Seit Montag (18.7.2022) gilt das StaRUG auch hinsichtlich seiner Regelungen in den §§ 84 bis 88. Öffentliche Restrukturierungssachen sind nun also möglich. Hierzu muss der Schuldner schlicht bei Anzeige der Restrukturierungssache (oder bis zur ersten Entscheidung des Restrukturierungsgerichts) beantragen, das öffentliche Bekanntmachungen erfolgen sollen (§ 84 Abs. 1 StaRUG).
Dies hat dann zur Folge, dass Entscheidungen des Gerichts, aber auch Ladungen zu Terminen (§ 85 StaRUG), online bei Restrukturierungsbekanntmachung.de veröffentlicht werden und einsehbar sind. Auf dieser Seite findet sich übrigens auch eine Übersicht über die in Deutschland eingerichteten Restrukturierungsgerichte.
Planbetroffene haben bei öffentlichen Restrukturierungsverfahren nun zudem die Option (§ 87 StaRUG), im Restrukturierungsforum des Bundesanzeigers Aufforderungen an andere Planbetroffene hinsichtlich ihrer Teilnahme und ihres Verhaltens in einer Planabstimmung zu veröffentlichen.
Neue Restrukturierungsinstrumente bietet die öffentliche Restrukturierungssache nicht; es bleibt bei den in § 29 StaRUG genannten gerichtlichen Hilfen. Die Wahl einer öffentlichen Restrukturierungssache bewirkt allerdings die Anwendung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO), in deren Anhang A nur diese Form des Restrukturierungsverfahrens aufgenommen wurde. Eine entsprechende Ergänzung der EuInsVO trat bereits zum 9.1.2022 in Kraft (Verordnung (EU) 2021/2260). Die öffentliche Restrukturierungssache kann damit in anderen EU Mitgliedstaaten (außer Dänemark) Wirkungen erzeugen (auf welchem anderen Weg dies auch vertrauliche Restrukturierungssachen können, ist weiter offen – dazu hier).
In öffentlichen Restrukturierungssachen gelten die Regeln der EuInsVO unmittelbar. Sie sind folglich als Haupt- oder Sekundär(insolvenz)verfahren zu eröffnen (Art. 3 und 4 EuInsVO). Ihre Regelungswirkung muss die Grenzen der Art. 8 bis 16 EuInsVO beachten. Ob aus der unmittelbaren Anwendung der EuInsVO auch die Pflicht zur Anwendung von Sachnormen folgt, die in Restrukturierungssachen nicht passen (etwa die Pflichtangaben zum Insolvenzregister in Art. 24 oder das Recht zur Forderungsanmeldung in Art. 53 EuInsVO), ist unklar, im Zweifel aber wegen Art. 288 Abs. 2 AEUV wohl zu bejahen. Der deutsche Gesetzgeber hat vielleicht auch im Hinblick auf diese Unsicherheit vorerst darauf verzichtet, die öffentliche Bekanntmachung unter Restrukturierungsbekanntmachungen.de auch pflichtgemäß europäisch zu vernetzen (Art. 25 EuInsVO). Richtig wäre es, alle in Anhang A der EuInsVO aufgelisteten Verfahren – auch präventive Restrukturierungshilfen – als „Insolvenzverfahren“ im Insolvenzregister des Europäischen Justizportals zu vernetzen, sofern sie die Merkmale des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO) erfüllen. Schließlich ist es auch möglich, neben einer öffentlichen Restrukturierungssache als „präventivem Restrukturierungs-Hauptinsolvenzverfahren“ ein beliebiges Sekundärinsolvenzverfahren aus dem Katalog des Anhang A zu eröffnen (dazu etwa auch der CERIL Report 2022-2 on Cross-Border Effects in European Preventive Restructuring). Die Anwendung der EuInsVO könnte mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass bislang kaum niederländische Restrukturierungsverfahren diesen Weg genuzt haben, obwohl er dort bereits seit Januar 2022 zur Verfügung steht.
Erwähnt sei schließlich auch noch, dass das Mundesministerium der Justiz am 14. Juli 2022 auch die Checkliste für Restrukturierungspläne gem. § 16 StaRUG zum Download bereitgestellt hat. Leider bietet der Text weder eine „Checkliste“ mit Selbstüberprüfungsfunktion („Checkboxes“) noch ein Formular oder gar ein interaktives Template zu Planerstellung, wie es insbesondere für Kleinunternehmen angedacht war. Stattdessen findet man eine Art Kurzkommentierung relevanter Bestimmungen. Eine Zusatznutzen hat diese Checkliste nicht. Stattdessen zeigt sich wieder einmal ein Denken in Dimensionen digitaler Steinzeit. Ich hatte dies schon im Rahmen der Konsultationen im Entstehungsprozess kritisch angemerkt.