Covid-19: Die bedingte Aussetzung der Insolvenzantragspflichten genügt nicht

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz reagiert auf von der Politik geschaffene Sondersituation und die so sicher bevorstehende Rezession  in einer Pressemitteilung vom 16.3.2020 sehr vorsichtig und nur durch die Wiederholung erprobter Maßnahmen. Wie schon in den Hochwasserkatastrophen 2002, 2013 und 2016 ist bislang nur eine gesetzliche Regelung zur bedingten Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.09.2020 vorgesehen, die durch das BMJV durch Verordnung bis zum 31.03.2021 verlängert werden kann. Damals lautete die Regelung in § 1 des Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei hochwasser- und starkregenfallbedingter Insolvenz wie folgt:

„Beruht der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle und Hochwasser im Mai und Juni 2016, so ist die nach § 15a der Insolvenzordnung bestehende Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen, längstens jedoch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2016.“

Nun scheint nach dem Wortlaut der Pressemitteilung angedacht, die Aussetzung der Antragspflichten davon abhängig zu machen, dass „der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht und dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen bzw. ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen.“

Diese Bedingung wird der Sondersituation nicht gerecht (ebenso Prof. Dr. Georg Bitter). Anders als bei einem Hochwasser treffen die Maßnahmen, die derzeit mit Bezug auf die Virusverbreitung getroffen werden, unmittelbar – und vor allem mittelbar – alle Unternehmen in Deutschland. Stornierungen und Auftragsrückgänge sind dabei nicht immer nachweisbar auf die Epidemie zurückzuführen, etwa wenn Auftraggeber Bestellungen stornieren, um ihre Liquidität angesichts der krisebbedingten Unsicherheiten zu sichern. Die verlangte Kausalität zu den Auswirkungen der Epidemie ist insofern entweder stets zu bejahen oder aber einer ex-post Betrachtung in späteren Insolvenzen-/Haftungsprozessen zu unterwerfen, die ex ante in den nächsten Wochen dazu führen wird, dass vorsichtshalber doch lieber Insolvenzanträge gestellt werden. Die Regelung verliert so ihre Wirkung.

Einen Fehlanreiz setzt dann auch noch die zweiten Voraussetzung. Das Führen von Sanierungsverhandlungen oder die Beantragung öffentlicher Hilfen ist sicher ein Indiz für das Vorliegen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, nicht aber für begründete Aussichten auf eine Sanierung. Insoweit passen die geforderten Indizien nicht zum gewünschten Ziel. Vor allem aber begründet die zweite Voraussetzung faktisch einen Zwang zur Beantragung von Mitteln bzw. zur Aufnahme von Verhandlungen, um angesichts der derzeitigen Prognoseunsicherheiten eine Suspendierung der Antragspflichten rechtssicher zu erreichen. Auch Unternehmer, denen es eigentlich möglich wäre, ohne staatliche Hilfe oder Finanzierungsverhandlungen die Zeiten der Unsicherheit zu überstehen, werden so zu solchen Maßnahmen gezwungen. Dieser Anreiz sollte vermieden werden.

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Die Überlegungen des BMJV gehen in die richtige Richtung, sollten aber entschiedener ausfallen als in vergangenen – vergleichsweise regionalen – Hochwasserkrisen. Ich habe hierzu Vorschläge gemacht. Eher in Richtung der Förderung von Finanzierungshilfen gehen die Anregungen von Prof. Dr. Georg Bitter, der insofern vor allem Bedarf für Korrekturen im Bereich des Anfechtungsrechts sieht (ähnlich sehen erste Überlegungen der TMA Deutschland aus). Die Niederlande hatten gute Erfahrungen mit einem gesetzlichen Moratorium in Kombination mit einem Hilfsfonds angesichts einer verheerenden Überschwemmung im Februar 1953. Entsprechende Regelungen sollten nun auch für Deutschland vorbereitet werden. So fordet nun auch der Gravenbrucher Kreis schnelle Liquiditätshilfen. Die Selektions- und Marktaustrittsfunktion des Insolvenzrechts kann dann wieder einsetzen, wenn die Sondersituation bewältigt ist.

Ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland? Die Diskussion ist neu entbrannt.

Die Ankündigung eines „Legislativentwurfs über Unternehmensinsolvenzen“ im Aktionsplan der EU Kommission vom 30.9.2015 hat eine Diskussion neu belebt, die nach der Verabschiedung des ESUG im Jahr 2012 zum Erliegen gekommen war. Damals hatte sich der deutsche Gesetzgeber klar gegen ein eigenständiges Sanierungsverfahren außerhalb der InsO positioniert und stattdessen die vorläufige Eigenverwaltung gestärkt (§ 270a InsO) und durch ein „Schutzschirmverfahren“ (§ 270b InsO) aufgewertet. Eine Evaluation dieser Neuregelungen war erst in 2017 geplant. Der Vorstoß auf europäischer Ebene hat nun vorzeitig für Bewegung gesorgt. Nicht nur in Brüssel, auch in Berlin wird wieder diskutiert, wie ein erfolgreiches Sanierungsverfahren für einen Schuldner in Insolvenznähe aussehen sollte und ob die ESUG-Reformen dem nahe kommen.

Was will die Kommission?

Die Brüsseler Initiative wird sich ausweislich des Aktionsplans an den Empfehlungen der Kommission vom 12.3.2014 orientieren und „von nationalen Regelungen [ausgehen], die gut funktionieren“ – so die Formulierung auf S. 28. Die Empfehlung beschreibt eine „präventiven Restrukturierungsrahmen“, den ein Schuldner vor seiner Insolvenz in zwingender Eigenverwaltung nutzen kann, um weitgehend außergerichtlich einen mehrheitlich getragenen Restrukturierungsplan zu verhandeln und diesen ggf. gegen eine Minderheit von ablehnend votierenden, aber notwendig zu beteiligenden Gläubigern gerichtlich durchzusetzen. Ein „Schutzschirm“ und ein Aufseher („Beauftragter“) soll nur optional zur Verfügung stehen. Sanierungsfinanzierungen sollen zudem Schutz im Fall einer Folgeinsolvenz genießen. Eu-flagDie Kommission orientiert sich damit keinesfalls an den unter zwingender Gerichtsaufsicht stattfindenden Sanierungsverfahren in England (Scheme of Arrangement) oder Frankreich (Procédure de Sauvegarde). Es hat vielmehr einen primär außergerichtlich verortetes Hilfspaket für außergerichtliche Sanierungsverhand-lungen im Sinn, die wegen des Desinteresses oder des strategischen Interesses einzelner Beteiligter (etwa auf die Auszahlung des Lästigkeitswerts orientierte Distressed-Debt-Investoren) in einer Sackgasse landen. Ob  es bei dieser Orientierung bleibt, ist allerdings keinesfalls sicher, hat sich doch unter der neuen Kommission nicht nur ein neuer Mitarbeiterstab, sondern auch eine neue Expertengruppe konstituiert, der durchaus zuzutrauen ist, neue Gedanken und Zielvorstellungen durchzusetzen.

Was passiert in Deutschland?

Die Aktivitäten in Brüssel haben auch das BMJV überzeugt, die ESUG-Evaluation vorzuziehen und insbesondere auch erneut die Notwendigkeit und Ausgestaltung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens zu diskutieren. Eine erste Anhörung dazu fand am 18.2.2016 in Berlin statt. Dabei ist deutlich geworden, dass die Vorstellungen über die Funktion und Ausgestaltung eines solchen Verfahrens noch überaus vielgestaltig sind.

Idee 1: Das vorinsolvenzliche Insolvenzplanverfahren

Die Diskussion in der insolvenzrechtlichen Fachliteratur und Praxis wird von Insolvenzrechtsexperten geführt, weshalb es kaum verwundert, dass dieser Personenkreis ein vorinsolvenzliches Verfahren primär aus der Idee heraus entwickelt, das vorhandene Sanierungsverfahren in der Insolvenz – das Insolvenzplanverfahren – in den Zeitraum vor der Insolvenz vorzuverlagern (Siemon, NZI 2016, 57; Braun, Die vorinsolvenzliche Sanierung von Unternehmen, 2015; zuvor schon Bork, ZIP 2010, 2010, 397; Beissenhirtz, ZInsO 2011, 57; Geldmacher, ZInsO 2010, 696; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849). In dieser Konsequenz wird dem Verfahren folgende Eigenschaften zugeordnet:

  • Gesamtverfahren (und Gläubigergleichbehandlung) – Das Verfahren erfasst alle Gläubiger und verhindert Sonderopfer.
  • Gerichtliches Verfahren – Das Verfahren bedarf einer Eröffnung durch ein Gericht, einer Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen, einer Abstimmung im Gerichtstermin und einer gerichtlichen Planbestätigung.
  • Eigenverwaltung und Sachwalteraufsicht – Der Schuldner führt während des Verfahrens sein Unternehmen fort, allerdings unter der Aufsicht eines Sachwalters.
  • Vollstreckungsschutz – Während des Verfahrens sind alle Vollstreckungsmaß-nahmen untersagt und Insolvenzanträge nicht zulässig.

 Idee 2: Das Bestätigungsverfahren

Näher man sich hingegen dem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren nicht in den Spuren der Insolvenzrechts, sondern in seiner Funktion als „Vertragshilfe“ bei scheiternden außergerichtlichen Sanierungsverhandlungen, so wird deutlich, dass es keineswegs des Aufwandes und der Eingriffsmittel eines insolvenzrechtlich geprägten Gerichtsverfahrens bedarf. Der präventive Restrukturierungsrahmen muss lediglich eine Exit-Option bereithalten, die der Schuldner in dieser Situation nutzen kann, um Sanierungsverhandlungen gegen den Widerstand einzelner Beteiligter zum Erfolg zu führen. Das Gericht muss folglich erst ins Spiel kommen, wenn der Schuldner das Mehrheitsvotum zugunsten seines Sanierungsplans für alle Gläubiger verbindlich machen will, die durch den Plan beeinträchtigt werden. Dem Richter wird dann der Plan und das Abstimmungsergebnis zur Bestätigung vorgelegt. Einer Eröffnungsprüfung bedarf es in dieser Situation ebensowenig wie einer zwingenden Sachwalterbestellung oder aber eines Moratoriums. Solche Tools sollten nur im Einzelfall und auf Antrag angewandt werden.

Ich habe bislang für ein solches Bestätigungsverfahren vor den Insolvenzgerichten (Bestätigungsinsolvenz) geworben, denke aber inzwischen, dass man das damit einhergehende Stigma der Insolvenz vermeiden sollte und das Bestätigungsverfahren an (spezialisierte) Zivilrechts-kammern überträgt. Da ein solches „Vertragshilfe“-Verfahren (der Name ist leider durch ein Verfahren aus der NS-Zeit negativ besetzt – dazu Madaus, Insolvenzplan, 2011, S. 77 ff.) nur außergerichtliche Sanierungsverhandlungen absichert und solche Verhandlungen selten mit allen Gläubigern geführt werden, kann auch das Bestätigungsverfahren kein Gesamtverfahren sein; es sind nur die Gläubiger aus den Vertragsverhandlungen zu beteiligen, da nur diese durch den Plan betroffen und gebunden werden (partielle Kollektiviät). In der Regel werden dies Finanzgläubiger sein (Konsortialbanken, Anleihegläubiger). Daher könnte man ein solches Verfahren auch auf den Konzernkontext beschränken und im Aktienrecht verorten (so mein Vorschlag in „Vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren – Perspektiven einer europäisch geprägten Rechtsentwicklung“, KSzW 2015, S. 183-190; SSRN: http://ssrn.com/abstract=2648857).

Vergleich mit den Vorgaben aus Brüssel

Misst man beide Regelungsideen an den Brüsseler Vorgaben aus der Empfehlung 2014, so ist offensichtlich, dass nur das Bestätigungsverfahren dem dort beschriebenen „präventiven Restrukturierungsrahmen“ gerecht wird. Die zwingende Eingriffstiefe und daraus folgende Gerichtslastigkeit eines „vorinsolvenzlichen Insolvenzplanverfahrens“ wird der gewünschten „minimalen Gerichtsbeteiligung“ ebenso wenig gerecht wie die zwingende Kollektivität eines Gesamtverfahrens dem Wunsch nach einer Beschränkung auf die „betroffenen Gläubiger“. Ein Bestätigungsverfahren kann demgegenüber die Vorgaben weitestgehend erfüllen.

Aufruf zur Neuorientierung in der Diskussion

Die Diskussion einer möglichen Reform des deutschen Sanierungsrechts in Richtung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens hat gerade erst neu begonnen. Sie sollte sich von den hergebrachten Denkschemata lösen und die Empfehlungen aus Brüssel ernst nehmen. Wir brauchen kein zweiten – nun vorinsolvenzliches – Vergleichs- oder Planverfahren, sondern eine Sanierungshilfe für scheiternde außergerichtliche Sanierungsverhandlungen!