Das StaRUG ist nun seit drei Monaten in Kraft und die Praxis tut sich schwer mit dem neuen Recht. Während das zeitgleich in Kraft getretene niederländische Recht die ersten gerichtlich bestätigten Pläne erzeugt und die englische Praxis den neuen Restructuring Plan bereits auf seine Grenzen austestet, bleibt es um das StaRUG ruhig. In den vielen Veranstaltungen zum Thema wird deutlich, dass die harten Schnitte, die der Bundestag auf Empfehlung des Rechtsausschusses dem Gesetz auf den letzten Metern angetan hat, die Anwendungsbereich der neuen Hilfen durchaus erheblich begrenzt haben. Die Nutzung des Restrukturierungsrahmens durch die Geschäftsleiter wird nun nur in Kooperation mit den Gesellschaftern haftunssicher möglich sein, zumal das schmal ausgefallene Zugangsfenster (drohende Zahlungsunfähigkeit, aber keine Überschuldung) einen gößeren zeitlichen Abstand zur prognostizierten Zahlungsunfähigkeit verlangt, sodass Gesellschafterpositionen aktuell oft werthaltig erscheinen.
Hinzu kommt, dass es auch in der Kommunikation mit den Restrukturierungsbeteiligten nicht gerade trivial ist, einerseits ein existenzielles Problem beim Schuldner darzustellen, dass heute schon Einschnitte in Gläubiger- oder Gesellschafterpositionen erfordert, die zur Not auch mit gerichtlicher Unterstützung zwangsweise erfolgen sollen, während man andererseits dem Gericht noch versichern muss, das eben dieses Problem doch noch nicht akut ist, sondern erst in Monaten ein Problem werden könnte, wenn denn zuvor die Restrukturierung nicht gelingt. Stehen weniger als 12 Monate an Zeit zur Verfügung, so liegt zudem die Frage einer Insolvenzverschleppungshaftung bei Scheitern der Restrukturierung ganz in den Händen der Insolvenzverwalter und Landgerichte, die im Nachhinein (mit hindsight bias) prüfen, ob die Restrukturierungsaussicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben war oder nicht doch schon Überschuldung vorlag. Restrukturierungsanreize werden so sicher nicht gesetzt und nicht einmal Lockdown-bedingte Finanznöte genügen aktuell als Treiber für einen „Run“ auf die neuen Verfahrenshilfen des StaRUG.
Aus meiner Sicht sind diese Probleme nicht allein dem Rechtsausschuss anzulasten, sondern bereits in der dogmatischen Grundidee des StaRUG angelegt, auf deren Basis im BMJV das Gesetz konstruiert wurde und die in der Begründung zum Regierungsentwurf nachzulesen ist. Dort verzichtete man bewusst auf das Abstandsgebot zum Insolvenzverfahren und etablierte stattdessen die Doktrin der Parallelität zu insolvenzrechtlichen Hilfen. Diese basiert auf der Annahme, dass Zwangseingriffe in Gläubigerrechte nur zu rechtfertigen sind, wenn der Gläubiger einen solchen Eingriff alternativ auch schon über den freiwilligen Gang des Schuldners in ein Insolvenzverfahren hinnehmen müsste. In der Konsequenz stehen die StaRUG-Hilfen nicht zeitlich vor den InsO-Hilfen, sondern nur und erst dann zur Verfügung, wenn der Schuldner drohend zahlungsunfähig ist und so auch in ein Insolvenzverfahren gehen könnte. Ein Abstandsgebot existiert nicht. Beide Verfahren können (theoretisch) identische Hilfen anbieten.
In einem aktuellen Beitrag für eine Festschrift, die im Laufe des Jahres erscheinen soll, stelle ich dar, dass dieses insolvenzrechtliche Paradigma weder ohne Brüche im StaRUG funktioniert noch für die Rechtfertigung von Zwangseingriffen erforderlich ist. Anknüpfend an meine Anregung von gerichtlichen Restrukturierungshilfen, die auf Basis des allgemeinen Zivilrechts konzipiert werden (siehe das Working Paper aus dem Sommer 2019), zeige ich auf, dass die (zu Recht) modular gestalteten Hilfen des Restrukturierungsrahmens auf einer insolvenzfernen, rein zivilrechtlichen Grundlage durchaus zu rechtfertigen sind. Zugleich kann bei einem Wechsel der dogmatischen Grundkonstruktion des StaRUG hin zum Paradigma der freien Sanierung auch ohne Brüche ein hinreichend weiter Anwendungsbereich nicht-insolvenzlicher Hilfen gestaltet werden. Das Working Paper, das dem Festschriftbeitrag zugrunde liegt, stelle ich hier zum Download bereit.
Ergänzung (29.11.2021): Der Beitrag ist nun erschienen (Madaus, Festschrift für Reinhard Singer zum 70. Geburtstag, 2021, S. 415 ff.). Ich sende ihn auf Anfrage gern zu.