Die EU Kommission hat im September 2015 festgestellt, dass die Mitgliedsstaaten ihre Empfehlung vom 12.3.2014 nur mangelhaft umgesetzt haben und daher keine substanzielle Harmonisierung erreicht wurde. Noch am selben Tag hat sie folgerichtig einen Legislativakt im Bereich des Insolvenzrechts im Rahmen der Initiativen zur Erreichung einer Kapitalmarktunion angekündigt. Seither ist die Diskussion – gerade um die Notwendigkeit und Ausgestaltung des empfohlenen vorinsolvenzlichen Restrukturierungs-rahmens – gerade auch in Deutschland voll entbrannt. Nun hat die Kommission einen ersten Zwischenbericht vorgelegt: das sog. Inception Impact Assessment vom 3.3.2016.
In diesem Dokument betont die Kommission zunächst die Bedeutung effizienter Entschuldungsmechanismen zur Rückführung der derzeit extrem hohen Verschuldungsgrade bei Unternehmen und Privathaushalten, die aus Hemmnis für Investitionen und Wachstum ausgemacht werden. Das Insolvenzrecht wird hier als entscheidendes Instrument erkannt, um diese Problematik zu adressieren und damit auch das Vertrauen in die Bilanzen vieler Europäischer Banken mit derzeit unbekannt großem Non-Perfoming Loan Portfolio wieder herzustellen. Dem wird man tatsächlich zustimmen können. Ein Beitrag meinerseits zu diesem Thema erscheint in den kommenden Tagen in der Juristenzeitung (JZ).
Die unzureichende Umsetzung der Empfehlung und der daraus folgend ausbleibende Harmonisierungserfolg dieser Maßnahme rechtfertigt es aus Sicht der Kommission zudem, die im nicht harmonisierten Insolvenzrecht erkannten Hindernisse für den Binnenmarkt auf der Grundlage des Art. 114 AEUV durch einen Legislativakt anzugehen. Dieser wird nun nicht mehr allein mit dem Ziel eines europäischen Kapitalmarkts verbunden, sondern soll auch helfen, Unternehmens- und Privatinsolvenzen im Binnenmarkt besser zu bewältigen.
Von enormer Bedeutung ist der dann folgende Teil des Dokuments, der klar macht, dass die Kommission inhaltlich nicht mehr nur eine Harmonisierung auf Basis des Inhalts der Empfehlung (vorinsolvenzlicher Restrukturierungsrahmen und Restschuldbefreiung nach 3 Jahren für gescheiterte Unternehmer) plant, sondern ihre Harmonisierungsüberlegungen auf andere Regelungsgebiete ausweitet.
Explizit genannt werden im Bereich des Unternehmensinsolvenzrechts:
- Minimumstandards für die Geschäftsführerhaftung im Fall einer Insolvenz inklusive möglicher Disqualifikationsregeln
- Gemeinsame Regeln für die Rangfolge von Forderungen und Rechten in der Insolvenz sowie für die Insolvenzanfechtung
- Gemeinsame vereinfachte Verfahrensoptionen für die Insolvenz von kleineren Unternehmen (KMU)
- Gemeinsame Regeln für die Tätigkeit der Insolvenzverwalter und -praktiker, die deren fachliche Qualität sicherstellen sollen
- Gemeinsame Regeln über die Insolvenzfestigkeit von treuhänderisch gehaltenen Sicherheiten im Fall der Insolvenz des nur treuhänderisch tätigen Rechtsinhabers
Hinzu kommen für den Bereich der Privatinsolvenz folgende Regelungsbereiche:
- die Garantie eines Privatinsolvenzverfahrens mit Liquidations- und Restrukturierungsoption
- die Garantie einer schnellen Restschuldbefreiung für Privatleute (max. 3 Jahre)
Die Kommission besinnt sich also wieder zurück auf die Themenfelder, die zu Beginn der aktuellen Harmonisierungsdiskussion im Jahr 2011 durch das Europäische Parlament im Lehne-Report aufgezeigt wurden. Ein diesen Linien folgender Legislativakt würde Kernbereiche des materiellen Insolvenzrechts erfassen, wobei aus deutscher Sicht gerade auch der Bereich der Insolvenzanfechtung hervorzuheben ist, deren Reform derzeit in Deutschland ohne jeden Bezug zu europäischen Standards diskutiert wird. Inwieweit das laufende deutsche Gesetzgebungsverfahren nun durch die Überlegungen aus Brüssel blockiert wird, bleibt abzuwarten.
In technischer Hinsicht hält die Kommission derzeit drei Optionen eines Legislativakts für denkbar:
- eine Richtlinie, die den Inhalt der Empfehlung enthält, aber auch um andere Regelungsbereiche erweitert werden kann. Hier werden neben den schon aufgezählten Komplexen noch Regelungen zu Insolvenzplänen, zur Gläubigerbeteiligung und zur Forderungsanmeldung erwähnt.
- eine Verordnung, die das gesamte (!) Insolvenzverfahren regeln würde (Vollharmonisierung). Die Kommission macht immerhin deutlich, dass diese Option zwar vereinzelt gewünscht, kurzfristig aber nicht durchsetzbar sein wird.
- eine Verordnung im vorgenannten Sinne, die aber die geltenden nationalen Insolvenzverfahren nicht ersetzt, sondern nur als „29. Insolvenzverfahren“ begleitet und daher nur zur Anwendung gelangt, wenn sich die Gläubiger jeweils für dieses Verfahren entscheiden (Opt-in Modell).
Parallel dazu sollen „soft law instruments“ in den Bereichen zum Zuge kommen, die einer Harmonisierung von oben herab nicht zugänglich, aber dennoch für ein effizientes Insolvenzverfahren wichtig sind (Steuerrecht, Arbeitsrecht). Erwähnt werden hier insbesondere die UNCITRAL Modellregelungen.
Noch im ersten Halbjahr 2016 wird die Kommission öffentliche Konsultationen zu diesem Legislativvorhaben durchführen. Die Ende 2015 eingesetzte Expertengruppe arbeitet bereits. Auch eine Studie zu den ökonomischen Auswirkungen der Reform ist in Auftrag gegeben worden. Die Kommission arbeitet also intensiv und mit hoher Priorität an einem Harmonisierungsvorschlag im Bereich des Insolvenzrechts, der durchaus das Potenzial haben kann, das deutsche Insolvenzrecht zu erheblichen Anpassungen zu zwingen. Ein Ignorieren oder Abwarten dieser Entwicklungen ist nun keinesfalls mehr möglich.
Warum ist Privatinsolvenz in Europa nicht einheitlich geregelt ? in einigen Länder sind er drei Jahre in BRD ist es länger. Wann kommt die einheitliche Regelung ?konnte nichts nachlesen vom Europäischem Parlament.
Der am 22.10.2016 veröffentlichte Richtlinienentwurf enthält eine Regelung, die eine Restschuldbefreiung europaeinheitlich nach spätestens 3 Jahren vorschreiben würde. Diese Frist wird auch für Verbraucherinsolvenzen empfohlen. Es bleibt damit abzuwarten, was die Mitgliedsstaaten zum Entwurf sagen und wie er umgesetzt wird.