Offener Doktorandenworkshop im Restrukturierungs- und Insolvenzrecht 2024

Sie arbeiten an einer Dissertation im Bereich des Restrukturierungs- oder Insolvenzrechts?

Dann sind Sie herzlich eingeladen, sich mit Gleichgesinnten zu treffen und Erfahrungen auszutauschen, während Sie einzelne Thesen oder Ideen im kleinen Kreis testen.

Hierzu findet nun schon zum 14. Mal der offene Doktoranden-Workshop „Restrukturierung und Insolvenz“ in Berlin statt. Einst von Professor (em.) Dr. Christoph G. Paulus, LL. M. (Berkeley) und Wolfgang Zenker [Humboldt-Universität zu Berlin] ins Leben gerufen, haben schon viele Doktoranden und Habilitanden (mich eingeschlossen) von diesem Austausch profitieren können.  Ich würde mich daher freuen, am 13. und 14. September 2024 nicht nur unsere Doktoranden, sondern den akademischen Nachwuchs aus unserem Forschungsfeld in Berlin begrüßen zu können.

Weitere Details, insbesondere zum Berwerbungsprozess, finden Sie hier.

Die IDW-Standards unter der Lupe – was sind sie eigentlich?

Keine Sanierung ohne „IDW S6“?  Man könnte meinen, man hätte es mit einem Industriestandard zu tun. Oder versteckt sich dahinter ein Gesetz?

Auf Einladung des Hamburger Kreises für Sanierungs- und Insolvenz-Steuerrechts e.V. durfte ich solchen Fragen vor atemberaubender Alpenkulisse nachgehen. Das Gespräch versammelte auf Einladung von Dr. Stefan Debus und Dr. Günter Kahlert neben meiner Person auch Torsten Gutmann und Martin Lambrecht zu einer lebhaften und zum Teil auch kontroversen Diskussion um Herkunft, Wirkung und Erfolg der Standards S 6, S 9 und S 11 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V.  Ich habe viel gelernt. Ich hoffe, es geht ihnen nicht anders.

Das Schreckgespenst des verwalterlosen Insolvenzverfahrens – bei Lichte betrachtet

Kaum eine Regelungsidee hat die Diskussion über die Harmonisierungsideen der EU Kommission zum Insolvenzrecht in Deutschland so beflügelt wie die des „verwalterlosen Verfahrens“ zur Liquidation von Kleinstunternehmen. In Stellungnahmen der Verwalterverbände (VID, NIVD, DAV), ersten schriftlichen Äußerungen (siehe etwa Sämisch, ZRI 2023, 93) und vor allem bei Paneldiskussionen wird diese Idee als „Risiko“, „realitätsfern“ oder „Einladung zum Missbrauch“ diskreditiert, ja die drohende Aufgabe der Ordnungsfunktion des Insolvenzrechts skizziert und eine Überforderung der Justiz prognostiziert. Ein genauerer Blick auf die Regelungsidee scheint daher lohnend.

 

Die Funktion des Liquidationsverfahrens für Kleinstunternehmen

Der 6. Teil des Richtlinienvorschlags vom 7. Dezember 2022 propagiert die europaweite Schaffung eines einheitlichen Liquidationsverfahrens für zahlungsunfähige Kleinstunternehmen. Das Verfahren dient also der ordnungsgemäßen Beendigung solcher Unternehmen – ihrem Marktaustritt. Zugleich – und vor allem – soll dieser Marktaustritt auch die gleichzeitige oder zumindest koordinierte Entschuldung der am Unternehmen und seinem Risiko finanziell beteiligten natürlichen Personen ermöglichen. Das gesamte unternehmerische Risiko der Unternehmung wird einheitlich adressiert und den Unternehmern samt mithaftenden Familienangehörigen ein echter Neustart ermöglicht.

Beide Aspekte sind im geltenden deutschen Insolvenzrecht nicht verwirklicht. Kleine und damit in der Krise oft schon masselose Unternehmen erzeugen masselose Insolvenzen, sodass selbst bei Stellung eines Insolvenzantrags oft kein Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 26 InsO). Die masselose Gesellschaft wird dann im Handelsregister gelöscht, ohne dass das Registergericht die gesellschaftsrechtliche Liquidation beaufsichtigen würde. Dem Unternehmer bleibt dann bei eigener Zahlungsunfähigkeit nur die Entschuldung im Wege der Privatinsolvenz, die auch unternehmerische Risiken erfasst und diese nicht von privaten Konsumrisiken trennt. Selbst dem redlichsten Unternehmer steht daher nur alle 16 Iahre eine Entschuldung zu (§§ 287 Abs. 2, 287a Abs. 2 Nr. 1 InsO). Entsprechendes gilt für mithaftende Angehörige, sofern nicht ausnahmsweise die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung des BGH zu Bürgschaften und Schuldbeitritten hilft. Der Richtlinienvorschlag kann hier zumindest teilweise Abhilfe schaffen.

Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens ohne Masse ist nun allerdings eine konzeptionelle Herausforderung, die alle kostenträchtigen Komponenten des Verfahrens auf den Prüfstand stellt. So kann das Verfahren außerhalb der Gerichte „vor einer zuständigen Behörde“ stattfinden, etwa nach dem Vorbild des Insolvency Service in Großbritannien. Vor allem aber müssen die Kosten des Insolvenzverwalters in den Blick rücken.

Die in Art. 39 des Richtlinienentwurfs vorgeschlagene Verwalterbeteiligung

Hierzu enthält die Richtlinie folgenden Vorschlag in Art. 39:

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei vereinfachten Liquidationsverfahren ein Insolvenzverwalter nur bestellt werden kann, wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:
a) Der Schuldner, ein Gläubiger oder eine Gruppe von Gläubigern haben eine solche Bestellung beantragt.
b) Die Kosten für das Eingreifen des Insolvenzverwalters können aus der Insolvenzmasse oder von der Partei finanziert werden, die die Bestellung beantragt hat.

Schon aus dem Wortlaut der Norm wird deutlich, dass die Richtlinie kein verwalterloses Insolvenzverfahren schaffen will. Der Insolvenzverwalter wird aber zum optionalen Bestandteil und nur beteiligt, wenn der Schuldner oder ein Gläubiger dies wünscht und die Kosten gedeckt sind.

 

Szenarien der Verwalterlosigkeit

Bleibt es bei dem bloßen Verweis in Art. 2(j) des Richtlinienentwurfs (RLE) auf die allgemeine Definition eines Kleinstunternehmens in Art. 2(3) der Kommissionsempfehlung 2003/361/EG, die Kleinstunternehmen als Unternehmen mit weniger als 10 beschäftigten Personen und einem Jahresumsatz bzw. einer Jahresbilanz von untern zwei Millionen Euro, so wird eine Vielzahl von Unternehmen im Anwendungsbereich des neuen Liquidationsverfahrens weder massearm noch masselos sein, wenn es das Verfahren betritt. Der Vorrang der Verwalterkosten (§ 54 Nr. 2 InsO) führt dann zur Kostendeckung, sodass die Verwalterbestellung nur noch von einem Schuldner- oder Gläubigerantrag abhängt. Gerade öffentliche Gläubiger (Finanzamt, Sozialversicherungsträger) dürften diesen Antrag in der Regel stellen. Der insofern typische Fall des vereinfachten Liquidationsverfahrens wäre also ein Verfahren mit Insolvenzverwalter. Die Kritik geht insoweit ins Leere.

Verwalterlose Liquidationsverfahren sind nur in zwei Konstellationen denkbar:

1. Das masselose Verfahren

Das Vermögen des Kleinstunternehmens beinhaltet keine hinreichende freie Masse zur Deckung der Verwalterkosten (§ 26 InsO). In dieser Konstellation soll nun keine Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse mehr möglich sein (Art. 38 Abs. 3 RLE). Das Insolvenzverfahren wird eröffnet. Ein Insolvenzverwalter wird allerdings nur bestellt, wenn ein Gläubiger dies wünscht und dessen Kosten finanziert.

Ansonsten bleibt die Verwaltung des Vermögens und die Erfüllung insolvenzspezifischer Pflichten in der Hand des eigenverwaltenden Schuldners, der diese mit Blick auf die angestrebte Entschuldung erfüllen muss. Er wird hierzu – wie schon heute in Privatinsolvenzen – fachkundiger Beratung bedürfen. Ist der Schuldner nicht zur Eigenverwaltung geeignet, kann einem Gläubiger die Erfassung und Verwaltung des verbliebenen Schuldnervermögens übertragen werden (Art. 43 Abs. 4 RLE); insbesondere eine Art der „Institutsverwaltung“ gesicherter Gläubiger wird so bei Interesse möglich (vgl. § 150a ZVG). In Verfahren ohne freie Masse sind diese Gläubiger ohnehin nicht selten die einzigen mit einem aktiven Interesse am Verfahren. Sie können dann entscheiden, ob sie die Verwaltung selbst bzw. durch Angestellte übernehmen oder durch Antrag und Kostenfinanzierung einen Verwalter bestellen lassen. Zu beachten ist schließlich auch, dass der Schuldner im Interesse seiner schnellen Entschuldung daran interessiert sein kann, eine Eigenverwaltung zu vermeiden und eine Verwalterbestellung zu beantragen, ggf. aus Mitteln, die ihm zu diesen Zwecke von interessierten Dritten (insbesondere der Familie) zur Verfügung gestellt werden. Die Regelungssystematik schafft so insgesamt Anreize zur Einbindung eines Verwalters im eigenen Interesse der jeweiligen Beteiligten.

Im Übrigen kann das Gericht in Ausübung seiner Amtsermittlungsbefugnisse (§ 5 Abs. 1 InsO) jederzeit einen Sachverständigen damit betrauen, die Vermögensverhältnisse des Schuldners aufzuklären bzw. dessen Angaben zu überprüfen. Es steht also keineswegs zu befürchten, dass die Rechtspfleger oder gar Richter am Insolvenzgericht künftig regelmäßig Schuldnervermögen erfassen und Vermögensverzeichnisse selbst überprüfen müssen.

In der Summe funktioniert der Regelungsvorschlag also gerade bei masselosen Verfahren. Auch bei ihnen wird die Einbindung von Experten sichergestellt, sei es als Insolvenzverwalter oder aber als Institutsverwalter, Schuldnerberater oder Sachverständige. Zugleich wird die Kostenlast wie auch die Entscheidungskompetenz über die Art der Einbindung sachgerecht verteilt. Natürlich ist dabei Sachverständigenentschädigung geringer als die Verwaltervergütung (vgl. § 11 Abs. 4 InsVV). Und auch die Schuldnerberatung ist von anderen Kostenstrukturen geprägt als die Insolvenzverwaltung. Beide Strukturen scheinen aber durchaus gut zu einem masselosen, ordnungspolitisch motivierten Verfahren zu passen. Die Etablierung möglicher Alternativen zu einer Verwalterbestellung können aber auch der Grund sein, warum gerade Verwalterverbände ihre Ablehnung gegen diese neue Verfahrensregulierung mit Vehemenz vortragen.

2. Das kostendeckende Verfahren

Das Vermögen des Kleinstunternehmens kann gerade so ausreichen, um aus der im Insolvenzverfahren erzeugten freien Masse zumindest die Verfahrenskosten samt der Verwaltervergütung zu decken. In diesem Fall ist es bereits heute zu eröffnen und ein Insolvenzverwalter ist zu bestellen. Die von ihm über Insolvenzanfechtungs- und Haftungsansprüche erzeugte freie Masse fließt dann aber nicht an die Insolvenzgläubiger und verbessert nicht deren Verfahrensergebnis. Sie wird vielmehr von der Vergütung des Insolvenzverwalters vorrangig beansprucht.

Das geltende deutsche Insolvenzrecht billigt den Insolvenzgläubigern kein Entscheidungsrecht dahingehend zu, ob in solchen Fällen ein Verwalter zu bestellen ist. Die Quotenirrelevanz der Verwaltertätigkeit wird akzeptiert; die Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens hat Vorrang. Art. 39 RLE würde hier eine Änderung bewirken. Nun bedarf es für die Verwalterbestellung zumindest eines Gläubiger- oder Schuldnerantrags. Das Versprechen einer agressiven Verfolgung von Anfechtungssachverhalten ist keine Garantie mehr für die eigene Bestellung und Vergütung als Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren. Ob Insolvenzverfahren ohne Quotenaussicht mit Verwalter stattfinden oder in der Hoffnung auf eine Quote auf den Verwalter verzichtet wird, liegt dann in der Entscheidungsmacht jedes einzelnen Gläubigers.

 

Fazit: Das verwalterlose Verfahren ist ein Mythos.

Schon der Richtlinienentwurf ist so gestaltet, dass es auch im vereinfachten Liquidationsverfahren jederzeit einen Insolvenzverwalter geben kann. Die Anreizstrukturen bewirken zudem, dass die Kosten eines Insolvenzverwalters gerade bei masselosen Verfahren von den am Verfahrensergebnis interessierten Beteiligten bewertet werden. Das Gericht kann sich zudem bei Zweifeln am Zahlenwerk des Schuldners stets durch einen Sachverständigen unterstützen lassen. Auch die Schuldnerberatung wird dieses Tätigkeitsfeld schnell erobern. Insolvenzrechtlicher Sachverstand wird so auch in masselosen, ja sogar verwalterlosen Verfahren gesichert. Er wäre zu wünschen, dass diese Harmonisierungsideen endlich konstruktiv diskutiert werden.

Der Münchener Kommentar zum StaRUG – mehr Rechtssicherheit für neue Verfahrensoptionen

Nach fast zwei Jahren Arbeit ist er nun endlich erschienen  – der Münchener Kommentar StaRUG. Ich habe die Ehre, sein Mtherausgeber zu sein.

Ein Beitrag zum besseren Verständnis des StaRUG und zu mehr Vertrauen in seine Handlungsoptionen

Das Buch erfasst Literatur und Rechtsprechung zum neuen Gesetz bis Herbst 2022 und kann damit erste wichtige Hinweise im Umgang mit Unsicherheiten hinsichtlich der neuen Verfahrensoptionen geben. Der Dschungel neuer Regelungen braucht Wegweiser, um Pfade zu etablieren. Ansonsten wird ihn weiter kaum jemand betreten. Der INDat-Report berichtete in seiner ersten Ausgabe 2023 von 22 Restrukturierungsanzeigen im Jahr 2021 und 24 Anzeigen in 2022. Im Schatten niedriger Insolvenzzahlen und angesichts des kleinen Zugangsfensters sowie begrenzter Restrukturierungsinstrumente des StaRUGs mag dies kaum überraschen. Das Potenzial präventiver deutscher Restrukturierungshilfen scheint dennoch nicht ausgeschöpft, gerade wenn man bedenkt, dass in eine Vielzahl der Restrukturierungsberatungen die StaRUG-Option mit entwickelt wird. Ein Mehr an Rechtssicherheit macht diese Option sicher attraktiver. Hierzu soll der neue Kommentar in der Reihe der Münchener Kommentare seinen Beitrag leisten.

 

Sonderfall: Grenzüberschreitende Restrukturierungen

Besonders deutlich wird das Verschenken von Potenzialen durch unzureichende rechtliche Regelungen im Bereich der grenzüberschreitenden Restrukturierungen. Das StaRUG enthält hierzu keinen eigenen Abschnitt vergleichbar mit dem Internationalen Insolvenzrecht der Insolvenzordnung (§§ 335 bis 358 InsO). Ein „Internationales Restrukturierungsrecht“ fehlt dem deutschen Recht wie der zugrundeliegenden Richtlinie. Stattdessen wird nur die Öffentliche Restrukturierungssache in den Anhang A der EuInsVO aufgenommen und durch Regelungen in den §§ 84 bis 88 StaRUG der Anschluss der auf Insolvenzverfahren zugeschnittenen Regeln der EuInsVO hergestellt. Offen bleibt der Umgang mit regulären Restrukturierungssachen. Unklar ist auch, auf welcher Basis ausländische Restrukturierungssachen jenseits der EuInsVO in Deutschland Wirkung entfalten.

Ich habe mich diesen Fragen ausführlich in meiner Kommentierung der §§ 84 bis 88 StaRUG in diesem Band gewidmet. Gerade der Umgang mit regulären Restrukturierungssachen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr wird ausführlich erläutert. In diesem Zusammenhang lohnt der Hinweis auf eine jüngst veröffentlichte Entscheidung eines niederländischen Gerichts (Rechtbank Noord-Nederland, Groningen), dass den nicht von der EuInsVO erfassten niederländischen Schuldenbereinigungsplan der Brüssel Ia VO (EuGVVO) unterwarf, seine Zuständigkeit in Art. 8 Nr. 1 der Verordnung fand und das auf den Plan anwnedbare Recht auf Basis der Vertragsnatur des Plans über Art. 4 Rom I VO bestimmte. Ich diskutiere und beschreibe in meiner Kommentierung in der Tat weitgehend denselben Weg.

Ist die staatliche Vermeidung von Insolvenzen gerechtfertigt?

Die Bundesregierung macht derzeit deutlich, dass sie nicht gewillt ist, die angesichts stark steigernder Kosten (Energie, Personal, Rohstoffe) bei nicht parallel steigenden Einnahmen zu erwartende Insolvenzwelle hinzunehmen. Im Gegenteil. Wie schon zu Zeiten der Pandemie scheint man gewillt, die Nutzung des Insolvenzrechts auszusetzen, um betroffenen Unternehmen ein „Aussitzen“ der Krise zu erlauben. Der Bäcker soll, frei nach dem Bundeswirtschaftsminister, eben vorübergehend mal keine Brötchen backen.

Die unberechtigte Polemik

Hinter dieser etwas ungeschickten Aussage steckt eine klare Strategie. Folgt man der Grundannahme, dass die Kostenexplosion – wie die Wirtschaftsbeschränkungen wegen der Pandemie  – ein nur vorübergehendes Phänomen sind, kann es in der Tat ungerecht erscheinen, die in der Krisenzeit existenziell betroffenen Unternehmen zum Durchlaufen eines Insolvenzverfahrens zu zwingen. Passender wäre in der Tat ihr vorübergehendes kostenreduziertes „Einfrieren“ oder „Einmotten“ (treffender scheint der englische Begriff des „mothballing“).

Das Problem des deutschen Insolvenzrechts

Das deutsche Insolvenzrecht wird – gerade von Insolvenzverwaltern – gern als effektives und effizientes System zur Marktbereinigung und Markterneuerung beschrieben. Träfe dies zu, so scheint es nahezu widersinnig, auf die Anwendung dieses Systems gerade in einer Krise zu verzichten. Ist die Effizienz des Systems also nur seinen Insidern bekannt? Werden der Rest der Wirtschaft und die Politik vom Stigma der Insolvenz geblendet?

Die Antwort auf diese Fragen wird, wie ich schon im Editorial des Heft 14 der NZI 2022 ausgeführt habe, komplexer ausfallen müssen. Der InsO-Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, die Verwertungsentscheidung im deutschen Insolvenzverfahren allein Marktmechanismen zu unterwerfen. „Das Insolvenzverfahren soll die Marktgesetze nicht außer Kraft setzen oder durch hoheitliche Regelung überformen, sondern Marktprozesse stimulieren“ (BT-Drs. 12/2443, 75). Die optimale Verwertungsentscheidung soll als „einzelwirtschaftliche Investitionsentscheidung“ jedes Gläubigers im Verhandlungsprozess entdeckt und von den Beteiligten verwirklicht werden. Ein solches System beruht auf der Annahme, dass in jedem Insolvenzverfahren aktive Beteiligte den Verhandlungsprozess auf Basis umfassender Informationen initiieren und die zutreffende Entscheidung entdecken. Die Berechtigung dieser Grundannahme war für den nominell größten Anteil an Unternehmen im Markt stets zweifelhaft: Kleinunternehmen haben kaum die Erwartung, in einem Insolvenzverfahren im Verhandlungswege eine Sanierungslösung zu erreichen. Die rationale Passivität ihrer Gläubiger lässt dies kaum zu. Ein Vermeidungsverhalten zugunsten einer freien Sanierung und vor allem einer Insolvenzverschleppung ist rational.

Die berechtigte Erwartung einer Zerschlagungsentscheidung im deutschen Insolvenzsystem wird man in Zeiten außergewöhnlicher Marktverwerfungen aber auch bei größeren Unternehmen finden. Werden Umsatz- und Gewinnprognosen, ja sogar Gewinne an sich, durch Energiepreis- und Lohnsteigerungen sowie andere Kriegs- und Transformationsfolgen auf unabsehbare Zeit unmöglich, so sind auch die Verhandlungspartner des Krisenunternehmens (Banken, Lieferanten, Finanzgläubiger, Warenkreditversicherer etc.) nicht in der Lage, ihre Investitionsentscheidung wie vom Gesetzgeber angedacht rational zu treffen. Vorsicht mahnt zur Deinvestition. Wird vor diesem Hintergrund eine Lastenteilung in der Krise nicht schon außergerichtlich erreicht, muss beim nachfolgenden gerichtlichen Verfahren die Bereitschaft zur selbigen fast schon zwangsläufig fehlen. Das Insolvenzsystem erzeugt hier so einen Zerschlagungsautomatismus – und dies ist den Beteiligten in Politik und Wirtschaft intuitiv bewusst. Ein auf Marktmechanismen basiertes Insolvenzsystem versagt, wenn kein Vertrauen in die rationale Entscheidungsfindung des Marktes im Rahmen eines Insolvenzverfahrens besteht. Jedenfalls Unternehmen mit potenziell fortführungsfähigem Geschäftsmodell sollten es in solchen Zeiten meiden.

Keine Suspendierung der Antragspflichten, sondern vor allem eine Verfahrensflexibilisierung

Die Politik sollte dennoch nicht auf eine Nutzung des Insolvenzrechts verzichten. Es kann sogar dazu dienen, den Unternehmen, denen eine außerinsolvenzliche Stilllegung nicht mehr finanzierbar erscheint, Unterschlupf zu bieten und so zu „überwintern“. DIe Lösung liegt also nicht im Vermeiden des Systems, sondern in seiner Flexibilisierung.

Im Grundsatz sollte man die in der aktuellen Krise insolvenzreif werdenden Unternehmen in einem (vorläufigen) Insolvenzverfahren auffangen und stabilisieren, ohne dass es zugleich zur Auslösung der Fristen des § 30 InsO führt. Der Berichtstermin mit der Verwertungsentscheidung sollte vielmehr erst dann anberaumt werden, wenn die dafür erforderlichen Marktmechanismen aus Sicht der Beteiligten wieder Gewähr für die Richtigkeit dieser Entscheidung bieten, also etwa ein Käufer gefunden wird, oder aber der Schuldner dies beantragt, etwa um die Liquidation durchzuführen. Im Fall eines Eröffnungsantrags durch den Schuldner kann zudem ein Schutzschirmverfahren in Betracht kommen, das dann ebenfalls nicht der Dreimonatsfrist des § 270d InsO unterliegen sollte und so flexibel verlängert werden kann. Im Kern sollte die Verwertungsentscheidung auf die Rückkehr der Normalität warten können, solange der Schuldner fortführungsbereit bleibt.

Die Finanzierung einer Betriebsfortführung auf Sparflamme oder auch einer vorübergehenden Stilllegung wäre über Insolvenz- und Kurzarbeitergeld sowie über gezielte Kostenzuschüsse ähnlich den Coronahilfen zu sichern.

Für die große Zahl an Kleinunternehmen ohne Rücklagen für den kommenden Winter wäre zudem vorübergehend das Erfordernis der Massedeckung aus § 26 InsO zu suspendieren. Die Finanzierung der Verfahren wäre staatlich zu sichern.

Insgesamt kann das Insolvenzverfahren mit seinen Strukturen und Experten auf diese Weise aktiv eingebunden werden, um Unternehmen, denen geschäftlicher Erfolg und ein eigenständiges Überwintern in der Krise nicht möglich ist, ein überwachtes Überwintern zu erlauben. Fortführungslösungen, aber auch Betriebsaufgaben wären jederzeit umsetzbar. Als Anreiz zu Nutzung des Verfahrens könnte man den betroffenen Unternehmern eine Befreiung von unternehmensbezogenen Verbindlichkeiten bei Aufhebung des Verfahrens im Wege der Liquidation in Aussicht stellen.

Passen die Grundannahmen?

Die vorgeschlagene Lösung basiert auf zwei Grundannahmen.

Zum einen kann ein „Überwintern“ nur funktioniere und den Aufwand lohnen, wenn ein Frühling zu erwarten ist. Dass sich die Energiepreise wieder normalisieren und die Inflation sinkt, scheint aktuell zumindest noch die Auffassung von EZB und Bundesregierung. Erweist sich dies als Trugschluss, wäre es im vorgeschlagenen System immerhin jederzeit möglich, die auf Basis einer neuen stabilen Realität wieder planbare Verwertungsentscheidung herbeizuführen.

Zum anderen bedarf es den politischen Willens zur proaktiven Einbindung des Insolvenzrechts. Dies wird notwendigerweise zum Steigen der Insolvenzzahlen führen. Maßstab politischen Erfolgs sollte aber eben auch nicht die Verneidung von Insolvenzverfahren und damit die aktive und transparente Gestaltung eines Transfrmationsprozesses sein, sondern die Vermeidung langfristiger Arbeitslosigkeit und sozialer Verwerfungen. Stille Betriebsschließungen helfen den Arbeitnehmern in dieser Hinsicht weit weniger als staatlich unterstütze Insolvenzlösungen.

Mehr Präzision bitte [Nachtrag 11.9.2022]

Die proaktive Einbindung des Insolvenzrechts setzt voraus, dass eine Differenzierung in den öffentlichen Diskurs eingeführt wird. Begriffe wie „Insolvenzwelle“ oder „Insolvenzflut“, ja „Insolvenz-Tsunami“, knüpfen an die Zahl der eröffneten Insolvenzverfahren an und verbinden damit ohne jede Differenzierung eine negative Folgenerwartung im Sinne des „Verschwindens“ von Betrieben, also der Stilllegung von Unternehmen und der Zerstörung von Strukturen. In der Flut träfe dies Unternehmen unterschiedslos – gescheiterte wie fortführungswürdige.

Diese Folgenerwartung basiert nicht bloß auf dem „Stigma“ der Insolvenz, das gerade in Ostdeutschland durch die Konkurserfahrungen in den frühen 1990iger Jahren tief verwurzelt ist. Sie hat gerade in einer Zeit der Marktverwerfungen – wie soeben aufgezeigt – auch für das aktuelle Insolvenzrecht ihre Berechtigung und muss durch die Flexibilisierung des Insolvenzverfahrens addressiert werden. Ein so entwickeltes Insolvenzrecht darf dann als „Insolvenzschutz“ vor Marktverwerfungen verstanden werden und sollte auch im öffentlichen Diskurs als „Insolvenzschutz“ beschrieben und verstanden werden. Eine hohe Zahl schutzsuchender Unternehmen ist dann ein Indikator der Schwere der Marktbelastung, nicht aber des Politikversagens. Politikversagen beginnt erst dort, wo Unternehmen unterschiedslos gefördert oder eben vernichtet werden. Die richtige Frage an die Politik ist also die nach einer „Zerschlagungswelle“ oder einer „Zerschlagungsflut“. Eine „Insolvenzschutzwelle“ wäre demgegenüber zu erhoffen, würde diese es doch als Nebeneffekt erlauben, staatliche Hilfen auf Unternehmen in existenziellen Schwierigkeiten – auf Unternehmen unter Insolvenzschutz – zu begrenzen. Zugleich hätten diese Unternehmen die Chance, sich mit Expertenhilfe in der Insolvenz ganzheitlich zu sanieren und an die neue Marktsituation normalisierter Märkte und neuer Lieferketten/Preisniveaus anzupassen.

Alternative Dispute Resolution (ADR) in Insolvenzverfahren – ungenutztes Potenzial?

Insolvenzverfahren sind Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten und widerstreitenden Interessen. Die effiziente Handhabung dieser Konflikte ist daher eine der Kernaufgaben jedes Insolvenzrechts. Soll das Insolvenzgericht schnell und ggf. nur für die Berücksichtigung im Verfahren über Streitigkeiten unter Beteiligten entscheiden, wie es in vielen Ländern in der Tradition des spanischen Konkursverfahrens nach Francisco Salgado de Somoza üblich ist (Stichwort „vis attractiva concursus„)? Soll also insbesondere auch die Forderungsfeststellung im Streitfall beim Insolvenzgericht verbleiben? Sind Anfechtungs- und Herausgabeklagen mit Massebezug durch das Insolvenzgericht zu entscheiden? Oder sollte man dem deutschen Modell folgen und all diese Streitigkeiten auslagern und das Insolvenzgericht entlasten?

Mediation

In den letzten Jahren scheinen sich beide Rechtstraditionen anzunähern – durch die Einschaltung von Mediatoren. Die Bemühungen um die Entlastung der Justiz durch gerichtliche und außergerichtliche Mediation erreichen „ausgelagerte“ Streitigkeiten der Parteien eines Insolvenzverfahrens nach deutschem Modell ganz automatisch. Zugleich haben gerade in Common Law-Ländern Insolvenzgerichte die Praxis entwickelt, schwierige Streitfragen zunächst einem Mediator anzuvertrauen. Die Streitbeilegung durch Mediation hat so in vielen (wenngleich sicher nicht allen) Ländern Einzug in die Insolvenzpraxis gehalten.

Für grenzüberschreitende Streitigkeiten zwischen verschiedenen nationalen Insolvenzverfahren und Insolvenzmassen hat die EuInsVO 2015 mit dem Koordinator sogar eine formale Mediationsinstanz geschaffen, der sich die Beteiligten bedienen können. Ob es dieser neuen Institution angesichts der vielfältigen anderweitigen Mediationsoptionen tatsächlich bedurfte, wird man bezweifeln können. Genutzt wurde diese Option bislang jedenfalls nicht. Dennoch zeigt die gesetzliche Verankerung von Mediationsoptionen (auch in Form der Sanierungsmoderation im deutschen Restrukturierungsrecht), dass viele Gesetzgeber durchaus noch Entwicklungspotenzial für diese Streitbeilegungstechnik im Insolvenzraum sehen.

Schiedsverfahren (Arbitration)

Die Erledigung von Streitigkeiten durch ein Schiedsverfahren ist im Gegensatz zur Mediation wohl im ersten Schritt einfacher, wenn das Insolvenzgericht gewohnt ist, diese Streitigkeiten ohnehin nicht selbst zu entscheiden, sondern auszulagern. In Deutschland können Schiedsklauseln so auch für Forderungsfeststellungsstreitigkeiten bedeutsam bleiben. Ist das Insolvenzgericht hingegen eigentlich selbst zur Entscheidung berufen, tun sich die Gerichte nicht selten schwer, diese Entscheidungsmacht an ein Schiedsgericht abzugeben, selbst wenn die Parteien dies einvernehmlich wünschen. Die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten in der Insolvenz wird zum zentralen Thema in der Praxis und in der wissenschaftlichen Diskussion (siehe etwa die Beiträge hier oder hier). Die Erkenntnisse der letzten Jahre scheinen aber auch hier zumindest einen Minimalkonsens zu erzeugen, nach dem gewisse Streitigkeiten (etwa die Forderungsfeststellung oder die Allokation von Massegegenständen) durchaus auch  durch Schiedsverfahren effizient befriedet werden könnten.

ADR Colloquium at INSOL London 2022

Am Rande der diesjährigen INSOL International Conference in London werden all diese Fragen nun erstmals in einem fokussierten Event – dem ADR Colloquium – mit einer globalen Perspektive gestellt und diskutiert. Experten mit jahrelander Erfahrung in Mediation und Schiedsverfahren im Kontext von Insolvenzverfahren teilen ihre Sicht und erörtern die Zukunft moderner Streitbeilegungsmechanismen in Insolvenzverfahren gemeinsam mit dem interessierten Publikum. Ich bin froh, Teil dieses Events sein zu dürfen und das Panel zu Schiedsverfahren zu moderieren. Sollten Sie also in London sein, schauen Sie doch mal rein.

The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses

The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses

In der aktuellen Ausgabe der International Insolvency Review ist ein Beitrag erschienen, in dem ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Janis Sarra (Professorin an University of British Columbia, Vancouver, Canada) und Jennifer Payne (Professorin an der University of Oxford, UK) die rechtliche Handhabung von Lösungsklauseln (sog. „Ipso facto“ Klauseln) in den Insolvenz- und Restrukturierungsrechten Kanadas, Englands und Deutschlands beleuchtet haben.

Anlass dieser Kooperation war die Erkenntnis, dass sich die diesbezüglichen Regeln in unseren Rechtsordnungen erheblich unterscheiden. Wir sind daher der Frage nachgegangen, welche grundlegenden rechtspolitischen Fragen den Gesetzgebungsprozess bestimmten und warum diese unterschiedlich beantwortet wurden. Die Erkenntnisse dieser Analyse ergab ein Menü an Entscheidungsoptionen, das jeder Gesetzgeber in seiner Bandbreite erkennen und aus dem er bewusst wählen sollte, wenn er – wie gerade im Rahmen der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie geschehen – in diesem Bereich neue Regelungen schaffen will.

Der Beitrag ist unter diesem Link kostenlos erhältlich (Open Access). Zitat: Janis Sarra, Jennifer Payne and Stephan Madaus „The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses“, Int Insolv Rev.2022;31:45–80.

Die dogmatische Basis des StaRUG – Kritik und Alternative

Das StaRUG ist nun seit drei Monaten in Kraft und die Praxis tut sich schwer mit dem neuen Recht. Während das zeitgleich in Kraft getretene niederländische Recht die ersten gerichtlich bestätigten Pläne erzeugt und die englische Praxis den neuen Restructuring Plan bereits auf seine Grenzen austestet, bleibt es um das StaRUG ruhig. In den vielen Veranstaltungen zum Thema wird deutlich, dass die harten Schnitte, die der Bundestag auf Empfehlung des Rechtsausschusses dem Gesetz auf den letzten Metern angetan hat, die Anwendungsbereich der neuen Hilfen durchaus erheblich begrenzt haben. Die Nutzung des Restrukturierungsrahmens durch die Geschäftsleiter wird nun nur in Kooperation mit den Gesellschaftern haftunssicher möglich sein, zumal das schmal ausgefallene Zugangsfenster (drohende Zahlungsunfähigkeit, aber keine Überschuldung) einen gößeren zeitlichen Abstand zur prognostizierten Zahlungsunfähigkeit verlangt, sodass Gesellschafterpositionen aktuell oft werthaltig erscheinen.

Hinzu kommt, dass es auch in der Kommunikation mit den Restrukturierungsbeteiligten nicht gerade trivial ist, einerseits ein existenzielles Problem beim Schuldner darzustellen, dass heute schon Einschnitte in Gläubiger- oder Gesellschafterpositionen erfordert, die zur Not auch mit gerichtlicher Unterstützung zwangsweise erfolgen sollen, während man andererseits dem Gericht noch versichern muss, das eben dieses Problem doch noch nicht akut ist, sondern erst in Monaten ein Problem werden könnte, wenn denn zuvor die Restrukturierung nicht gelingt. Stehen weniger als 12 Monate an Zeit zur Verfügung, so liegt zudem die Frage einer Insolvenzverschleppungshaftung bei Scheitern der Restrukturierung ganz in den Händen der Insolvenzverwalter und Landgerichte, die im Nachhinein (mit hindsight bias) prüfen, ob die Restrukturierungsaussicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben war oder nicht doch schon Überschuldung vorlag. Restrukturierungsanreize werden so sicher nicht gesetzt und nicht einmal Lockdown-bedingte Finanznöte genügen aktuell als Treiber für einen „Run“ auf die neuen Verfahrenshilfen des StaRUG.

Aus meiner Sicht sind diese Probleme nicht allein dem Rechtsausschuss anzulasten, sondern bereits in der dogmatischen Grundidee des StaRUG angelegt, auf deren Basis im BMJV das Gesetz konstruiert wurde und die in der Begründung zum Regierungsentwurf nachzulesen ist. Dort verzichtete man bewusst auf das Abstandsgebot zum Insolvenzverfahren und etablierte stattdessen die Doktrin der Parallelität zu insolvenzrechtlichen Hilfen. Diese basiert auf der Annahme, dass Zwangseingriffe in Gläubigerrechte nur zu rechtfertigen sind, wenn der Gläubiger einen solchen Eingriff alternativ auch schon über den freiwilligen Gang des Schuldners in ein Insolvenzverfahren hinnehmen müsste. In der Konsequenz stehen die StaRUG-Hilfen nicht zeitlich vor den InsO-Hilfen, sondern nur und erst dann zur Verfügung, wenn der Schuldner drohend zahlungsunfähig ist und so auch in ein Insolvenzverfahren gehen könnte. Ein Abstandsgebot existiert nicht. Beide Verfahren können (theoretisch) identische Hilfen anbieten.

In einem aktuellen Beitrag für eine Festschrift, die im Laufe des Jahres erscheinen soll, stelle ich dar, dass dieses insolvenzrechtliche Paradigma weder ohne Brüche im StaRUG funktioniert noch für die Rechtfertigung von Zwangseingriffen erforderlich ist. Anknüpfend an meine Anregung von gerichtlichen Restrukturierungshilfen, die auf Basis des allgemeinen Zivilrechts konzipiert werden (siehe das Working Paper aus dem Sommer 2019), zeige ich auf, dass die (zu Recht) modular gestalteten Hilfen des Restrukturierungsrahmens auf einer insolvenzfernen, rein zivilrechtlichen Grundlage durchaus zu rechtfertigen sind. Zugleich kann bei einem Wechsel der dogmatischen Grundkonstruktion des StaRUG hin zum Paradigma der freien Sanierung auch ohne Brüche ein hinreichend weiter Anwendungsbereich nicht-insolvenzlicher Hilfen gestaltet werden. Das Working Paper, das dem Festschriftbeitrag zugrunde liegt, stelle ich hier zum Download bereit.

Ergänzung (29.11.2021): Der Beitrag ist nun erschienen (Madaus, Festschrift für Reinhard Singer zum 70. Geburtstag, 2021, S. 415 ff.). Ich sende ihn auf Anfrage gern zu.

Die finale Fassung des SanInsFoG steht – und tritt zum 1.1.2021 in Kraft

Der Deutsche Bundestag wird heute, am 17.12.2020, ab 13:10 Uhr in zweiter Lesung das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) beraten und verabschieden. Grundlage der Abstimmung ist eine Fassung, die nach den Beratungen im Rechtsausschuss entstanden ist und zum Teil erhebliche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf beinhaltet. Die wesentlichen Änderungen in der finalen Gesetzfassung lassen sich wie folgt beschreiben:

1. Änderungen im Restrukturierungsrahmen (StaRUG)

Die Änderungen, die das StaRUG durch den Rechtsausschuss erhalten hat, sind durch zwei Streichungen geprägt.

Zum einen entfällt der Abschnitt zur Vertragsbeendigung (§§ 51 ff. RegE) ersatzlos. Damit stehen bei Restrukturierungen in Deutschland weder die gerichtliche Vertragsbeendigung nach niederländischem Vorbild zur Verfügung, wie sie im Referentenentwurf vorgeschlagen und im Regierungsentwurf verwässert wurde, noch besteht die Option zur Regelung erst künftig fälliger Forderungen aus bestehenden gegenseitigen Verträgen im Plan nach englischem Vorbild, wie ich es im Rechtsausschuss angeregt hatte. Der Restrukturierungsrahmen wird so auf ein Instrument zur rein bilanziellen Restrukturierung von Stichtagsverbindlichkeiten reduziert. Die außergerichtliche Verhandlungen von laufenden Vertragsbeziehungen, insbesondere von Miet- oder Leasingverträgen, wird nicht unterstützt. Allerdings wird zum 1.1.2021 in solchen Fällen das BATNA nicht mehr nur aus der Wahl zwischen der Fortsetzung des Vertrags oder dem Gang zum Insolvenzgericht bestehen. Als dritte Option steht die Inanspruchnahme niederländischer Hilfen im Raum, die ohne eine Verlagerung des COMI, also ohne großen Aufwand, erreichbar und in Deutschland verwertbar sind. Es dürfte nur einiger erfolgreicher „Test“-Verfahren bedürfen, um die Diskussion um die Korrektur der späten Streichung dieses Instruments wiederzubeleben.

Zum anderen hat der Rechtsausschuss die Regeln zum Vorrang der Gläubigerinteressen ab dem Moment der drohenden Zahlungsunfähigkeit und die daran anknüpfende Organhafung (§§ 2 und 3 StaRUG) ersatzlos gestrichen. Das StaRUG greift damit nicht in Kernbereiche gesellschaftsrechtlicher Haftungsgrundsätze ein. Die weitreichende Prägung der Geschäftsführung durch insolvenzrechtliche Prüfungen entfällt. Dies ist sicher zu begrüßen, hätte aber auch zu naheliegenden Streichungen bei den Zugangshürden Anlass gegeben. Der im Grundkonzept des StaRUG verfolgte Geltungsanspruch insolvenzrechtlicher Prinzipien wird aber so zumindest an einer Stelle aufgeben. Es ist aber auch insgesamt kaum nachvollziehbar, warum insolvenzrechtliche Prinzipien nicht erst ab Insolvenzreife, sondern bereits bis zu zwei Jahre davor das Handeln der Beteiligten lenken sollen. Als dogmatische Grundlage taugt dieses Konzept wenig. Das Insolvenzrecht sollte diesen Regelungsbereich dem vertragsrechtlich geprägten Restrukturierungsrecht überlassen.

Die in der Begründung des StaRUG verfolgte dogmatische Fehldeutung begünstigt dann auch Irrwege des Gesetzgebers. So braucht es ohne eine Insolvenz eben keines kollektiv wirkenden Instrumentenkastens (kein common pool Problem), sodass die Verfahrenshilfen in Restrukturierungen auch keinen „quasi-kollektiven“ Charakter erhalten dürften. Das StaRUG zieht diese Grenze leider nicht, sodass es kaum verwundert, dass ein neuer § 93 nun für Fälle, in denen ein StaRUG-Verfahren aussieht wie ein Insolvenzverfahren, da es „gesamtverfahrensartige Züge“ aufweist, die Einsetzung eines „Gläubigerbeirats“ vorsieht, der dann wie ein Gläubigerausschuss agieren soll und insbesondere auch Gewerkschaftsvertreter einbezieht. An dieser Stelle besteht die Gefahr, dass ein Verfahren, das in der Öffentlichkeit vielleicht nicht mehr vom Insolvenzverfahren zu unterscheiden ist, bald auch die indirekten Kosten eines solchen Verfahrens erzeugt.

Zu bedauern ist, dass es nicht mehr gelang, Regelungen zur internationalen Zuständigkeit bei nicht-öffentlichen Verfahren zu ergänzen sowie die Sonder-Restrukturierungsbeauftragten zu entfernen oder aber näher zu definieren. Hier wird man auf Nachbesserungen nach einer Evaluierung hoffen müssen.

Immerhin findet sich im StaRUG weiter die Konzentration der Restrukturierungsgerichte und auch die Modularität und Flexibilität der Hilfen bleibt unangetastet. In der Summe findet sich im StaRUG damit immer noch ein moderner und flexibler Instrumentenkasten zur Begleitung und Finalisierung von Restrukturierungen außerhalb der Insolvenz. Deutschland macht hier einen bedeutenden Schritt hin zu einem modernen Restrukturierungsstandort. Nun bedarf es erster „Leuchtturm-Verfahren“, um die Funktionalität des neuen Rechts und der mit ihm umgehenden deutschen Institutionen zu verdeutlichen und so auch im Ausland zu signalisieren, dass wir in Deutschland nicht nur übertragende Sanierungen und Liquidationen in der Insolvenz können (World Bank Ranking), sondern auch Restrukturierungen.

2. Änderungen in der InsO-Modernisierung

Die Änderungen, die der Rechtsausschuss gegenüber dem Regierungsentwurf im Bereich der Insolvenzordnung vornimmt, fallen ebenfalls eher punktuell, aber erheblich aus.

Hervorzuheben ist die Aufweichung der Vorgaben zur Gerichtskonzentration in § 2 InsO. Hier hat sich der Bundesrat durchgesetzt. Bedeutsam ist auch die Erstreckung des § 55 Abs. 4 InsO auf die vorläufige Eigenverwaltung, die danach nicht mehr von steuerlichen Vorteilen profitiert. Den Sondersachwalter wird es in der InsO-Eigenverwaltung – im Gegensatz zu StaRUG-Verfahren – nicht geben.

3. Der Corona-Schutzschirm

Einen Schritt in die richtige Richtung macht der Rechtsausschuss auch in Sachen Corona-Schutzschirm. Hier wird Corona-Betroffenen nun die Möglichkeit eröffnet, über die bislang geltenden Regeln der InsO-Eigenverwaltung in ein Schutzschirmverfahren oder auch vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu gehen, selbst wenn bereits Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Damit steht den Betroffenen nun ein Schutzschirm in Eigenverwaltung offen. Was weiter fehlt, ist jede Regelung dazu, wie die Betroffenen im Verfahren weiter vorgehen sollen. So gilt etwa die Dreimonatsfrist des § 270b InsO. Vorzugswürdig dürfte insofern weiter eine passgenaue Regelung für Pandemiebetroffene sein – ein zeitlich begrenztes Pandemierecht, das mehr ist als nur das Zurverfügungstellen des Insolvenzrechts. Vorschläge hierzu finden sich auch in meiner Stellungnahme im Rechtsausschuss.

Das SanInsFOG im parlamentarischen Verfahren – die Reform könnte zum 1.1.2021 kommen

Das Parlament behandelt den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), der nun auch als Bundestagsdrucksache vorliegt, derzeit klar mit dem Ziel einer Verabschiedung vor der Weihnachtspause. Ein Inkrafttreten der Regelungen zum 1.1.2021 ist damit weiter möglich. Die erste Lesung des Reformgesetzes soll am 18.11.2020 erfolgen. Der Rechtsausschuss hat die Anhörung der Sachverständigen für den 25.11.2020 terminiert. Meine Stellungnahme als Sachverständiger ist bereits veröffentlicht. Noch im Dezember könnte das Gesetz damit das parlamentarische Verfahren durchlaufen.