Am 17. Juni 2021 hat ein Forschungsprojekt seinen formalen Abschluss gefunden, dass im Jahr 2017 in Rom begann: die Entwicklung eines European Model Protokolls auf Basis der seit ca. 30 Jahren etablierten Praxis in grenzüberschreitenden Insolvenzen. Auf der finalen Konferenz, die leider nur online stattfinden konnte, erläuterte das Projektteam seine Forschungswege und -ergebnisse. Das Projekt wurde durch die EU finanziert (JUST-AG-2017/JUST-JCOO-AG-2017).
Kooperationspflichten für Verwalter und Gerichte in der EuInsVO
Das im Projekt erarbeitete European Model Protocol übernimmt nun nicht schlicht die in 30 Jahren erarbeiteten Inhalte von Kooperationsvereinbarungen zwischen Insolvenzverwaltern aus mehreren Nationen. Es nimmt seinen Ausgangspunkt vielmehr in den besonderen Vorgaben der Europäischen Insolvenzordnung, die seit 2017 sowohl für Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren als auch für Insolvenzverfahren über transnationale Unternehmensgruppen allgemeine Kooperationspflichten vorsehen. Diese Pflichten treffen dabei nicht nur die beteiligten Verwalter, sondern auch die Gerichte.
Zwei unterschiedliche Adressaten derselben Pflicht
Auf der Basis einer detaillierte dogmatischen Analyse der sich hieraus ergebenden zwingenden rechtlichen Vorgaben haben wir entschieden, zwei separate Modellregelungen zu schaffen.
Das Verwalter-Protocol
Der erste Teil des European Model Protocol richtet sich an Verwalter, die den Inhalt, die Formen und die Grenzen ihrer Kooperation konkretisieren und so planbar gestalten wollen. Hier bietet wir in 24 Modellklauseln Lösungen für die verschiedenen Themenkreise der Kooperation an: von der Informationsgewährung über die Behandlung streitiger Themen bis hin zur gemeinsamen Planentwicklung. Diese Protocols würde in der bekannten Form zwischen den Verwaltern verhandelt, angepasst und vereinbart.
Die Gerichts-Guidelines
Der zweite Teil des European Model Protocol betrifft die beteiligten Gerichte. Die von uns im Rahmen des Projekts gewonnenen empirischen Erkenntnisse legen hier nahe, dass Richterinnen und Richter in EU-Mitgliedstaaten starke Bedenken gegen eine persönliche Unterzeichnung von Vereinbarungen mit ausländischen Gerichten tragen, sodass aus unserer Sicht eine Kooperationsförderung nicht im Wege klassischer „Gerichts-Protocols“ erfolgen kann, sondern über die gesetzlichen Verfahrensordnungen bzw. – wo möglich – über Verfahrensgrundsätze oder Guidelines der betreffenden Gerichte erfolgen sollte, die aus Anlass eines Insolvenzverfahrens etabliert werden können, dann aber über den einzelnen Insolvenzfall hinaus wirken dürfen. Hierfür haben wir 20 Modellregeln entworfen, in denen Gerichte die Formen und Grenzen gerichtlicher Kooperation bestimmen und so rechtssicher planbar machen können.
Ziel: Die Etablierung einer EU-Protocol-Kooperations-Kultur
Das zweiteilige European Model Protocol bietet kooperationspflichtigen Beteiligten in einem grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren einen Orientierungspunkt und eine Verhandlungsgrundlage für die konkrete Erfüllung dieser Pflicht. Für die Gerichte sind die Gerichtsverwaltungen und auch der Gesetzgeber, vielleicht sogar der EU-Gesetzgeber, aufgefordert, diese Grundlagen zu implementieren. Verwalter dürfen das EMP gern als Verhandlungsbasis nutzen. Die Musterregeln erlauben dabei nicht nur eine rechtssichere Handhabung der neuen Kooperationspflichten der EuInsVO. Sie dienen auch dazu, die bislang eher im Common Law zu findende Kooperationskultur in den EU-Mitgliedstaaten praktikabel und damit positiv erfahrbar zu machen. Vielleicht entsteht so mit der Zeit auch bei den Verfahrensbeteiligten in EU-Insolvenzverfahren eine Kultur protocol-gestützter Kooperation.
Weitere Einzelheiten zum Projekt, insbesondere zu den beteiligten Universitäten, finden sich hier.
Das European Model Protocol kann hier in englischer, deutscher, französischer, italienischer und spanischer Sprache heruntergeladen werden.
Der Forschungsbericht ist hier als Buch erhältlich, kann aber auch als e-Book hier heruntergeladen werden.