Das ESUG hat in letzter Sekunde ein Freigabeverfahren in das Planverfahren eingeführt und auf diese Weise doch noch den Suspensiveffekt von Rechtsmitteln gegen die Planbestätigung relativiert. Die Bewertung dieses neuen Instruments fällt zwiespältig aus.
Was möglich wird:
Der entscheidende Vorteil des Freigabeverfahrens kann in einer weitgehenden Aufhebung des Suspensiveffekts von Rechtsmitteln gegen die Planbestätigung liegen. Zwingende Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Landgerichte, die mit dem Verfahren nach § 253 Abs. 4 InsO befasst werden, das vorrangige Interesse an einer umgehenden Planumsetzung grundsätzlich anerkennen und Fälle eines „schweren Rechtsverstoßes“ nur in den wenigen Verfahren erkennen, in denen das Planverfahren offensichtlich und mit stillschweigender Billigung des Insolvenzgerichts missbraucht wurde, um Sondervorteile im Sinne des § 250 Nr. 2 InsO zu erzeugen. Nur unter diesen Voraussetzungen kann mit dem Freigabeverfahren eine Planungssicherheit entstehen, die der von mir bevorzugten und am U.S.-amerikanischen Chapter 11-Verfahren orientierten Regelung entspricht, in der im Regelfall die Planwirkungen mit Ablauf von zwei Wochen nach der Planbestätigung eintreten. Da diese Planungssicherheit ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Sanierung über ein Planverfahren ist, sollte der Gesetzgeber die Rechtsprechungsentwicklung genau beobachten und ggf. die Regelungen im von mir vorgeschlagene Sinn verschärfen.
Was offen ist:
Wie immer bei Regelungen, die erst in letzter Sekunde in ein Gesetz aufgenommen werden, fehlt auch hier eine passgenaue Abstimmung mit den anderen Maßnahmen zur Erschwerung von Blockadestrategien – insbesondere mit dem Ausgleichsverfahren in § 251 Abs. 3 InsO. Dieses erlaubt dem Insolvenzgericht schon die Abweisung eines Antrags auf Minderheitenschutz, „wenn im gestaltenden Teil des Plans Mittel für den Fall bereit-gestellt werden, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist. Ob der Beteiligte einen Ausgleich aus diesen Mitteln erhält, ist außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären.“
Sieht der Insolvenzplan solche Mittel vor, so wird das Insolvenzgericht den Antrag eines opponierenden Gläubigers oder Gesellschafters auf Minderheitenschutz nach § 251 Abs. 3 InsO abweisen, wenn es der Ansicht ist, dass für individuell benachteiligte Beteiligte hinreichend Mittel zurückgestellt werden.
Daraufhin kann der Betroffene nun in zwei Richtungen reagieren:
- Er kann natürlich sofort und ggf. klageweise eine Ausgleichsleistung aus den Planmitteln geltend machen, um seine Schlechterstellung zu kompensieren.
- Er kann gegen die Planbestätigung aber im Grundsatz auch weiterhin das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde einlegen (§ 253 Abs. 1 InsO). Sieht der Plan aber auch nach Ansicht des Landgerichts als Beschwerdegericht hinreichende Ausgleichsmittel vor, so wäre die Beschwerde des Betroffenen wegen des möglichen Ausgleichs als unzulässig zurückzuweisen (§ 253 Abs. 2 Nr. 3 InsO). Ist die Beschwerde demgegenüber wegen unzureichender Planrückstellungen ausnahmsweise zulässig, so ist es wegen des (leider) weiter grundsätzlich eintretenden Suspensiveffektes dieses Rechtsmittels nun Sache des Insolvenzverwalters, das Freigabeverfahren nach § 253 Abs. 4 InsO einzuleiten, um auf diese Weise eine zügige Umsetzung der plangemäßen Sanierung zu erreichen. Falls die Landgerichte mit dem neuen Verfahren im Sinne einer Stärkung des Planverfahrens umgehen, wird die Freigabe zum Regelfall werden. Dies bedeutet, dass die Beschwerde zurückgewiesen wird und der Betroffene nun den finanziellen Nachteil durch den Plan, den er in der sofortigen Beschwerde behauptet hat, als Schadenersatzklage vor demselben Landgericht weiterverfolgen kann. In der Sache wird aus der Gestaltungsklage gegen die Planbestätigung eine Leistungsklage auf Schadenersatz gegen den Schuldner.
Offen ist dann aber, wie sich das Verhältnis dieser Schadenersatzklage nach § 253 Abs. 4 Satz 4 InsO zur Klage auf Ausgleich aus Planrückstellungen nach § 251 Abs. 3 Satz 2 InsO gestaltet. Beide Klagen sind vor dem Landgericht zu erheben, also außerhalb des Insolvenzverfahrens zu führen. Beide richten sich doch auf dasselbe Interesse: die Benachteiligung durch den Plan im Vergleich zur Liquidation im Regelinsolvenzverfahren.
Der richtige Ansatz zum Umgang mit beiden Rechtsbehelfen liegt im Kollisionsfall allein in den unterschiedlichen Rechtsfolgen.
- Die Klage nach § 251 Abs. 3 InsO richtet sich allein auf eine Leistung aus der Planrücklage.
- Die Klage nach § 253 Abs. 4 Satz 4 InsO richtet sich demgegenüber auf den Ersatz des finanziellen Schadens, der auf der Umsetzung eines rechtswidrigen Insolvenzplans basiert, der wegen der Freigabeentscheidung leider nicht mehr aufhebbar ist. Zugriffsobjekt ist zudem nicht allein die Planrückstellung, sondern die gesamte Insolvenzmasse, ist der Schadenersatzanspruch doch ein Masseanspruch. (Ergänzung vom 27.07.2012)
Es liegt also in der Hand des Betroffenen, den richtigen Weg einzuschlagen, da beide Klagen sich zwar auf dasselbe wirtschaftliche Interesse (Vermögensschaden aus der Planumsetzung) richten, aber gänzlich unterschiedliche Voraussetzungen haben (individuelle Schlechterstellung bzw. rechtswidrige Planbestätigung) und auf unterschiedliche Haftungsmassen (Ausgleichsmittel bzw. Insolvenzmasse) zugreifen.
Aktualisiert am 27.07.2012 – siehe auch den Beitrag in der NZI 2012, S. 597.