürlich ist dabei Sachverständigenentschädigung geringer als die Verwaltervergütung (vgl. § 11 Abs. 4 InsVV). Und auch die Schuldnerberatung ist von anderen Kostenstrukturen geprägt als die Insolvenzverwaltung. Beide Strukturen scheinen aber durchaus gut zu einem masselosen, ordnungspolitisch motivierten Verfahren zu passen. Die Etablierung möglicher Alternativen zu einer Verwalterbestellung können aber auch der Grund sein, warum gerade Verwalterverbände ihre Ablehnung gegen diese neue Verfahrensregulierung mit Vehemenz vortragen.

2. Das kostendeckende Verfahren

Das Vermögen des Kleinstunternehmens kann gerade so ausreichen, um aus der im Insolvenzverfahren erzeugten freien Masse zumindest die Verfahrenskosten samt der Verwaltervergütung zu decken. In diesem Fall ist es bereits heute zu eröffnen und ein Insolvenzverwalter ist zu bestellen. Die von ihm über Insolvenzanfechtungs- und Haftungsansprüche erzeugte freie Masse fließt dann aber nicht an die Insolvenzgläubiger und verbessert nicht deren Verfahrensergebnis. Sie wird vielmehr von der Vergütung des Insolvenzverwalters vorrangig beansprucht.

Das geltende deutsche Insolvenzrecht billigt den Insolvenzgläubigern kein Entscheidungsrecht dahingehend zu, ob in solchen Fällen ein Verwalter zu bestellen ist. Die Quotenirrelevanz der Verwaltertätigkeit wird akzeptiert; die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens hat Vorrang. Art. 39 RLE würde hier eine Änderung bewirken. Nun bedarf es für die Verwalterbestellung zumindest eines Gläubiger- oder Schuldnerantrags. Das Versprechen einer agressiven Verfolgung von Anfechtungssachverhalten ist keine Garantie mehr für die eigene Bestellung und Vergütung als Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren. Ob Insolvenzverfahren ohne Quotenaussicht mit Verwalter stattfinden oder in der Hoffnung auf eine Quote auf den Verwalter verzichtet wird, liegt dann in der Entscheidungsmacht jedes einzelnen Gläubigers.

 

Fazit: Das verwalterlose Verfahren ist ein Mythos.

Schon der Richtlinienentwurf ist so gestaltet, dass es auch im vereinfachten Liquidationsverfahren jederzeit einen Insolvenzverwalter geben kann. Die Anreizstrukturen bewirken zudem, dass die Kosten eines Insolvenzverwalters gerade bei masselosen Verfahren von den am Verfahrensergebnis interessierten Beteiligten bewertet werden. Das Gericht kann sich zudem bei Zweifeln am Zahlenwerk des Schuldners stets durch einen Sachverständigen unterstützen lassen. Auch die Schuldnerberatung wird dieses Tätigkeitsfeld schnell erobern. Insolvenzrechtlicher Sachverstand wird so auch in masselosen, ja sogar verwalterlosen Verfahren gesichert. Er wäre zu wünschen, dass diese Harmonisierungsideen endlich konstruktiv diskutiert werden.