Covid-19 – Was wird aus dem COVInsAG?

Die Laufzeit insolvenzrechtlicher Sonderregeln des COVInsAG endet im September 2020. Es muss also noch in diesen Wochen diskutiert werden, ob diese Regelungen weiter in Kraft bleiben. Konkret geht es darum, ob das BMJV von der Verordnungsermächtigung in Art. 1 § 4 COVInsAG und Art. 240 § 4 EGBGB Gebrauch machen sollte.

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie die Politik in den kommenden Monaten und vielleicht Jahren mit der Präsenz des SARS-CoV-2 Virus umgehen wird. Das unten abrufbare Working Paper beginnt die Überlegungen daher mit einer Analyse der Prämissen des COVInsAG (I.) und der derzeit dominierenden Strategie in Politik und Gesellschaft im Umgang mit der Pandemie (II.). Auf dieser Grundlage wird eine Überführung der COVInsAG-Regelungen in ein Pandemie-Sonderrecht befürwortet, das von der parallelen Verbesserung der Instrumente in Insolvenz- und Restrukturierungsfällen begleitet werden muss (III.).

Die Analyse macht deutlich, dass die derzeit herrschende Strategie der Infektionsvermeidung die Dauer der Pandemie auf unbestimmte Zeit verlängert und einen Schwebezustand erzeugt, in dem für Eingriffe in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nur geringe Schwellen bestehen, sodass mit solchen Eingriffen in vielen Wirtschaftsbereichen weiter zu rechnen ist; manche Branchen (etwa das Veranstaltungs- oder Reisegewerbe) werden mittelfristig dauerhaft Beeinträchtigungen hinnehmen müssen. Hierauf ist nicht mehr mit einem Notstandsgesetz – wie dem COVInsAG – zu reagieren. Es bedarf vielmehr eines Pandemiegesetzes, das für diesen längeren Zeitraum Überbrückungshilfen passgenau anbietet. Zugleich sind pandemiebedingte Marktaustritte und Restrukturierungen zu erleichtern. Durch staatliche Eingriffe erzeugte Sonderopfer sollten durch schnelle Entschuldungen und effiziente Restrukturierungshilfen begrenzt werden. Die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie und der ESUG-Reformen sollten daher noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.

Die Einzelheiten finden sich in diesem Working Paper (Stand 6. Juli 2020).

Ein zitierfähiger Abdruck des Working Paper ist in der ZInsO erschienen (Madaus, ZInsO 2020, 1693).

Das „Dutch Scheme“ nimmt die erste Hürde im Parlament

Am 26. Mai 2020 hat die Zweite Kammer (Tweede Kamer) des Niederländischen Parlaments das Gesetz verabschiedet, das ein Restrukturierungsverfahren in den Niederlanden verankern wird, welches auch als „Dutch Scheme“ bekannt ist. Eine inoffizielle Übersetzung der verabschiedeten Fassung findet sich hier. Das Gesetz (Wet homologatie onderhands akkoord – WHOA”) bedarf nun noch der Zustimmung des Senats (Eerste Kamer), die in den kommenden Wochen erfolgen soll, da das Gesetzgebungsverfahren als eilbedürftig zur Corona-Folgenbekämpfung eingestuft wurde. Das Verfahren könnte damit schon im Sommer zur Verfügung stehen.

Verfahrensziel

Das Dutch Scheme kombiniert Elemente des US Chapter 11-Verfahrens und des englischen Scheme of Arrangement mit den Ideen des Europäischen Präventiven Restrukturierungsrahmen der Richtlinie.

In seinem Kern dient es – wie der Name WHOA deutlich macht – allein der gerichtlichen Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Akkoord), dem am Ende der Verhandlungen nicht alle Beteiligten zustimmen. Dabei bestimmt der Schuldner den Kreis derjenigen, die vom Plan erfasst werden, während die nicht Betroffenen keine Rechtseinbußen erleiden. Im Plan sind die betroffenen Rechte Gruppen zuzuordnen. Das Gericht darf den Plan bestätigen, wenn in jeder Gruppe eine Zweidrittel-Summenmehrheit erreicht wird und der Plan die Rechte der Minderheit hinreichend berücksichtigt. Stimmen nicht alle Gruppen mit der notwendigen Mehrheit zu, so ist unter bestimmten Voraussetzungen ein Cross-Class-Cramdown möglich.

Verfahrensablauf

Die Entwicklung und Verhandlung des Plans liegt in der Hand des Schuldners und kann vollständig außergerichtlich und vertraulich erfolgen (out-of-court workout). Im Idealfall gelingt die Sanierung außergerichtlich. Treten hingegen Akkordstörer auf, so kann eine Minderheit durch Vorlage des mehrheitlich gewollten Plans bei Gericht im Wege der gerichtlichen Bestätigung gebunden werden.

Stören einzelne Gläubiger schon den Verhandlungsprozess durch (die Androhung von) Vollstreckungshandlungen, so kann sich der Schuldner auch bereits zu diesem Zeitpunkt an das Gericht wenden, um eine Aussetzung der Vollstreckung oder auch eine generelle präventive „Atempause“ (Schutzschirm) zu erreichen, die maximal vier Monate dauern kann und auf maximal acht Monate verlängerbar ist.

Das Initiativrecht für die Planerstellung und -vorlage sowie für die Atempause liegt beim Schuldner. Über sein Tätigwerden informiert er das Gericht informell, woraufhin dieses für den Fall seiner offiziellen Befassung eine Akte anlegt und für ein Jahr bereithält.

Bleibt der Schuldner in der Krise untätig, können Gläubiger, Gesellschafter, aber auch Arbeitnehmervertreter bei Gericht die Bestellung eines Restrukturierungsexperten beantragen, der dann die Planerstellung initiiert und begleitet, den Plan aber auch nur im Einvernehmen mit dem Schuldner bei Gericht einreichen kann.

Soweit ein Gericht am Verfahren offiziell beteiligt wird, kann dies wahlweise vertraulich oder öffentlich verhandeln. Folgerichtig unterliegt das jeweilige Verfahren bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nur wahlweise dem Anwendungsbereich der EuInsVO, die nur öffentliche Verfahren erfasst, und soll für diese Fälle im Anhang A erscheinen. Welchem Regime die vertraulichen Verfahren unterliegen, ist unklar. In Betracht kommen die EuGVVO (Brüssel Ia-VO), aber auch die nationalen Regeln über die Zuständigkeit und Anerkennung von ausländischen Insolvenzverfahren oder Zivilprozesse.

Minderheitenschutz

Bemerkenswert am niederländischen Gesetzgebungsverfahren war insbesondere die fortgesetzte Fachdiskussion über das richtige Maß an Minderheitenschutz im WHOA, insbesondere im Fall eines Cramdown.

Ungesicherte Gläubiger dürfen nach dem Plan nicht schlechter stehen als im Fall einer Liquidation (best interest test mit Liquidationsszenario als Maßstab). Dabei darf der Plan gesicherten Gläubigern aufgrund des Sicherungsrechts nur den Liquidationswert der Sicherheit zusprechen.

Cross-Class Cramdown

Haben nicht alle Gruppen dem Plan mit hinreichender Summenmehrheit zugestimmt, so kann der Plan nur bestätigt werden, wenn die Voraussetzungen eines Cross-Class Cramdwon gegeben sind. Hierzu muss mindestens eine Gruppe dem Plan zugestimmt haben, die im Liquidationsfall einen Wert erhalten hätte.

Wesentliche Voraussetzung des Cramdown ist die Einhaltung der Vorrangregel durch den Plan. In der finalen Fassung des WHOA findet sich dabei nicht mehr die noch im Vorschlag verankerte strenge „Absolute Vorrangregel“ nach amerikanischen und deutschen Vorbild. Dies überrascht, wenn man bedenkt, mit welcher Vehemenz gerade niederländische Stimmen die Übernahme dieser Regel in die Restrukturierungsrichtlinie gefordert haben. Das niederländische Parlament entschied sich in einer gesonderten Beschlussfassung dennoch gegen die strikte Version der Vorrangregel. Das WHOA sieht stattdessen vor, dass das Gericht den Plan auch gegen den Widerstand einer ablehnende Gruppe bestätigen darf, wenn neben den Voraussetzungen des Minderheitenschutzes auch die der Absoluten Vorrangregel erfüllt sind, es sei denn, ein Abweichen von dieser Regel ist sachgerecht und verletzt nicht die Interessen der hiervon betroffenen Gläubiger und Gesellschafter. Dabei hat es das Parlament explizit abgelehnt, die Gründe für dieses Abweichen numerativ aufzuzählen und so einzugrenzen. Die so entstandene Vorrangregel ähnelt stark der „relaxed“ absolute priority rule aus den Vorschlägen, die Bob Wessels und ich schon 2017 in unserer Untersuchung für das European Law Institute gemacht haben und die ich auch für die deutsche Richtlinienumsetzung propagiert habe. Eine vergleichbare Regelung sollte auch endlich die zu unflexible Regel in § 245 Abs. 2 InsO ersetzen, wie es auch schon der Evaluationsbericht zum ESUG anregt. Im Ergebnis lässt sich so eine ähnliche Flexibilität erreichen, wie sie die Relative Priority Rule bietet, zumal sich die „Sachgerechtigkeit“ des Abweichens vom absoluten Vorrang an Kriterien messen lassen muss, die eben auch für die Relative Priority Rule diskutiert werden, insbesondere das Diskriminierungsverbot.

Ein Cross-Class-Cramdown scheidet nach dem WHOA zudem aus, wenn der Plan  einer ablehnenden Gruppe kleinerer ungesicherter Gläubiger (MSME creditors) mit Forderungen aus Lieferungen oder Delikt eine Quote von weniger als 20% bietet, soweit nicht zwingende Gründe dies diktieren. So soll die Beteiligung dieser vulnerablen Gläubiger am Reorganisationswert garantiert werden.

Schließlich muss der Plan allen ablehnenden Gruppen außer Sicherungsrechten eine Cash-out-Option zum Liquidationswert anbieten, um sie doch an den Plan zu binden. Gesicherten Gläubigern muss der Plan mindestens zwei Befriedigungsoptionen zur Wahl stellen, um auch ohne ihre Zustimmung bestätigt zu werden.

Gerade in diesem Zusammenhang kann es entscheidend sein, dass der Schuldner schon im Verhandlungszeitraum eine verbindliche Vorabentscheidung des Gerichts über Teilaspekte der Restrukturierung beantragen kann. Hierdurch steigt die Planungssicherheit.

Besonderheit 1: die Anpassung von Dauerschuldverhältnissen

In Anlehnung an das englische Company Voluntary Arrangement (CVA) erlaubt das WHOA nicht nur eine Anpassung der Passivseite der Bilanz, sondern auch eine Einwirkung auf laufende und nicht kurzfristig kündbare Dauerschuldverhältnisse wie Miet- oder Leasingverträge. Dabei wird dem Plan nicht wie beim CVA erlaubt, eine Anpassung der Preise oder Laufzeiten vorzunehmen. Stattdessen gewährt das WHOA dem Schuldner für den Fall des Scheiterns von Anpassungsverhandlungen ein Sonderkündigungsrecht, das allerdings gerichtlich ausgeübt werden muss. Die Entscheidung hierüber hat das Gericht dann im Rahmen der Planbestätigung zu treffen, sodass die Kündigung mit Inkrafttreten des Plans bzw. zu einem gerichtlich bestimmten Zeitpunkt binnen dreier Monate nach der Planbestätigung wirkt. Auf diese Weise wird dem Schuldner eine wirkungsvolle Nichteinigungsalternative für Verhandlungen mit Vertragspartnern in die Hand gegeben. Die Beurteilung der Angemessenheit einer einseitigen Vertragsbeendigung liegt im Ermessen des Gerichts. Die Interessen des Vertragspartners werden durch einen Schadenersatz wegen Nichterfüllung berücksichtigt, der allerdings zum Gegenstand des Restrukturierungsplans gemacht werden kann.

Besonderheit 2: Third Party Release in Konzernrestrukturierungen

Als weitere Besonderheit erlaubt das WHOA dem Restrukturierungsplan, bei Konzernsachverhalten auch die Befriedigung der Gläubiger aus Sicherungsrechten gegenüber anderen Konzerngesellschaften mitzuregeln. Voraussetzung für eine Anpassung ist allerdings, dass auch die anderen Konzerngesellschaften in Schwierigkeiten sind und insofern sich der Gesamtlösung anschließen.

Covid-19 Maßnahmen weltweit – ein Überblick

Covid-19 Maßnahmen weltweit – ein Überblick

[Update: 25.4.2020]

Die Pandemie hat nicht nur zu gesundheitspolitischen Reaktionen in betroffenen Ländern geführt, auch wirtschaftspolitische und insolvenzrechtliche Maßnahmen sind in der Regel Teil eines Maßnahmenpakets, sind doch Auswirkungen der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen auf die Ökonomie klar erkennbar.

Strukturell finden sich in der Regel finanzielle Unterstützungsmaßnahmen (emergency funding) in Kombination mit einer Aussetzung von Zerschlagungsmechanismen zugunsten einer „Verschiebung“ von Insolvenzverfahren auf der Zeitachse (zB in Deutschland, auch UK, Spanien oder Italien) oder zugunsten gerichtlicher Sanierungsverfahren (zB in den Vereinigten Staaten oder den Niederlanden). Empfehlungen für eine Krisenreaktion finden sich im aktuellen CERIL Statement.

Übersichten über weltweit getroffene Maßnahmen mit insolvenzrechtlichem Fokus finden sich inzwischen beim International Committee of the American Bankruptcy Institute und bei INSOL Europe. Übersichten jenseits des Insolvenzrechts bieten insbesondere das Yale Program on Financial Stability (YPFS) (finanzpolitischer Schwerpunkt) oder der Policy Tracker des IMF. Eine Vielzahl von erläuternden und auch kritischen Veröffentlichungen zu diesen Maßnahmen entsteht gerade erst (siehe etwa hier) – in Deutschland bereiten die Fachzeitschriften eilig Sonderhefte vor.

Zugleich beginnt die Diskussion um die passende „Exit-Strategie“. Dabei wird man zum einen den Verschuldungsgrad in öffentlichen Haushalten adressieren müssen. Hier werden die Schulden schon durch die bereits beschlossenen Notfallfinanzmittel um Trillionen steigen. Zusätzlich werden Programme erwartet, um nach Ende der Beschränkungen wieder Wachstum zu stimulieren – all dies vor dem Hintergrund einbrechender Steuereinnahmen. Die Diskussion um „Corona Bonds“ in der EU gibt einen Vorgeschmack auf die hier drohenden Verwerfungen.

Zum anderen wird eine Vielzahl von Unternehmen in den von Beschränkungen direkt oder mittelbar betroffenen Branchen auch nach dem Ende dieser Maßnahmen erst einmal herausfinden müssen, wie weit sich die Umsätze im Markt wiederherstellen lassen. Daraus wird sich erst ergeben müssen, inwieweit ein inzwischen entstandener Verschuldungsgrad tragfähig ist. Der Insolvenzschutz muss insofern über den Zeitraum hinausreichen, in dem Beschränkungen des Wirtschaftslebens gelten. Es bedarf also eines nachlaufenden Zerschlagungsschutzes.

Darüber hinaus muss für die Unternehmen, die in dieser Zwischenzeit oder auch schon früher feststellen, dass sie einer Restrukturierung ihrer Passiva – oft begleitet von Anpassungen im operativen Bereich, insbesondere der Vertragsstruktur (Arbeits-, Miet-, Leasingverträge etc.) – bedürfen, effiziente Restrukturierungshilfen bereit stehen. Hier sind Staaten im Vorteil, die bereits über solche Hilfen verfügen (etwa die Vereinigten Staaten). Andere – etwa die Niederlande, aber auch England & Wales – nehmen die aktuelle Krise zum Anlass, Reformvorhaben zu beschleunigen. Deutschland muss diesem Vorbild folgen und die ESUG-Reform der InsO ebenso noch in diesem Jahr abschließen wie die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie. Diese Werkzeuge werden benötigt.

Die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie kommt in Etappen

Das zu Ende gehende Jahr hat im Bereich des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts eine Vielzahl von Themen auf die Agenda des deutschen Gesetzgebers gerufen, die noch in der laufenden Legislaturperiode, also bis zum Sommer 2021, abgearbeitet werden sollen. Derzeit wird hierzu folgender Zeitplan kommuniziert:

Die schrittweise Verkürzung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre

Noch in diesem Jahr sollte eigentlich der zweite Teil der Restrukturierungsrichtlinie umgesetzt werden, der die gesetzlichen Restschuldbefreiungstatbestände für natürliche Personen harmonisiert. Kern der Richtlinienvorgabe ist dabei die Vorgabe einer Frist von maximal drei Jahren für das Erlangen der Restschuldbefreiung ab Einleitung des Verfahrens für ehrliche Schuldner. Der deutsche Gesetzgeber wird diese Fristverkürzung umsetzen, plant aber zugleich eine Übergangsregelung, nach der die maßgebliche Frist in einem Übergangszeitraum monatlich kürzer wird. Hierzu hat das BMJV am 7. November 2019 eine Pressemitteilung sowie ein Informationsblatt veröffentlicht. Der eigentliche Referentenentwurf müsste dieser Tage folgen.

Vorinsolvenzliche Restrukturierungshilfen für Unternehmen

Die Umsetzung des ersten Teils der Richtlinie und damit die Einführung vorinsolvenzlicher gerichtlicher Restrukturierungshilfen wurde durch das BMJV seit dem Sommer mit verschiedenen Stakeholdern sowie der Wissenschaft diskutiert. Die Arbeit an einem Referentenentwurf scheint insofern fortgeschritten. Dessen Freigabe wird derzeit mit Spannung für das Frühjahr 2020 erwartet. Hierzu hatte ich einen Umsetzungsvorschlag gemacht, der jedenfalls hinsichtlich der dort vorgeschlagenen Regelungsorte (BGB, ZPO) auf der Handelsblatt-Tagung im Herbst als „radikal“ kommentiert wurde. Es dürfte insofern wohl eher eine eigenständige Restrukturierungsordnung zu erwarten sein. Wichtiger als der Regelungsort wird aber der Regelungsinhalt sein, der hoffentlich von einer Neuauflage der Vergleichsordnung absieht und stattdessen moderne, effiziente und insolvenzferne Hilfen zur Verfügung stellt.

Die Einführung derartiger Restrukturierungshilfen verlangt dann auch nach einer Anpassung derjenigen Regelungen, die nach Ansicht des ESUG-Gesetzgeber noch genügen sollten, um Deutschland im Wettbewerb mit ausländischen Rechtsordnungen im Bereich der Restrukturierungshilfen zu positionieren: die ESUG-Reformen. Insbesondere die Regelungen zur vorläufigen Eigenverwaltung und zum Schutzschirm, aber auch die Möglichkeiten des Insolvenzplan sollen im Zuge der Umsetzung der Richtlinie einer erneuten Reform unterzogen werden. Dabei werden hoffentlich die Ergebnisse der ESUG-Evaluation eine zentrale Rolle spielen.

Berufsrecht für Insolvenzverwalter und Restrukturierungspraktiker

Der dritte Teil der Richtlinie betrifft Fragen der Qualitätssicherung bei Gerichten und Verwaltern. Die Konzentration von Restrukturierungsverfahren bei spezialisierten Gerichten wird hier weiter auf der Agenda der (Länder-)Gesetzgeber bleiben. Zugleich wird ein Anstoß in Richtung eines besonderen Berufsrechts für Insolvenzverwalter und sonstige „Practitioner in the field of insolvency, restructuring and second chance“ gegeben. Fragen der Zulassung zum Beruf (etwa eine zentralisierte Auswahlliste), Qualitätssicherung, Aufsicht, Sanktionierung und auch der „angemessenen Vergütung“ sind danach von den Mitgliedsstaaten zu regeln. Die Verwalterverbände haben hierzu verschiedene Stellungnahmen veröffentlicht. Derzeit scheint es realistisch, dass diese Themen in einem dritten Schritt zum Ende der Legislaturperiode vom Gesetzgeber aufgegriffen werden.

Der deutsche Restrukturierungsrahmen – Anregung einer zivilrechtlichen Umsetzung

Der deutsche Restrukturierungsrahmen – Anregung einer zivilrechtlichen Umsetzung

Die „Richtlinie über Restrukturierungs- und Insolvenz„, so ihr nun offizieller Kurztitel, ist in Kraft. Die Umsetzungsfrist läuft damit und das BMJV hat begonnen, Konsultationen mit allen Interessengruppen zu führen. Zugleich beginnt die Diskussion einer möglichen Richtlinienumsetzung auf einer Vielzahl von Tagungen und Vortragsveranstaltungen. Gerade der Blick auf den präventiven Restrukturierungsrahmen wird dabei nicht selten von Vorstellungen geprägt, die sich an bekannten Vorbildern orientieren: der ehemaligen Vergleichsordnung, dem Scheme of Arrangement (oft englischer, manchmal nun auch irischer oder niederländischer Art), den französischen Präventivverfahren. Dies ist verständlich, kann man doch von eigenen früheren Erfahrungen bzw. von denen in anderen Rechtsordnungen lernen und profitieren.

Durch diese Prägung besteht allerdings die Gefahr, eine Umsetzungsoption zu übersehen, die sich ebenfalls in den Spielräumen der Richtlinie bewegt und zugleich an den Umstand anknüpft, dass jede Restrukturierung durch Verhandlungen mit dem Ziel einer konsensualen Lösung geprägt ist, die nur in gewissen, durch das Gesetz (und die Richtlinie) bestimmten Fällen einer gerichtlichen Beteiligung bedarf. Das Gericht kann dann nach den Vorgaben der Richtlinie vertragliche Rechte ebenso suspendieren wie gesetzliche Vollstreckungsmöglichkeiten. Pläne mit gewissem Inhalt (privilegierte Finanzierungen) werden trotz des Konsens aller Beteiligten erst verbindlich, wenn die gerichtliche Bestätigung vorliegt; mehrheitlich unterstützte Pläne ebenso. Die Regelungswirkung eines präventiven Restrukturierungsrahmens findet man also primär im Schuld- und Vollstreckungsrecht.  Es liegt insofern nahe, die entsprechenden Regelungen ebenfalls dort zu verankern.

Um die Vorstellung einer zivilrechtlichen Umsetzung des präventiven Restrukturierungs-rahmens konkret möglich zu machen, habe ich mir erlaubt, sie in Form einer gesetzlichen Regelung mit Erläuterungen – also ähnlich wie ein Gesetzesvorschlag – zu formulieren (Download des PDF hier). Die Umsetzung der Richtlinie würde in neuen §§ 313a bis c, 314a BGB sowie einem neuen § 765b ZPO erfolgen. Daneben wären Ergänzungen in der InsO und dem GVG notwendig. Schließlich enthält der Vorschlag eine kurze Erläuterung der in ihm enthaltenen Regelungen zum Obstruktionsverbot, die nochmals die Bedenken ausräumen soll, die gegen eine Aufweichung der absoluten Vorrangregel geltend gemacht werden.

Die Idee einer zivilrechtlichen Umsetzung ist ein Denkanstoß. Sie soll zeigen, was möglich und aus meiner Sicht empfehlenswert ist, um eine Regelung zu schaffen, die insolvenzfern, international konkurrenzfähig und dogmatisch logisch verankert ist. Die so geschaffenen Sanierungshilfen wäre zivilrechtlich geprägt und folglich nicht in den Anhang A der EuInsVO aufzunehmen. Auch ausländische Unternehmen könnten sie über die Brüssel Ia-VO nutzen.

Madaus – Zivilrechtliche Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie – eine Diskussionsgrundlage (WP 2019-08)

Die Niederlande beginnen mit der Umsetzung – das „Dutch Scheme“ ist im Gesetzgebungsverfahren

Am 5. Juli 2019 hat das Justizministerium der Niederlande einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der zur Umsetzung des Restrukturierungsrahmens der gerade erst im Amtsblatt veröffentlichten Restrukturierungsrichtlinie eine niederländische Version – genauer gesagt sogar zwei – des englischen Scheme of Arrangement beinhaltet. Dem interessierte Leser steht eine englische Version des Gesetzestextes zur Verfügung, ebenso eine Zusammenfassung durch RESOR.

Das atemberaubende Umsetzungstempo unserer Nachbarn wird dadurch erklärlich, dass Vertreter ihrer Restrukturierungsbranche gemeinsam mit dem Justizministerium schon angesichts des Richtlinienvorschlags der Kommission und des Brexit-Votum im Jahr 2016 damit begannen, ein „Dutch Scheme of Arrangement“ zu entwickeln. Dieses sollte die Stärken des englischen Vorbilds aufnehmen, zugleich aber dessen Schwächen (kein Moratorium, kein Cross-Class-Cramdown, keine Vertragsanpassungen wie im CVA) vermeiden. Es entstand ein Scheme of Arrangement, das mehr an das Singapurer Modell erinnert als das englische. Es findet sich ein gerichtliches Verfahren, in dessen Rahmen

  • ein Moratorium zur Verfügung steht,
  • der Schuldner in Eigenverwaltung bleibt,
  • Vertragsanpassungen ohne Plan erfolgen können,
  • die Kapitalstruktur kollektiv wie auch selektiv durch einen Plan restrukturiert werden kann,
  • die dazu erforderliche Gruppenbildung geprüft wird, die (elektronische) Abstimmung organisiert wird,
  • eine gerichtliche Bestätigung unter Berücksichtigung von Einwendungen erfolgt,
  • Rechtsmittel limitiert werden.

Bemerkenswert ist dabei, dass dieses Verfahren eine öffentliche und eine nicht-öffentliche Variante kennt. Findet es öffentlich statt, wird es über seine Aufnahme im Anhang A der EuInsVO unterfallen. Dem nicht-öffentlichen Verfahren ist demgegenüber der Anwendungsbereich der EuInsVO verschlossen. Eine Anerkennung im EU-Ausland wird dann über die Brüssel Ia-VO erfolgen und damit ebenfalls automatsich möglich sein. Der Zugang wird dabei nicht vom COMI des Schuldners abhängen; die Beteiligung von Gläubigern mit Sitz in den Niederlanden oder niederländischem Vermögen würde ebenso genügen wie eine Gerichtsstandsvereinbarung mit Ziel Niederlande. Damit soll das „Dutch Scheme“ nach dem Vorbild Londons und Singapurs gerade für ausländische Unternehmen attraktiv werden.

Abgerundet wird diese Strategie durch das seit Januar 2019 tätige internationale Handelsgericht (Netherlands Commercial Court), das seine Verfahren in englischer Sprache führt und von den Parteien im Rahmen eines internationalen Wirtschaftsrechtsstreits durch eine Gerichtsstandsvereinbarung gewählt werden kann. Es soll insbesondere für „Dutch Schemes“ ausländischer Unternehmen das Forum der Wahl werden und so dem High Court in London, aber auch dem in Singapur Konkurrenz machen.

Für die deutsche Umsetzungsdiskussion schafft das „Dutch Scheme“ Maßstäbe. Dies gilt nicht einmal zwingend für seine Verfahrensgestaltung und die aufgenommenen Sanierungsinstrumente. Die Ausgestaltung als (optional) vollwertiges kollektives Restrukturierungsverfahren fällt einer Rechtsordnung sicher leichter, in der die letzte Gesetzesreform des heimischen Insolvenzrechts Jahrzehnte zurückliegt und die daher derartige Instrumente im Insolvenzverfahren nicht kennt, sodass keine Anpassungsdiskussionen entsteht. Hier sollten wir in Deutschland differenziertere Wege gehen. Was beeindruckt ist die konsequente Ausrichtung auf ein international wettbewerbsfähiges und attraktives Rechtsangebot. Noch mehr hervorzuheben ist die institutionelle Absicherung der neuen Verfahren durch den Netherlands Commercial Court. Ausländische Unternehmen wissen so – wie in England und Singapur – sehr genau, dass sie auf kompetente, entscheidungsfreudige und ökonomisch denkende Richter treffen. Hiervon sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt.

 

Die Restrukturierungsrichtlinie ist veröffentlicht – Die Umsetzungsfrist beginnt

Am 26. Juni 2019 ist die Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) im Amtsblatt (L 172/18) veröffentlicht worden und damit in Kraft getreten. Nun beginnt die zweijährige Umsetzungsfrist.

Der Richtlinientext ist in allen Amtssprachen, auch in deutsch und englisch, erhältlich.

Der finale Richtlinientext ist da – und folgt weitgehend der gemeinsamen Ausrichtung im Rat

Der finale Richtlinientext ist da – und folgt weitgehend der gemeinsamen Ausrichtung im Rat

Der Europäische Rat konnte sich – nach durchaus kontroversen Verhandlungsrunden  – vor Weihnachten mit dem Europäischen Parlament auf einen finalen Text der Restrukturierungsrichtlinie einigen. Dabei war insbesondere die konkrete Ausgestaltung des Restrukturierungsrahmens streitig, hatte hier das Parlament in seiner Stellungnahme doch einige durchaus problematische Positionen bezogen (dazu näher hier).

Die nun veröffentlichte finale Fassung des Richtlinientextes macht nach einer ersten Durchsicht deutlich, dass die Kompromisslinie – zum Glück – nahe an der Ratsposition gefunden wurde.

  • Der Zugang zu Restrukturierungshilfen kann von einem Viability-Test abhängig gemacht werden, muss es aber nicht.
  • Eine Beteiligung des PIFOR (Restrukturierungsexperten) wird nur bei vollständig kollektiven Moratorien (vorbehaltlich einer gerichtlichen Notwendigkeitsprüfung), bei Notwendigkeit eines Cross-Class-Cramdown oder bei Antrag des Schuldners oder der Gläubigermehrheit zwingend.
  • Der Vollstreckungsstopp kann kollektiv oder auch selektiv gestaltet werden und kann zunächst max. 4 Monate dauern, verlängerbar auf max. 12 Monate.
  • Insolvenzantragspflichten sind bei Anordnung eines Vollstreckungs-stopps suspendiert; eine Ausnahme bei Zahlungsunfähigkeit ist möglich.
  • Die Planvorlage bedarf nicht zwingend eines begleitenden Experten-gutachtens. Sie kann in Mitgliedstaaten auch für Gläubiger oder den PIFOR geöffnet werden.
  • Das Erreichen einer Kopfmehrheit in der Gruppe ist nur notwendig, wenn dies Mitgliedstaaten so vorsehen.
  • Der Abbau von mehr als 25% der Arbeitsplätze im Plan löst eine gesonderte Bestätigungsnotwendigkeit aus, wenn insoweit eine Plananfechtung erfolgt.
  • Ein Cross-Class-Cramdown ist möglich unter Einhaltung der Relative-Priority-Rule, wobei die Mitgliedstaaten alternativ auch an der Absolut-Priority-Rule festhalten können. Jedenfalls sind hier Ausnahmen für SME möglich.
  • Rechtsmittel gegen die Planbestätigung haben keine aufschiebende Wirkung.
  • Die Vorgaben an die Gestaltung der Geschäftsführungspflichten in der Krise bleiben eher vage.

Die Parlamentsposition findet sich vor allem in der Sicherung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Verfahren, soweit dieser Personalmaßnahmen beinhaltet, sowie in Privilegierungsklauseln für Kleingläubiger wieder. Auch konnte das Parlament festhalten, dass die Bestätigung eines Restrukturierungs-plans auch bei vollständiger Gläubigerunterstützung dann erforderlich ist, wenn nach dem Plan mehr als 25% der Arbeitsplätze verloren gehen und der Plan insofern angefochten wird (Art 10 (1)(b) und (2) letzter Satz. Voraussetzung hierfür ist nach Erwägungsgrund 30 allerdings, dass der Plan nach nationalem Recht selbst unmittelbar die Anpassung/Beendigung der Arbeitsverhältnisse beinhalten darf. Im deutschen Recht ist dies einem Plan bislang nicht möglich; es bedarf der arbeitsrechtlichen Umsetzung im Wege der Kündigung. Bliebe dies so, hätte dieser Bestätigungstatbestand keine Relevanz.

Insgesamt findet sich ein Rechtsrahmen, der eine Vielzahl an Ausgestaltungsfragen dem nationalen Gesetzgeber überlässt. Die Diskussion wird sich also nach Berlin verlagern. Dabei wird man nicht aus dem Auge verlieren dürfen, wie unsere Nachbarn ihre Ausgestaltungsspielräume nutzen. Ein wenig restrukturierungsfreundliches deutsches Recht droht ansonsten durch Verfahren bei den Nachbarn marginalisiert zu werden (eingehend hierzu mein aktueller Blog-Beitrag bei Tax-Legal-Excellence).

Die Diskussion zum Richtlinienvorschlag gerät auf Abwege – der Bericht des EU Parlaments ist da

Die Diskussion zum Richtlinienvorschlag gerät auf Abwege – der Bericht des EU Parlaments ist da

Nach langen Beratungen hat nun auch Frau Niebler den finalen Bericht des Rechtsausschusses des EU Parlaments zum Entwurf einer Restrukturierungsrichtlinie vorgelegt. Dieser wird Gegenstand der Abstimmung des EU Parlaments und damit die – überaus vernünftige – Positionierung des Wirtschafts- und Sozialausschusses konsumieren. Mit der Abstimmung über diesen Bericht wird noch im September gerechnet, sodass das EU Parlament auf seiner Basis die Gespräche über die endgültige Fassung der Richtlinie mit der Kommission und dem Rat (also den Mitgliedstaaten) führen wird (sog. Trilog). Hier wird angesichts des Endes der Legislaturperiode im Mai 2019 mit einem Verhandlungsergebnis bis März 2019 gerechnet.

Ein Überblick über die bisher veröffentlichten offiziellen Texte zum Richtlinienentwurf findet man hier, einen Bericht zum Stand des gesamten Prozesses im Juni 2018 hier. Die Verhandlungspositionen der Kommission und des Rates sind noch abschließend bekannt. Die Kommission hat jedoch in Vorträgen ihrer Mitarbeiter einige „rote Linien“ erkennen lassen, um die Idee der Mindestharmonisierung nicht ganz aufzugeben.

Die Mitgliedstaaten haben sich im Mai 2018 auf eine gemeinsame Ausrichtung zur den Teilen der Richtlinie geeinigt, die nicht den präventiven Restrukturierungsrahmen betreffen. Die Einigung zu diesem Teil wird bis Ende September angestrebt.

Der Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 21. August 2018 ist das Ergebnis einer langwierigen Abstimmung über ca. 100 Änderungsanträge. Die sich hier widerspiegelnde intensive Arbeit von Lobbygruppen findet nun leider auch ihren Niederschlag im gewünschten Richtlinientext. Im Grundsatz ist festzustellen, dass die Instrumente eines Restrukturierungsrahmens auch nach Auffassung des Parlaments immer noch ausdrücklich im vorinsolvenzlichen Zeitfenster verfügbar gemacht werden sollen. Die gewünschte Ausgestaltung dieser Instrumente erinnert dann aber doch immer mehr an Insolvenzverfahren mit einer Restrukturierung oder übertragenden Sanierung als Verfahrensoptionen:

  • Eine Verwalterbeteiligung soll quasi immer möglich sein, wenn Mitgliedstaaten dies so vorsehen.
  • Pläne sollen nun Unternehmensbewertungen von „gerichtlich bestellten Experten“ (Art. 8 Nr. 1 b) enthalten; zugleich sollen Planerwartungen von „externen Experten“ testiert werden (Art. 8 Nr. 1 g).
  • In Gruppen bedürfte es neben Summen- auch der Kopfmehrheit.
  • Für Arbeitnehmer soll immer eine Pflichtgruppe gebildet werden, wenn sie vom Plan betroffen sind (wozu wohl schon genügen soll, dass aufgrund der oft nur begleitenden leistungswirtschaftlichen Sanierung Lohnverzichte oder ein Arbeitsplatzabbau droht). Zugleich sollen Arbeitnehmergruppen stets wie Gruppen gesicherter oder vorrangiger Gläubiger behandelt werden, was sie kaum einem Obstruktionsverbot unterwerfen würde.

Die Wünsche des Parlaments ist dabei vor allem an einer Stelle besonders fragwürdig. Art. 10 Abs. 1 verlangt eine gerichtliche Planbestätigung nicht mehr nur bei lediglich mehrheitlich unterstützten Plänen sowie bei Plänen, die Privilegien für Finanzierungen anstreben, sondern auch in allen Fällen, in denen ein Plan einen Arbeitsplatzverlust von mehr als 25% der Arbeitsplätze mit sich bringt. Erläutert wird diese Anforderung in den Erwägungsgründen nicht. Sie kann daher so interpretiert werden, dass nach Vorstellung des Parlaments künftig in allen Fällen einer außergerichtlichen Sanierung mit derartigem Arbeitsplatzverlust eine gerichtliche Planbestätigung erforderlich wird. Eine derartige Belastung konsensualer Sanierungen kann niemand wollen. Sie missachtet auch die im Kollektivarbeitsrecht bestehenden Möglichkeiten der Mitbestimmung bei Betriebsänderungen. Hier muss im Trilog eine Klarstellung erfolgen; idealerweise sollte dieses Bestätigungserfordernis in der finalen Richtlinie fehlen.

In der Gesamtschau kann man der Position des Parlaments gegenüber dem Kommissionsvorschlag kaum etwas Positives abgewinnen. Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Parlamentarier von einem Verfahren ausgehen, dass umfassend die Rechtspositionen aller Beteiligten berühren kann, wenngleich nicht muss. Insofern verwundert es kaum, dass der Rechtsausschussbericht in seinen Änderungsformulierungen ab und zu von einem Restrukturierungsverfahren („restructuring proceedings“, vgl. Art. 6 Nr. 7 aE) spricht. Schon dieser Ansatz ist problematisch, verkennt die Idee der Kommission und kann keineswegs überzeugen, bedarf es doch vor allem im vorinsolvenzlichen Bereich allenfalls eines kostengünstigen Vertragshilfeverfahrens, während tiefergehende Operationen zulasten einer Vielzahl von Beteiligten kollektiven Verfahren in der Insolvenz überlassen bleiben sollten (eingehend dazu der Bericht des European Law Instituts; auch mein Beitrag in der EBOR).

Die Parlamentsposition überzeugt insgesamt weder im Grundansatz noch im Detail. Kann sie sich im Trilog durchsetzen, werden vorinsolvenzliche Verfahren mit einer Vielzahl von Hürden und Anforderungen ausgestaltet werden müssen, die erst in der Insolvenz berechtigt sind, bei solventen Unternehmen aber unnötige Kosten erzeugen. Teure vorinsolvenzliche Sanierungshilfen, die etwa mehrere kostenträchtige Experten erfordern, werden in der Praxis nicht genutzt. Gerade kleine und mittlere Unternehmen erhielten weiter keine effiziente Hilfeleistung in der Krise. Der Ausgangspunkt des Richtlinienvorhabens, gerade diesen Unternehmen, die 90 bis 95 Prozent der Volkswirtschaft in der EU ausmachen, im Fall einer Krise zu helfen, um NPL-Probleme in Europa zu adressieren, wäre konterkariert.

Im Trilog sollten sich mithin alle Beteiligten wieder auf die Funktion der Richtlinie und den Effizienzgedanken besinnen. Die Instrumente sollten vor der Insolvenz genau definiert werden und eingriffsarm bleiben. Es geht um Verhandlungsanreize und Vertragshilfe bei Sanierungsverhandlungen, nicht um ein vollumfassendes Restrukturierungsverfahren vor der Insolvenz. Unternehmen, die letzteres benötigen, sollen in kollektive Verfahrensformen gehen können (in Deutschland die ESUG-Sanierung). Gleichzeitig werden die wenigen Eingriffe primär durch Gläubigerunterstützung legitimiert; dem Gericht obliegt nur die Missbrauchskontrolle, nicht aber die wirtschaftliche Überprüfung. Es bleibt zu hoffen, dass die finale Richtlinie dies berücksichtigen wird. Jedenfalls sollte sie so viel Umsetzungsspielraum lassen, dass es den Mitgliedstaaten möglich ist, passgenaue „leichte“ Restrukturierungshilfen als Umsetzungsakt zu erlassen. Hierauf wird im Trilog zu achten sein.

Studie zum Richtlinienentwurf für den Rechtsausschuss des Europaparlaments

Studie zum Richtlinienentwurf für den Rechtsausschuss des Europaparlaments

Der Vorschlag der EU Kommission für einen vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen wird derzeit nicht nur in den Ratsarbeitsgruppen, sondern auch im Europaparlament diskutiert. Der dortige Rechtsausschuss hatte mich gebeten, eine kurze Studie zu den Auswirkungen des Vorschlags auf kleine und mittlere Unternehmen (SME) vorzulegen. Diese Studie ist nun erschienen (hier als PDF in englisch bzw. deutsch). Ich habe sie auf der Rechtsausschusssitzung vom 12. Juli 2017 in Brüssel präsentiert (hier die Aufzeichnung der Sitzung).

Der Rechtsausschuss wird wohl noch in diesem Jahr eine Stellungnahme beschließen und diese dem Parlament vorlegen, das spätestens zu Beginn des kommenden Jahres eine Verhandlungsposition beschließen soll, mit der es dann an den Trilog-Verhandlungen mit der Kommission und dem Rat teilnehmen wird.