„Keine Reorganisation ohne die Gesellschafter – von den Grenzen der Gläubi-germacht in der Insolvenz“
In der Insolvenz einer Gesellschaft werden deren Gesellschafter verbreitet als letztrangige Gläubiger betrachtet und ihre Beteiligungsrechte im Insolvenzplanverfahren entsprechend begrenzt (siehe dazu schon meinen Beitrag im der ZIP 2010, 1214). Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) wird das Insolvenzplan-verfahren nun ganz in diesem Sinne reformieren.
Der Beitrag zeigt auf, dass die pauschale Einordnung der Gesellschafter einer insolventen Gesellschaft als letztrangige Gläubiger nur gerechtfertigt ist, wenn die Gesellschaft in der Insolvenz liquidiert wird. Soll sie hingegen reorganisiert – also als Rechtsträger erhalten – werden, so müssen die entscheidenden Wertungen nicht mehr § 199 InsO, sondern § 201 InsO entnommen werden. Die Gläubiger haben hier nur einen Anspruch auf die Erfüllung ihrer Nachforderungen, nicht aber einen Anspruch auf den Schuldner selbst, also auf dessen Rechtsträger und dessen unübertragbare und damit quasi „unpfändbare“ Rechte. Die Personalexekution ist dem modernen Insolvenzrecht fremd. Sollen diese besonderen Vermögenswerte zugunsten der Gläubigerbefriedigung gewonnen werden, so bedarf dies der freiwilligen Zustimmung der Gesellschafter, deren autonome Entscheidungsmacht in einer fortzuführenden Gesellschaft insofern inhaltsgleich von Art. 9 GG und (bei Aktiengesellschaften) von Art. 25 der Kapitalrichtlinie geschützt wird.
Die Gesellschafter sind in der Reorganisation der Gesellschaft nicht als Gläubiger zu behandeln und in die Gläubigerhierarchie einzuordnen. Leistungen an die Gesellschafter hindern daher auch nicht die Anwendung eines Obstruktionsverbots gegen eine Gläubigergruppe.
Ein Obstruktionsverbot gegenüber einer Gesellschaftergruppe ist aus denselben Erwägungen nur denkbar, wenn der Insolvenzplan die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter unberührt lässt und den Gläubigern nur eine Rechtsposition an der reorganisierten Gesellschaft zuordnet, die eine Befriedigung über den vollen Betrag ihres Anspruchs hinaus ausschließt. Diese Anforderungen erfüllt etwa ein debt-mezza-nine-swap (Tausch der Insolvenzforderung gegen Genussrechte), nicht aber der so viel propagierte debt-equity-swap (Tausch der Insolvenzforderung gegen Anteilsrechte).
Die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit bzw. Europarechtskonformität der Zwangsbindung einer ablehnenden Gesellschaftergruppe aufgrund des ESUG werden inzwischen geteilt von:
- Moritz Brinkmann, „Wege aus der Insolvenz eines Unternehmens – oder: Die Gesellschafter als Sanierungshindernis“ in: WM 2011, S. 97 ff. (S. 100: verfassungsrechtliche Bedenken wegen Art. 9 I GG)
- Andreas Piekenbrock, „Das ESUG- fit für Europa“ in: NZI 2012, S. 905 ff. (S. 908: europarechtliche Bedenken wegen Art. 25 I KapRL)
- Michael Stöber, „Die Kompetenzverteilung bei Kapitalerhöhungen im Insolvenzverfahren“ in: ZInsO 2012, S. 1811 ff. (S. 1818-1820: Bedenken wegen Art. 9 I GG und Art. 25 I KapRL)
Es finden sich aber (natürlich) auch Stimmen, die die im Beitrag von mir vertretene Ansicht kritisieren (jeweils mit Stellungnahme zur geäußerten Kritik):
- Ulrich Haas, „Mehr Gesellschaftsrecht im Insolvenzplanverfahren“ in: NZG 2012, S. 961 ff.):
- „keine durchschlagenden verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bedenken“ (S. 963)
- die bloße Behauptung bleibt leider ohne Begründung
- „Insolvenzrecht“ und „Insolvenzverfahren“ können sich „sehr wohl auch auf massefremde Vermögenswerte auswirken“ und rechtfertigen daher auch einen Eingriff in das Gesellschaftervermögen.
- Dazu bedarf es aber stets einer Massenähe und einer besonderen außerinsolvenzlichen Rechtfertigung, was gerade auch die von Haas angeführten Beispiele deutlich machen („Insolvenzanfechtung“ = Rückholung von Massegegenständen, die mal im Schuldnervermögen waren und deren Empfänger nicht schutzwürdig erscheinen (ein Gedanke, der auch außerhalb des Insolvenzverfahrens berücksichtigt wird – AnfG); Gesamtschadensliquidation nach „§§ 92, 93 InsO“ = betrifft Annexforderungen zur Insolvenzforderung und setzt daher das Vollstreckungsverbot durch; „Verwertung von Sicherungseigentum“ = Vermögensbindung aus der Sicherungsabrede überlagert dingliche Rechtsposition in der Sondersituation der Insolvenz). Eine vergleichbare Zugriffslegitimation existiert für die Gesellschaftsanteile nur ausnahmsweise (bei deren Verpfändung an Gläubiger), grundsätzlich aber eben nicht! Das Insolvenzrecht hat aber weder die Aufgabe noch die Befugnis, mit der Masse unverbundene Vermögen mit zu erfassen.
- „keine durchschlagenden verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bedenken“ (S. 963)
- Christian E. Decher/Thomas Voland, „Kapitalschnitt und Bezugsrechtsausschluss im Insolvenzplan – Kalte Enteignung oder Konsequenz des ESUG?“ in: ZIP 2013, S. 103 ff.
- S. 112: „in der Regel prüft das BVerfG [neben Art. 14 GG] nicht noch eine Verletzung des Art. 9 I GG“ – gerade die (auch von den Autoren zitierte) Mitbestimmungsentscheidung des BVerfG (BVerfGE 50, 290, 357) stellt ausdrücklich fest, dass bei einer Fremdbestimmung der Gesellschafter Art. 9 I GG unabhängig von Art. 14 GG Schutz gewährt und eine Fremdbestimmung der Gesellschafter steht beim ESUG außer Frage (sie ist ja gerade bezweckt).
- S. 112: „der Gesetzgeber hat das Gesellschaftsrecht durch das ESUG ausgestaltet“ und damit „den Gehalt des Grundrechts aus Art. 9 I GG“ geprägt – diese auf die Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 I GG ausgerichtete Argumentation verkennt, dass Art. 9 I GG eine gleichartige Gestaltungsbefugnis für den Gesetzgeber nicht vorsieht. Jede gesellschaftsrechtliche Neuregelung ist vielmehr an Art. 9 I GG zu messen.
- S. 112: Eingriffsrechtfertigung durch das „Eigentumsrecht der Gläubiger“ – hier wird verkannt, dass der Schutz der Gläubigerforderungen aus Art. 14 I GG eben nur das Schuldnervermögen, nicht aber das Gesellschafterrecht als Haftungsmasse erfasst.
- S. 112: Eingriffsrechtfertigung aus „Gründen des öffentlichen Interesses“ – leider bleibt die Benennung des Interesses offen – der bloße Sanierungszweck wird hierfür wohl kaum reichen, da der Kern des Art. 9 I GG betroffen ist und Gesellschafter oft kooperationsbereit sind, wenn sie sich denn beteiligen dürfen.
Es bleibt abzuwarten, wann ein Insolvenzplan, der gegen den Willen der Gesellschaftergruppe(n) in deren Rechte eingreift, vom zur Bestätigung aufgerufenen Insolvenzrichter dem EuGH bzw. dem BVerfG vorgelegt wird bzw. als Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe landet. Der Suhrkamp-Plan (dazu Madaus, ZIP 2014, 500) hat leider keine solche Problemlage aufgewiesen, da der die Unterstützung des Mehrheitsgesellschafters fand, konnte aber immerhin ein Gefühl der Notwendigkeit von Gesellschafterschutz in der Insolvenz erzeugen, das es in der Sanierungspraxis zuvor nicht gab.
Für ein grundsätzliches Überdenken der Gesellschafterposition in Sanierungsverfahren wie dem Planverfahren plädiert inzwischen übrigens auch Karsten Schmidt, „Schöne neue Sanierungswelt: Die Gläubiger okkupieren die Burg!“ in ZIP 2012, S. 2085 (S. 2087 Fn. 22: „Madaus, der in der hier angesprochenen Thematik mit dem Verfasser an einem Strang zieht“).