Der Koalitionsausschuss hat am 25. August beschlossen, dass von den Verlängerungsoptionen im CovInsAG nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht werden soll. Allein die „Regelung über die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für den Insolvenzantragsgrund der Überschuldung wird bis zum 31.12.2020 weiterhin ausgesetzt.“ [Hier der Gesetzentwurf.] Daraus folgt, dass nach der Rückkehr der Insolvenzantragsrechte der Gläubiger zum 29. Juni 2020 nun auch die uneingeschränkte Insolvenzantragspflicht für den Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) zurückkehrt und dies bereits in vier Wochen – zum 1.10.2020. Auch ist zu beachten, dass Geschäftsleiter, die bereits heute wissen, dass eine Liquiditätslücke bis zum 30.9. (dem Ende des Aussetzungszeitraums) nicht zu schließen ist, auch unter Geltung des CovInsAG keine Befreiung von den Antragspflichten mehr genießen (hierzu der Blogbeitrag von Prof. Georg Bitter).
Die Begründung dieser zurückhaltenden und nach Insolvenzgründen differenzierenden Gesetzgebung folgt allein ordnungspolitischen Gesichtspunkten. Nach Auffassung der Bundesregierung würde es das Vertrauen in die Integrität des Marktprozesses erschüttern, würde man haftungsbeschränkten Gesellschaften mit akuten Liquiditätsproblemen weiter die Teilnahme am Markt erlauben. Die zusätzliche Insolvenzvorsorge führe zu erheblichen Belastungen des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs. Zugleich wird eine Aussetzung des Überschuldungstatbestands damit gerechtfertigt, dass die Pandemie nicht überwunden ist und für die kommenden Monate weiter corona-bedingte Beschränkungen des Wirtschaftsverkehrs erwartet werden, was insgesamt zu Unsicherheiten im Wirtschaftsgeschehen führt. Eine Fortbestehensprognose, auf die im Kern der geltende Überschuldungstatbestand basiert, ließe sich auf dieser Basis kaum erstellen. Dies ist sicher richtig, wird aber wohl auch für die Liquiditätsplanung gelten müssen.
Aus dem Beschluss des Koalitionsausschusses folgt damit, dass die Bundesregierung weiter die Strategie der Infektionsvermeidung verfolgt (zu den Alternativen siehe mein Working Paper aus dem Juli 2020), sodass die relevanten Entscheidungsträger – jedenfalls auf Bundesebene – über etwaige Beschränkungen des Wirtschaftslebens (insbesondere im Bereich Kultur, Unterhaltung und Freizeit) weiter ohne Rückkopplung an die Belastung des Gesundheitssystems entscheiden werden. Die bestehenden Beschränkungen bleiben folglich bestehen und werden im kommenden Winter wahrscheinlich noch verschärft werden. Auch ist mit einer flächendeckenden Impfung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Diese Umstände werden alle Unternehmen bei der Erstellung der Umsatzprognosen für die kommenden Monate beachten müssen.
Betrachtet man das Ergebnis des Koalitionsausschusses zum CovInsAG, so muss man leider feststellen, dass die Bundesregierung tausende deutsche Unternehmen weit vor der Bewältigung der Coronakrise aus rein ordnungspolitischen Überlegungen im Stich lässt. Der Regierungsentwurf verweist betroffene Unternehmen allein darauf, „sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote und im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren.“ Dies bedeutet, dass Einzelunternehmer zu Hartz IV-Empfängern werden, wenn sie nach Verbrauch aller Rücklagen (inklusive des Großteils der Altersvorsorge) mit ihrem Unternehmen zahlungsunfähig werden. Zugleich können sie über Fremdanträge auch dauerhaft ihre Existenz in einem Insolvenzverfahren verlieren. Größere Unternehmen sind darauf angewiesen, über staatliche Beteiligungen, Kredite oder Garantien die über den Sommer (mithilfe des CovInsAG und staatlicher Kredite) gesicherte Liquidität zu schonen (etwa durch Stundungen), zu refinanzieren oder zu restrukturieren. Hierfür stehen aber jenseits eines Insolvenzverfahrens nur außergerichtliche Verhandlungen zur Verfügung, ist doch mit der Einführung außerinsolvenzlicher Restrukturierungshilfen noch in diesem Jahr nicht zu rechnen.
Die Notwendigkeit eines kurzfristigen Corona-Schutzschirms
Wenn sich der Staat dazu entschließt, weiter den Wirtschaftsverkehr zu beschränken, so muss er angemessene Hilfestellungen für diejenigen anbieten, die durch diese Maßnahmen Einbußen erleiden. Mittel der Wahl ist dabei nicht die Schaffung von Restrukturierungshilfen im Rahmen der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie. Die Grundidee des Restrukturierungsrahmens liegt in der Identifizierung und Rettung von Unternehmen jeder Größe mit einem überlebensfähigen (profitablen) Geschäftsmodell. Gerade die Frage der Überlebensfähigkeit lässt sich aber für diejenigen Unternehmen derzeit nicht klar beantworten, die durch die Pandemie Einbußen erleben. Die Richtlinienumsetzung kann es diesen Unternehmen sicher – wie anderen Krisenunternehmen – erleichtern, eine Restrukturierung zu verhandeln. Sie sollte insofern auch wegen der Pandemie zeitnah erfolgen. Eine passgenaue Antwort auf die Corona-Herausforderungen bietet sie aber nicht. Auch kommt sie für Unternehmen zu spät, denen in den kommenden Wochen die Liquidität ausgeht.
Die Bundesregierung sollte daher noch zum 1.10.2020 einen Corona-Schutzschirm gesetzlich verankern (hierzu schon mein Blogbeitrag im April). Ein solcher Schutzschirm sollte nur noch denjenigen Unternehmen und Unternehmensleitern helfen, die unter den andauernden Einschränkungen der Pandemiebekämpfung leiden, indem ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, die Pandemie unter gerichtlichem Schutz zu überstehen und mittelfristig in den Wirtschaftskreislauf zurückzukehren.
Die Grundstrukturen eines Corona-Schutzschirms
Der Schutzschirm ist ein gerichtlich angeordnetes Moratorium. Vorbilder finden sich etwa im englischen oder auch im schweizer Recht.
Das Moratorium gewährt dem Schuldner folgende Handlungsoptionen:
- „Überwintern“ der Krisenzeit und Rückkehr zur Rentabilität nach dem Ende der Pandemie ohne besondere Maßnahmen zur Schuldenregulierung
- Atempause zur Verhandlung einen Schuldenlösung und deren Verankerung auf freiwilliger Basis (außergerichtlicher Vergleich) oder in einem Restrukturierungsplan (nach der Richtlinienumsetzung)
- Atempause zur Verhandlung einen Schuldenlösung und deren Verankerung über einen Insolvenzplan im eröffneten Insolvenzverfahren
- Atempause und Betriebsveräußerung oder Stilllegung ohne anschließende Insolvenz
- Atempause und Betriebsveräußerung oder Stilllegung in der Insolvenz und schneller Entschuldung des Unternehmers
Die Inanspruchnahme des Moratoriums müsste als Erfüllung der wieder aktivierten Insolvenzantragspflicht gelten, auch wenn der Antrag auf ein Moratorium zunächst nicht als formeller Insolvenzantrag anzusehen ist.
Der Zugang zum Moratorium wäre auf Unternehmen zu beschränken, die durch die Pandemie Umsatzeinbußen erleiden.
- Der Schuldner darf zum 31. Dezember 2019 weder überschuldet noch zahlungsunfähig gewesen sein.
- Die Umsatzerlöse müssen seit März 2020 im Vergleich zum den entsprechenden Monaten im Jahr 2019 erheblich eingebrochen sein.
Diese Voraussetzungen sind – in Anlehnung an § 270b InsO, aber auch an die Verfahren bei Gewährung von Überbrückungshilfen – von einem Steuerberater (etwa bei kleinen Unternehmen), einem Wirtschaftsprüfer (bei größeren Unternehmen) oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bescheinigen und diese Bescheinigung ist dem Antrag beizufügen.
Die notwendige Dauer des Moratorium lässt sich kaum sinnvoll vorab prognostizieren, da unklar ist, wann wieder ein beschränkungsfreier Wirtschaftsverkehr möglich ist. Das Moratorium sollte daher zunächst für sechs Monate angeordnet und dann auf Antrag des Schuldners jeweils um weitere drei oder sechs Monate verlängert werden, wobei sich die Anforderungen an einer Verlängerung jeweils verschärfen, um einen Missbrauch zu verhindern. So könnte für die erste Verlängerung verlangt werden, dass die erneut vorzulegende, aktualisierte Bescheinigung dahingehend zu erweitern ist, dass eine Wiederaufnahme des stillgelegten Geschäftsbetriebs sowie eine Wiederherstellung der Rentabilität des Geschäftsbetriebs bei Aufhebung aller coronabedingten Maßnahmen nicht offensichtlich aussichtslos ist. Für weitere Verlängerungen könnte zusätzlich verlangt werden, dass die Bescheinigung durch einen Unternehmensberater oder zertifizierten Insolvenzverwalter erfolgt, um die umfassende Prüfung des Geschäftsmodells und aller Handlungsoptionen zur Beendigung des Moratoriums durch externen Sachverstand sicherzustellen. Eine vorzeitige Aufhebung muss auf Antrag des Schuldners möglich sein, wenn dieser eine Lösung für seine Lage verhandelt hat (etwa in Form einer Unternehmensveräußerung, eines außergerichtlichen Vergleichs oder eines Restrukturierungsplans). Eine Umwandlung in ein reguläres Eröffnungsverfahren findet statt, sobald der Schuldner dies beantragt oder aber das Moratorium ohne Verlängerung endet (im letzteren Fall kann der Schuldner seinen nun als Eröffnungsantrag behandelten Moratoriumsantrag nach § 13 Abs. 2 InsO zurücknehmen).
Die Wirkung des Corona-Schutzschirms besteht in denen eines Moratoriums analog § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Das ständige Nachverhandeln von Stundungen wird überflüssig; zugleich wird durch die kurze Laufzeit und die Anforderungen an Verlängerungsanträge verhindert, dass sich der Schuldner unter dem Schutzschirm ausruht.
Die Folgen einer Insolvenzantragstellung (jenseits der Erfüllung einer Antragspflicht) werden im Übrigen nicht ausgelöst. Der Schuldner behält die Geschäftsführung über sein Unternehmen und kann keine Masseverbindlichkeiten begründen. Ihm sollte aber verboten werden, auf durch das Moratorium betroffene Forderungen zu leisten, es sei denn, solche Leistungen sind für die Aufrechterhaltung des (Krisen-)Geschäftsbetriebs erforderlich. Im letzteren Fall sollte eine Anfechtbarkeit in der Folgeinsolvenz ausgeschlossen sein. Für Unternehmen jenseits der Schwelle des § 22a Abs. 1 InsO könnte man auch die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und eines vorläufigen Gläubigerausschusses andenken, deren Aufgabe darin bestünde, im Moratorium Sanierungsoptionen zu prüfen und zu verhandeln.
Schnelle Entschuldung bei nachweislich corona-bedingtem Scheitern als Unternehmer
Der Corona-Schutzschirm sollte gerade für Einzelunternehmer nicht die einzige Hilfestellung bleiben. Das unternehmerische Scheitern mit einem Unternehmen, das bis zur Ergreifung der pandemiebedingten Maßnahmen der Politik rentabel war, sollte nicht dadurch doppelt bestraft werden, dass eine Restschuldbefreiung erst nach Ablauf der gesetzlichen Wohlverhaltensperiode eintritt und in dieser „verdient“ wird. Stattdessen sollte Unternehmern, die pandemiebedingt scheitern und ein Insolvenzverfahren durchlaufen, mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch automatisch eine Restschuldbefreiung zuteil werden. Stellen sich im Nachhinein Umstände heraus, die gegen die Redlichkeit des Schuldners sprechen, so genügt für diese Sonderfälle die Möglichkeit des nachträglichen Widerrufs der Restschuldbefreiung.