Neuer vertraulicher Kommissionsentwurf der Restrukturierungsrichtlinie

Während der Rechtsausschuss des Europaparlaments über die zahlreichen Änderungsanträge berät, die über Parlamentarier in das Verfahren eingebracht werden, hat die EU-Kommission einen neuen – bislang vertraulichen – Richtlinienentwurf in die Ratsarbeitsgruppen eingebracht. Dies berichtete Mihaela Carpus Carcea, verantwortliche Mitarbeiter bei der Kommission, in Ihrem Grußwort auf dem International Restructuring Symposium am 19.1.2018 im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium in Paris.

In diesem Entwurf reagiert die Kommission auf Widerstände in den Mitgliedstaaten, indem die Umsetzungsspielräume in einigen Bereichen erweitert werden. Es blieben aber, so Carpus Garcea, „rote Linien“, die eine Mindestharmonisierung sicherstellen sollen. So sollen etwa die Zeiträume eines Vollstreckungsstopps flexibler formuliert werden, eine Maximalfrist von höchstens einem Jahr sei aber umzusetzen. Auch bei der Verankerung einer „Absolute Priority Rule“ sei man flexibel, solange die Gruppenbildung und die Möglichkeit eines Obstruktionsverbots gegen eine sich grundlos verweigernde Gruppe Teil des Rechtsrahmens bleibe. Auf Nachfrage stellte sie heraus, dass eine Veröffentlichung des neuen Entwurfs nicht beabsichtigt sei; er diene allein als Gesprächsgrundlage mit den Ratsarbeitsgruppen.

Die schwierigen Diskussionen mit den Mitgliedstaaten haben auch zu einem neuen Zeitplan geführt. Die Kommission hält es nun für wahrscheinlich, erst im Januar 2019 mit dem Trilog zur Richtlinie zu beginnen.

Auf dem Weg zur finalen Restrukturierungsrichtlinie – Das Europaparlament sucht seine Position

Der Richtlinienentwurf der Kommission durchläuft derzeit weiter planmäßig den europäischen Rechtsetzungsprozess mit seinen drei Beteiligten (hier ein Überblick). Die EU-Kommission hat mit ihrem Vorschlag einer Richtlinie zur vorinsolvenzlichen Restrukturierung und zweiten Chance den Prozess initiiert. Seither beraten die Mitgliedstaaten, vertreten durch ihre Ministerialbeamten, in den Arbeitsgruppen des Rates über den Vorschlag. Und auch das Europaparlament hat am 16. Januar 2017 seinen Rechtsausschuss mit einer Prüfung und Stellungnahme beauftragt (zum Prozessablauf hier). Der Rechtsausschuss bestellte Frau Niebler als Berichterstatterin, die – nach mehreren Anhörungen – ihren Bericht  am 25.9.2017 dem Ausschuss präsentierte. Hier regt sie Änderungen am Kommissionsentwurf vor allem an folgenden Punkten an:

  • Keine Eingriffe in Rechte der Arbeitnehmer durch die Maßnahmen in der Richtlinie (Aussetzung, Plan)
  • Erleichterte Einschaltung eines Restrukturierungsverwalters (von Amts wegen bei allen (!) Aussetzungsanordnungen; auf Antrag des Schuldners oder eine Gläubiger-mehrheit)
  • Aussetzungsmaßnahmen nur für 2 Monate, maximal 6 Monate
  • Keine Suspendierung von Insolvenzantragspflichten durch Aussetzungsanordnungen
  • Begrenzung des Kreises der durch Aussetzungsanordnung an der Geltendmachung von vertraglichen Gestaltungsrechten gehinderten Gläubiger auf solche mit „wesentlichen“ Verträgen
  • Möglichkeit einer Vorabprüfung der Gruppenbildung und Stimmrechte durch das Gericht
  • Notwendigkeit einer Kopf– und Summenmehrheit statt nur einer Summenmehrheit in jeder Gruppe
  • Obstruktionsverbot gegen eine ablehnende Gruppe nur bei tatsächliche Zustimmung der Mehrheit der Gläubigergruppen
  • Keine Entschuldung ohne vorheriges Insolvenzverfahren

Der Rechtsausschuss des Europaparlaments wird diesen Bericht sowie eine Vielzahl weiterer Änderungswünsche von Parlamentariern noch im Dezember diskutieren. Am 5.12.2017 hat bereits der Arbeits- und Sozialausschuss des Europaparlaments seine Stellungnahme beschlossen, die sich auf die Position der Arbeitnehmer fokussiert.

Im neuen Jahr wird es dann zunächst im Plenum des Europaparlaments darum gehen, eine Stellungnahme des Parlaments mit Änderungsvorschlägen zu beschließen. Zeitgleich sollten die Ratsarbeitsgruppen ihre Arbeit an der Ratsposition abschließen, sodass der Trilog beginnen kann, in dessen Rahmen der Entwurf der Kommission mit den Vorstellungen des Rates und des Parlamentes konfrontiert und nach einer Kompromisslösung gesucht wird. Idealerweise kann dies noch in der zweiten Hälfte des Jahres 2018 gelingen.

Die Umsetzung der hieraus entstehenden Richtlinie in deutsches Recht wird also frühestens 2019 beginnen. Die Diskussion hierzu würde zuletzt wieder durch das BMJV organisiert und als Expertenrunde am 4. und 5. Dezember 2017 in Berlin veranstaltet. Der deutsche Gesetzgeber scheint nach den Eindrücken aus dieser Runde gut vorbereitet.

ELI Report on business rescue finalized and approved

ELI Report on business rescue finalized and approved

Nach dem Eingang aller Berichte der National Correspondents im Jahr 2016 (siehe Beitrag) haben Prof. Bob Wessels und ich im Sommer 2017 unseren rechtsvergleichenden Bericht fertiggestellt. Er wurde auf der Jahrestagung des European Law Institute im September 2017 in Wien ohne Gegenstimme angenommen und ist nun als Instrument des ELI hier abrufbar. Eine Veröffentlichung des Berichts in Buchform ist für das erste Quartal 2018 bei Oxford University Press geplant. Dort sollen zeitgleich auch die Länderberichte (insgesamt ca. 1.100 Seiten) erscheinen.

Bob and I (left and center on the photo, with project assistant Gert-Jan Boon) are pleased to report that last week, during the General Assembly and Annual Conference of the European Law Institute (ELI) in Vienna, our report ‘Rescue of Business in Insolvency Law’ was approved as an official ELI Instrument.

The Report consists of 115 recommendations explained on more than 375 pages. Its ten chapters contain recommendations on a variety of themes affected by the rescue of financially distressed businesses: (1) Actors and procedural design, (2) Financing a rescue, (3) Executory contracts, (4) Ranking of creditor claims; governance role of creditors, (5) Labour, benefit and pension issues, (6) Avoidance transactions in out-of-court workouts and pre-insolvency procedures and possible safe harbours, (7) Sales on a going-concern basis, (8) Rescue plan issues: procedure and structure; distributional issues, (9) Corporate group issues, and (10) Special arrangements for small and medium-sized enterprises (SMEs) including natural persons (but not consumers). The Report also includes a glossary of terms and expressions commonly used in restructuring and insolvency matters.

We as Reporters feel that the Report is timely and may have a significant and positive impact on the harmonisation efforts of the European Commission as laid down in the November 2016 Proposal for a Directive on preventive restructuring frameworks. The topics addressed in the Report are intended to present a tool for better regulation in the EU, developed in the spirit of providing a coherent, dynamic, flexible and responsive European legislative framework for business rescue. Mindful of the European Commission’s commitment to better legal drafting, the Report’s proposals are formulated as comprehensibly, clearly, and as consistently as possible. Still, the recommendations are not designed to be overly prescriptive of specific outcomes, given the need for commercial flexibility and in recognition of the fact that parties will bargain in the ‘shadow of insolvency law’. The Report is addressed to the European Union, Member States of the EU, insolvency practitioners and judges, as well as scholars. The targeted group many times flows explicitly from the text of a recommendation or the context in which such a recommendation is developed and presented.

We cherish the belief that the report will assist in taking a next, decisive step in the evolutionary process of the European side of business rescue and insolvency law.

The suggested citation is either:

Wessels, Bob and Madaus, Stephan, Business Rescue in Insolvency Law – an Instrument of the European Law Institute (September 6, 2017). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3032309,

or alternatively

Wessels, Bob and Madaus, Stephan, Business Rescue in Insolvency Law – an Instrument of the European Law Institute (September 2017). Available at http://www.europeanlawinstitute.eu/fileadmin/user_upload/p_eli/Publications/Instrument_INSOLVENCY.pdf.

Studie zum Richtlinienentwurf für den Rechtsausschuss des Europaparlaments

Studie zum Richtlinienentwurf für den Rechtsausschuss des Europaparlaments

Der Vorschlag der EU Kommission für einen vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen wird derzeit nicht nur in den Ratsarbeitsgruppen, sondern auch im Europaparlament diskutiert. Der dortige Rechtsausschuss hatte mich gebeten, eine kurze Studie zu den Auswirkungen des Vorschlags auf kleine und mittlere Unternehmen (SME) vorzulegen. Diese Studie ist nun erschienen (hier als PDF in englisch bzw. deutsch). Ich habe sie auf der Rechtsausschusssitzung vom 12. Juli 2017 in Brüssel präsentiert (hier die Aufzeichnung der Sitzung).

Der Rechtsausschuss wird wohl noch in diesem Jahr eine Stellungnahme beschließen und diese dem Parlament vorlegen, das spätestens zu Beginn des kommenden Jahres eine Verhandlungsposition beschließen soll, mit der es dann an den Trilog-Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat teilnehmen wird.

ESUG Evaluation startet

Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat vor fünf Jahren weitreichende Änderungen im Recht der Verwalterbestellung, der Eigenverwaltung und des Insolvenzplans gebracht. Diese Rechtsänderungen haben seither die Praxis der Verwalterbestellung wie auch die Nutzung von Eigenverwaltung und Insolvenzplänen maßgeblich neu gestaltet. Dabei war sich der Gesetzgeber der Wirkungsmacht dieser Reformen durchaus bewusst und hat daher einen Evaluierungsauftrag formuliert: fünf Jahre nach Inkrafttreten der Reformen soll deren Wirkung eingeschätzt werden.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat Ende 2016 diesen Auftrag aufgenommen und eine wissenschaftliche Untersuchung zur Wirkungsweise des ESUG in Theorie und Praxis ausgeschrieben. Diese soll folgende Fragen erforschen:

  • In welchem Umfang hat sich der stärkere Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters auf dessen Unabhängigkeit ausgewirkt? Ist es im nennenswerten Umfang vorgekommen, dass im Interesse einzelner Gläubiger Verwalter bestellt wurden, an deren Unabhängigkeit erhebliche Zweifel bestanden haben?
  • Wurde von der Möglichkeit, über einen Insolvenzplan in die Rechtsstellung von Gesellschaftern einzugreifen, Gebrauch gemacht und wie hat sich dies auf die Schuldnerunternehmen ausgewirkt? In welchem Umfang wurden Forderungen in Eigenkapital umgewandelt, und hat dieser Debt-Equity-Swap im nennenswerten Umfang grob egoistische Strategien ermöglicht, die sich letztlich zum Nachteil der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer ausgewirkt haben?
  • Wird das neu geschaffene „Schutzschirmverfahren“ des § 270b InsO den Erwartungen gerecht und hat es insbesondere zu einer frühzeitigen Antragstellung und zu einer Stärkung der Eigenverwaltung geführt? Wird trotz § 270b InsO noch ein Bedürfnis für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren gesehen?
  • Ist die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger angemessen oder sollte im Interesse einer effektiven Verfahrensabwicklung die funktionelle Zuständigkeit neu austariert werden?

Am 11. Mai 2017 hat das BMJV nun bekannt gemacht, dass die Bietergemeinschaft Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole das Forschungsvorhaben durchführen wird. Es freut mich ungemein, als Teil dieser Bietergemeinschaft die Untersuchung durchführen zu können. Im Zeitraum von Mai 2017 bis Mai 2018 werden wir zunächst eine rechtstätsächliche Untersuchung durchführen, die neben statistischen Daten (erhoben von INDat) vor allem auch eine Befragung der mit dem ESUG beschäftigten Berufsträger beinhaltet. Die Online-Befragung wird noch im Sommer erfolgen. Danach werden wir die Daten analysieren und in eine rechtswissenschaftliche Evaluation der ESUG-Reformen einfließen lassen. Unsere Befunde werden wir gegen Ende des Untersuchungszeitraums in einem Symposium mit Vertretern von relevanten Berufsverbänden diskutieren, bevor wir den finalen Bericht erstellen.

Als idealen Einstieg in die Thematik „ESUG-Evaluierung“ kann die diesjährige Jahrestagung des Instituts für Deutsches und Ausländisches Sanierungs- und Restrukturie­rungs­recht e.V. (IDAS) in Halle/Saale dienen, die natürlich noch in Unkenntnis der Vergabeentscheidung geplant wurde. Unter dem Generalthema „ESUG-Evaluation: Was muss auf die Reformagenda der nächsten Bundesregierung?“ werden am 8. Juni 2017 renommierte Richter, Verwalter, Berater und Professoren ihre Sichtweise auf die ESUG-Reformen und deren Reformbedürftigkeit vortragen und ausführlich mit dem Publikum diskutieren. Näheres zur (kostenfreien) Veranstaltung, insbesondere zur Anmeldung unter obigem Link.

CERIL – CONFERENCE ON EUROPEAN RESTRUCTURING AND INSOLVENCY LAW

CERIL – CONFERENCE ON EUROPEAN RESTRUCTURING AND INSOLVENCY LAW

Der laufende Gesetzgebungsprozess rund um die von der Kommission vorgeschlagene Restrukturierungsrichtlinie hat erneut deutlich werden lassen, dass auf europäische Ebene eine Institution fehlt, die als unabhängiger Ansprechpartner fungieren kann, um den insolvenz- und restrukturierungsrechtlichen Sachverstand aus Wissenschaft und Praxis aus allen EU Mitgliedsstaaten und relevanten Nachbarstaaten koordiniert einzubringen. Nach dem Vorbild der National Bankruptcy Conference in den Vereinigten Staaten soll die Conference of European Restructuring and Insolvency Law (CERIL) genau diese Lücke schließen.

Der Hauptzweck von CERIL besteht darin, für Fragen in technischer und politischer Hinsicht im Zusammenhang mit Restrukturierungs- und Insolvenzgesetzen, Regulierung und Praxis sowie allen damit zusammenhängenden Gesetzen in Europa beratend zur Seite zu stehen. CERIL beabsichtigt, eine einzigartige und unabhängige Perspektive zu bieten, die signifikant langfristige Verbesserungen von Restrukturierungs- und Insolvenzsystemen in ganz Europa unterstützt. CERIL bildet hierzu eine Plattform, die den Austausch von Ideen und deren eingehende Diskussionen ermöglicht. Dies soll zur Veröffentlichung gemeinsamer Studien, aber auch zur Veröffentlichung von Standpunkten zu tagesaktuellen technischen oder politischen Vorhaben führen. Insgesamt sind Hilfestellungen bei gesetzgeberischen Initiativen auf nationaler wie europäischer Ebene intendiert.

Die derzeit in Arbeit befindlichen Projekte betreffen etwa

  • die Rolle der Anteilseigner bei einer Restrukturierung, insbesondere im Zusammenhang mit dem Debt-Equity-Swap,
  • die Besonderheiten der Geschäftsführerhaftung in der Krise,
  • europäische Prinzipien im Insolvenzanfechtungsrecht,
  • dieVerbesserung von Berufsregeln und ethischen Standards von Insolvenzverwaltern oder
  • Verbraucherrechte in Fällen der Restrukturierung oder Insolvenz von Einzelhändlern.

CERIL ist von einer Gruppe prominenter Akademiker und Praktiker gegründet worden, die langjährige Erfahrungen in der Reform nationaler und europäischer Insolvenzgesetze sowie in der Beratung internationaler, im Bereich des Insolvenzrecht tätiger Organisationen besitzen. Zu den Gründern und Mitgliedern der Gruppe, der nur auf Einladung beigetreten werden kann, gehören Mitglider der Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission in Restrukturierungs- und Insolvenzfragen sowie die Experten, die an dem Projekt des European Law Institute zum “Rescue of Business in Insolvency Law” beteiligt sind. Im Frühjahr 2017 hat CERIL mit 75 Konferenzteilnehmern, die über 25 europäische Länder vertreten, beinahe seine maximale Größe erreicht.

Für weitere Fragen und Informationen stehe ich gern zur Verfügung.

Europäische Ideen – passend für das deutsche Insolvenzrecht?

[Hinweis: Mein aktuelles Working Paper zum Richtlinienentwurf am Ende des Beitrags]

Die EU Kommission hat am 22.11.2016 ihren lang erwarteten Richtlinienvorschlag veröffentlicht. Angesichts der sehr missverständlichen offiziellen deutschen Fassung kann nur empfohlen werden, mit der englischen Originalfassung zu arbeiten.

Zentraler Gegenstand dieses Vorschlags ist die europaweite Verankerung eines „präventiven Restrukturierungsrahmens“. Dieser soll nach den – aus Sicht der Kommission enttäuschenden – Erfahrungen mit der Restrukturierungsempfehlung vom 12.3.2014 vor allem gewährleisten, dass von der Wirtschaftskrise betroffene Unternehmen Zugang zu vorinsolvenzlichen und damit möglichst gerichtsfernen Sanierungshilfen finden. Zugleich soll eine Sanierungskultur in Europa verbreitet werden.

Zielsetzung des Richtlinienentwurfs

Die Zielsetzung des Richtlinienvorschlags nimmt mithin vieles auf, was in Deutschland bereits durch das ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, 2012) in Angriff genommen wurde und im kommenden Jahr zur Evaluation ansteht. Die Stoßrichtung des Vorschlags zielt folgerichtig auch nicht auf das deutsche Recht und die – durchaus aus sehr funktionstüchtig anerkannte – deutsche Restrukturierungspraxis. Gerichtsferne Sanierungshilfen und schnelle gerichtsferne Entschuldungen (redlicher) Unternehmer nach ihrem Scheitern sollen vor allem Staaten im Mittelmeerraum helfen, endlich eine geordnete Entschuldung des privaten Sektors zu bewerkstelligen und so nicht nur „Zombie-Unternehmen“, sondern auch die dazu gehörenden non-performing loans in den örtlichen Bankbilanzen Stück für Stück zu Marktbedingungen zu bewerten und in der Folge entweder notwendige Sanierungsbeiträge zu verteilen oder aber eine Liquidation zu erreichen.

Für Deutschland ist dieser Richtlinienentwurf dennoch keineswegs irrelevant. Er beinhaltet grundlegende Veränderungen für das Restschuldbefreiungsverfahren (auf die hier nicht eingegangen werden soll) und die Vorschaltung von gerichtlichen Sanierungshilfen vor und damit außerhalb eines Insolvenzverfahrens.

Inhalt des präventiven Restrukturierungsrahmens

Zum Verständnis des Vorschlags zwei aufeinanderfolgende Zeitabschnitte zu differenzieren:

1. Verhandlungsphase

In der Verhandlungsphase sollen Maßnahmen zur Verfügung stehen, die den ungestörten außergerichtlichen Verhandlungsprozess abschirmen (Tool 1: Moratorium bzw. „stay“) oder aber diesen unterstützen (Tool 2: Restrukturierungsexperte als Vertrauensperson/Mediator).

2. Bestätigungsphase

In der Bestätigungsphase soll ein verhandelter Plan zum Gegenstand einer gerichtlichen Bestätigung gemacht werden können. Diese Gerichtsbeteiligung kann dabei zum einen dazu dienen, einzelne Akkordstörer an den Plan zu binden (Art. 10 Abs. 1 a) = Tool 3). Sie kann aber auch lediglich zum Ziel haben, Leistungen an oder durch Sanierungsbeteiligte aufgrund eines im Konsens angenommenen Plans für den Fall einer Folgeinsolvenz mit Privilegien zu versehen (Art. 10 Abs. 1 b) = Tool 4). Der Restrukturierungsrahmen hat insofern beachtliche Folgewirkungen für Folgeinsolvenzverfahren.

Einschätzung

Der Kommissionsvorschlag zur präventiven Restrukturierung ist in sich durchaus konsistent, wenn man den Grundansatz akzeptiert, Restrukturierungshilfen für Unternehmen vom Insolvenzverfahren zu lösen. Damit sollen sicher die Funktionsdefizite in der Justiz einiger süd-/osteuropäischer Mitgliedstaaten umgangen werden, die auch aus diesem Grund seit Jahren in einer Wirtschaftskrise stecken. Die Kommission betont zugleich aber zu Recht auch die Vorteile freier Sanierungen, die auf diesem Weg konzeptionell gestärkt werden sollen.Eine ausführliche Erläuterung und Bewertung findet sich in meinem aktuellen Working Paper, das im Sommer im Tagungsband der Heidelberger gemeinnützigen Gesellschaft für Unternehmensrestrukturierung (HgGUR) veröffentlicht werden wird, auf deren Zehnten Symposium zur Unternehmensrestrukturierung ich am 23.3.2017 sprechen durfte.

ELI Projekt zur Unternehmenssanierung in Europa – Finale Phase

Seit inzwischen drei Jahren erforschen Prof. Kristin van Zwieten (Oxford University), Prof. Bob Wessel (em., Universität Leiden) und ich die Regeln und „best practices“ der Unternehmenssanierung vor und in der Insolvenz in 13 ausgewählten europäischen Mitgliedstaaten. Nach der Fertigstellung eines Bandes, der die hierzu eingeholten Länderberichte sowie die Aufarbeitung der Standards internationaler Organisationen (World Bank, UNCITRAL etc.) enthält und noch in diesem Jahr von Oxford University Press veröffentlicht werden wird, haben sich Prof. Wessels und ich in der vergangenen Woche in Halle zusammengesetzt, um der rechtsvergleichenden Analyse den letzten Schliff zu geben und insgesamt ca. 120 Empfehlungen zu formulieren. Diese fassen in prägnanter Form zusammen, wie aus unserer Sicht ein idealer Regelungsrahmen aussehen müsste. Kristin van Zwieten’s ausführliche Kommentare sind dabei umfassend in die Schlussfassung eingeflossen. Unsere Analyse und Empfehlungen werden wir in der kommenden Woche dem European Law Instutite, das unser Projekt trägt, vorlegen und die Mitglieder um Anregungen bitten. Der Abschluss des Projekts ist für die Mitgliederversammlung des ELI im September geplant. Im Anschluss wird auch dieser Bericht durch Oxford University Press veröffentlicht werden. Damit nähert ein Projekt dem Abschluss, durch das ich nicht nur einen großen Erkenntnisgewinn erfahren durfte. Vor allem auch die enge persönliche Zusammenarbeit mit Prof. Bob Wessels und Prof. Kristin van Zwieten haben dieses Forschungsvorhaben zu einem ganz besonders bereicherndem Erlebnis gemacht. Wir hoffen, dass unsere Analysen und Empfehlungen wichtige Impulse und Hilfsstellungen bei der Fortentwicklung des Restrukturierungsrechts geben können.

After almost three years of work, prof. Bob Wessels and me came together in Halle to finalise our project on „Business Rescue in Insolvency“ for the European Law Institute (ELI). In a half-week long discussing/wri-ting/editing exercise, we produced the final draft of our report which will be delivered to ELI next week for approval. The report counts around 300 pages and has resulted in over 100 recommendations directed at the European Commission, EU Member States and national and European organisations and associations of insolvency practitioners, turnaround advisors, judges and company directors. We cherish the hope that the outcome will make a significant contribution to the European architecture of restructuring and insolvency.

Ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren für Deutschland – EU Kommission legt Richtlinienvorschlag vor

Am späten Nachmittag des 22.11.2016 hat die EU Kommission nun ihren Richtlinienvorschlag für eine erste Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts vorgestellt (Directive on preventive restructuring frameworks, second chance and measures to increase the efficiency of restructuring, insolvency and discharge procedures – COM(2016) 723 final). Nach kontroversen Diskussionen mit der Expertengruppe und allen interessierten Stakeholdern hat sich die Kommission nun entschlossen, im Richtlinienvorschlag weitgehend den Kernpunkten der Empfehlung vom 12.3.2014 zu folgen und diese nur vorsichtig um weitere Punkte zu erweitern. Oftmals bleibt es dabei bei Regelungsempfehlungen („Member States may…“).

Eu-flagEntscheidend für das deutsche Recht ist die Passage im Vorschlag, wonach der gewünschte vorbeugende Restruktu-rierungsrahmen (preventive restructuring framework) es Schuldnern in der Krise ermöglichen soll, im Wege der Schuldenrestrukturierung eine „Insolvenz zu vermeiden“ (Art. 4 Abs. 1). Erwägungsgrund 17 stellt hierzu eindeutig klar, dass diese Hilfe vor einer Insolvenz zur Verfügung stehen und eine Zugangsprüfung nicht erfordern soll; ein Missbrauch des Restrukturierungsrahmens soll stattdessen durch die beteiligten Gläubiger verhindert werden, die dem Plan zustimmen müssen. Zugleich soll der Schuldner finanzielle Schwierigkeiten aufzeigen, die eine Insolvenzwahrscheinlichkeit beinhalten und mit dem Plan bewältigt werden. Eine gerichtliche Kontrolle dieser Punkte kann nachgelagert erfolgen (Erwägungsgrund 18).

Damit ist klar, dass das deutsche Schutzschirmverfahren, das ein Planverfahren erst im eröffneten Insolvenzverfahren erlaubt, nicht die neuen Vorgaben erfüllt. Dass dies auch die Kommission so sieht, macht sie in dem ebenfalls veröffentlichten „Country fact sheet Germany“ deutlich – einer grafisch aufbearbeiteten Zusammenfassung der Auswirkungen der vorgeschlagenen Richtlinie, die für jeden einzelnen Mitgliedsstaat veröffentlicht wurde. Für Deutschland wird hier die Effizienz des Insolvenzrechts ausdrücklich anerkannt und folgerichtig (neben einer Verkürzung der Restschuldbefreiung für gescheiterte Unternehmer auf 3 Jahre) nur die Einführung eines flexiblen vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen mit möglichst geringer Gerichtsbeteiligung aufgrund der Richtlinie hervorgehoben. Ein solches Verfahren könnte etwa den Linien folgen, die unter Beteiligung des BMJV in den Thesen des Gravenbrucher Kreises beschrieben wurden.

Im Vergleich zur Empfehlung vom 12.3.2014 sind nur einige wenige Punkte wirklich neu in die Richtlinie aufgenommen worden. Der entsprechende Diskussionsprozess lässt sich anschaulich dem geleakten Diskussionspapier entnehmen. Insgesamt hervorzuheben wären an dieser Stelle folgende Punkte:

  • die Einführung von frühen Warnmechanismen für Unternehmen;
  • die Verfügbarkeit eines kollektiven oder auch individuellen Vollstreckungsstopp für max. 4 Monate (verlängerbar auf max. 12 Monate, der gleichzeitig auch Antragspflichten suspendiert;
  • ein Restrukturierungsplan, der nicht alle Gläubiger, nun aber auch die Gesellschafter erfassen und ggf. über ein Obstruktionsverbot nach dem Vorbild des § 245 InsO durchgesetzt werden kann;
  • Rechtsmittel gegen eine Planbestätigung sollen zugelassen, aber keine aufschiebende Wirkung haben;
  • Safe harbour für alle Restrukturierungshandlungen vor Anfechtbarkeit und Haftung sowie eine Vorrang für die Sanierungsfinanzierung in einer Folgeinsolvenz;
  • Qualifikations- und Konzentrationsanforderungen an Insolvenzrichter;
  • Anforderungen an die Qualifikation, Auswahl, Aufsicht, Haftung und Vergütung von Insolvenzverwaltern und Sachwaltern (practitioners in the field of restructuring, insolvency and second chance) sowie
  • eine Datenerhebungspflicht.

Es bleibt abzuwarten, in welcher Form diese Vorschläge den europäischen Gesetzgebungsprozess überstehen, der nun gerade erst beginnt. Insbesondere die neuen Regelungen zum Berufsrecht sowie zur Gesellschafterbeteiligung könnten hier noch auf den Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten stoßen. Die Diskussion um die beste Lösung bleibt spannend.

Der Richtlinienvorschlag der Kommission verzögert sich

Der für den 26.10.2016 angekündigte Vorschlag einer Richtlinie, die aufbauend auf der Empfehlung vom 12.3.2014 eine europaweite Harmonisierung des materiellen Insolvenzrechts einleiten soll, ist bislang nicht veröffentlicht worden. Es heißt, dass noch Abstimmungsbedarf in der Kommission bestünde. Als neues Datum für eine Veröffentlichung ist der 22.11.2016 im Gespräch.

Eu-flagZum Inhalt des Richtlinienvorschlags ist noch nichts in belastbarer Form bekannt. Das dem INDat Report zugespielte Arbeitspapier aus dem September lässt immerhin erkennen, dass sich die Thematik des Vorschlags nicht wesentlich von der Empfehlung entfernt; neu sind vor allem Safe Harbours für Geschäftsführer, eine Priorität für Sanierungsfinanzierungen im Folgeinsolvenzverfahren sowie die sehr konkrete Empfehlung eines Code of Conduct für Sanierungsberater und Insolvenzverwalter. Methodisch finden sich oft Zielvorgaben, die den Mitgliedsstaaten die konkrete Umsetzung überlassen. Klar scheint aber auch, dass ein vorinsolvenzlicher Restrukturierungsrahmen verlangt wird, der anders als das Schutzschirmverfahren jenseits des Insolvenz(eröffnungs)verfahrens stattfindet. Sicher wird man dies allerdings erst feststellen können, wenn die finale Version des Richtlinienvorschlags veröffentlicht ist.