Alternative Dispute Resolution (ADR) in Insolvenzverfahren – ungenutztes Potenzial?

Insolvenzverfahren sind Verfahren mit einer Vielzahl von Beteiligten und widerstreitenden Interessen. Die effiziente Handhabung dieser Konflikte ist daher eine der Kernaufgaben jedes Insolvenzrechts. Soll das Insolvenzgericht schnell und ggf. nur für die Berücksichtigung im Verfahren über Streitigkeiten unter Beteiligten entscheiden, wie es in vielen Ländern in der Tradition des spanischen Konkursverfahrens nach Francisco Salgado de Somoza üblich ist (Stichwort „vis attractiva concursus„)? Soll also insbesondere auch die Forderungsfeststellung im Streitfall beim Insolvenzgericht verbleiben? Sind Anfechtungs- und Herausgabeklagen mit Massebezug durch das Insolvenzgericht zu entscheiden? Oder sollte man dem deutschen Modell folgen und all diese Streitigkeiten auslagern und das Insolvenzgericht entlasten?

Mediation

In den letzten Jahren scheinen sich beide Rechtstraditionen anzunähern – durch die Einschaltung von Mediatoren. Die Bemühungen um die Entlastung der Justiz durch gerichtliche und außergerichtliche Mediation erreichen „ausgelagerte“ Streitigkeiten der Parteien eines Insolvenzverfahrens nach deutschem Modell ganz automatisch. Zugleich haben gerade in Common Law-Ländern Insolvenzgerichte die Praxis entwickelt, schwierige Streitfragen zunächst einem Mediator anzuvertrauen. Die Streitbeilegung durch Mediation hat so in vielen (wenngleich sicher nicht allen) Ländern Einzug in die Insolvenzpraxis gehalten.

Für grenzüberschreitende Streitigkeiten zwischen verschiedenen nationalen Insolvenzverfahren und Insolvenzmassen hat die EuInsVO 2015 mit dem Koordinator sogar eine formale Mediationsinstanz geschaffen, der sich die Beteiligten bedienen können. Ob es dieser neuen Institution angesichts der vielfältigen anderweitigen Mediationsoptionen tatsächlich bedurfte, wird man bezweifeln können. Genutzt wurde diese Option bislang jedenfalls nicht. Dennoch zeigt die gesetzliche Verankerung von Mediationsoptionen (auch in Form der Sanierungsmoderation im deutschen Restrukturierungsrecht), dass viele Gesetzgeber durchaus noch Entwicklungspotenzial für diese Streitbeilegungstechnik im Insolvenzraum sehen.

Schiedsverfahren (Arbitration)

Die Erledigung von Streitigkeiten durch ein Schiedsverfahren ist im Gegensatz zur Mediation wohl im ersten Schritt einfacher, wenn das Insolvenzgericht gewohnt ist, diese Streitigkeiten ohnehin nicht selbst zu entscheiden, sondern auszulagern. In Deutschland können Schiedsklauseln so auch für Forderungsfeststellungsstreitigkeiten bedeutsam bleiben. Ist das Insolvenzgericht hingegen eigentlich selbst zur Entscheidung berufen, tun sich die Gerichte nicht selten schwer, diese Entscheidungsmacht an ein Schiedsgericht abzugeben, selbst wenn die Parteien dies einvernehmlich wünschen. Die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten in der Insolvenz wird zum zentralen Thema in der Praxis und in der wissenschaftlichen Diskussion (siehe etwa die Beiträge hier oder hier). Die Erkenntnisse der letzten Jahre scheinen aber auch hier zumindest einen Minimalkonsens zu erzeugen, nach dem gewisse Streitigkeiten (etwa die Forderungsfeststellung oder die Allokation von Massegegenständen) durchaus auch  durch Schiedsverfahren effizient befriedet werden könnten.

ADR Colloquium at INSOL London 2022

Am Rande der diesjährigen INSOL International Conference in London werden all diese Fragen nun erstmals in einem fokussierten Event – dem ADR Colloquium – mit einer globalen Perspektive gestellt und diskutiert. Experten mit jahrelander Erfahrung in Mediation und Schiedsverfahren im Kontext von Insolvenzverfahren teilen ihre Sicht und erörtern die Zukunft moderner Streitbeilegungsmechanismen in Insolvenzverfahren gemeinsam mit dem interessierten Publikum. Ich bin froh, Teil dieses Events sein zu dürfen und das Panel zu Schiedsverfahren zu moderieren. Sollten Sie also in London sein, schauen Sie doch mal rein.

The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses

The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses

In der aktuellen Ausgabe der International Insolvency Review ist ein Beitrag erschienen, in dem ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen Janis Sarra (Professorin an University of British Columbia, Vancouver, Canada) und Jennifer Payne (Professorin an der University of Oxford, UK) die rechtliche Handhabung von Lösungsklauseln (sog. „Ipso facto“ Klauseln) in den Insolvenz- und Restrukturierungsrechten Kanadas, Englands und Deutschlands beleuchtet haben.

Anlass dieser Kooperation war die Erkenntnis, dass sich die diesbezüglichen Regeln in unseren Rechtsordnungen erheblich unterscheiden. Wir sind daher der Frage nachgegangen, welche grundlegenden rechtspolitischen Fragen den Gesetzgebungsprozess bestimmten und warum diese unterschiedlich beantwortet wurden. Die Erkenntnisse dieser Analyse ergab ein Menü an Entscheidungsoptionen, das jeder Gesetzgeber in seiner Bandbreite erkennen und aus dem er bewusst wählen sollte, wenn er – wie gerade im Rahmen der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie geschehen – in diesem Bereich neue Regelungen schaffen will.

Der Beitrag ist unter diesem Link kostenlos erhältlich (Open Access). Zitat: Janis Sarra, Jennifer Payne and Stephan Madaus „The Promise and Perils of Regulating Ipso Facto Clauses“, Int Insolv Rev.2022;31:45–80.

Principles for a special cross-border restructuring law

This week UNCITRAL Working Group V has started considering the thorny issue of applicable law in insolvency proceedings in its latest project. The deliberations use the recommendations 30–34 and accompanying commentary of the UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law (the “Guide”) as the starting point and intend to focus first on lex fori concursus and exceptions thereto in the context of a simple scenario– an insolvency proceeding with respect to a single debtor – taking up any other issues of applicable law in insolvency proceedings. The baseline scenario already encompasses the question whether applicable law rules may raise distinct issues in the context of reorganization as opposed to liquidation. In my view, the answer to this question is YES based on the assessment published in my new Working Paper (download here).

The paper explains the phenomenon of a restructuring (or reorganization in US bankruptcy law terminology) and the mechanisms for cross-border effects. It analyses the role of the lex causae and continues to portray why this role has been sidelined in insolvency proceedings by the lex fori concursus. The analysis demonstrates that the asset-oriented rules and principles of cross-border insolvency law are not well aligned with the needs in debt-oriented restructuring procedures. The paper concludes by identifying principles for the development of a special cross-border restructuring framework based on the principles of Private International Law.

The key insights of the paper are summarizes as follows:

(1) The debtor’s COMI is not a solid criteria both for allocating debt-oriented restructuring proceedings and their recognition abroad.

(2) Debt-restructuring proceedings in the country closest connected to the law governing the restructured debt under PIL rules shall pincipally both be available there (in terms of international jurisdiction even without COMI) and recognised abroad.

(3) Debt-restructuring proceedings in a country with (only) a sufficient connection to the law governing the restructured debt under PIL rules may pincipally be made available there (policy choice in terms of international jurisdiction with or without COMI and extending the lex fori to substantive modification) but only recognised in countries with closer connections under a substantive protection test.

(4) Debt-restructuring proceedings in the country not connected to the law governing the restructured debt under PIL rules shall pincipally not be made available (in terms of international jurisdiction without COMI) and cannot expect to be effective abroad.

These insights may provide orientation in a world where modern legislation shows the tendency to extend the tools available in restructuring and insolvency proceedings to affect substantive rights. Plans and discharges may discharge or amend creditor rights against third parties in or even without a group context. Executive contracts may be terminated not only in case of the administration of a bankruptcy estate but also if petitioned by the debtor in some (Dutch) restructuring proceedings.

Vorrang oder Kollision? Die Bedeutung anderer Rechtsgebiete in Insolvenzverfahren

Die Insolvenzordnung isoliert das Insolvenzverfahren nicht von anderen Rechtsgebieten. Es schafft keinen geschützten Raum. Zwar wird dem Insolvenzverwalter erlaubt, das Schuldnerunternehmen zu leiten und insofern auch als Arbeitgeber zu agieren. Im Übrigen bleibt er den Anforderungen des Arbeits-, Unternehmens- und Gesellschaftsrechts aber unterworfen. So macht etwa § 155 InsO deutlich, dass er die handelsrechtlichen Buchführungs- und Rechnungslegungspflichten zu erfüllen hat. Die Sonderregeln des Insolvenzrechts bleiben punktueller Natur.

Die Bedeutung anderer Rechtsgebiete bleibt aber nicht nur für das Verwalterhandeln maßgeblich. Auch andere Verfahrensbeteiligten sind ihnen weiter unterworfen. Gläubigeransprüche werden in ihrer Durchsetzung zwar in das Verfahren kanalisiert; die Ausübung der auf diesen Ansprüchen beruhenden Mitwirkungsrechte, insbesondere der Stimmrechte, wird dem Gläubiger insolvenzrechtlich nicht vorgezeichnet. Hier bleibt er jenseits des § 238 Abs. 1 Satz 2 InsO internen Bindungen unterworfen, die insbesondere der Finanzverwaltung oder Sozialversicherungsträgern, aber auch Aufsichtsbehörden und anderen öffentlichen Interessenträgern Handlungsspielräume nehmen können.

Gerade in stark regulierten Märkten wie dem Luft- oder Bahnverkehr sind klassische insolvenzrechtliche Lösungsansätze wie übertragende Sanierungen oder Investoreneinstiege durch einen plangemäßen Anteilserwerb, ja sogar die bloße Betriebseinstellung (§ 1 BahnG), zudem nicht selten behördlichen Genehmigungserfordernissen unterworfen. Das Beihilfe- oder Kartellrecht kann hier Grenzen setzen und wird jedenfalls die Einbindung von Aufsichtsbehörden erfordern. Zugleich stellt sich die rechtspolitische Frage, inwieweit die gesetzlichen Regelungen in anderen Rechtsgebieten bereits das Insolvenzrecht mit seinen ja durchaus makroökonomisch begründeten Zielen und Funktionen im Blick hat. Auch wird zu prüfen sein, inwieweit es der Berücksichtigung neuer Instrumente im Restrukturierungsrecht bedarf.

Über all diese Fragen durfte ich auf Einladung von Dr. Rainer Eckert mit Marlies Raschke, Prof. Dr. Lucas Flöther und Dr. Stefan Sax diskutieren. Eine Aufzeichnung des Gesprächs finden Sie hier:

 

Darf der StaRUG-Plan Rechtsverhältnisse gestalten, die ausländischem Recht unterliegen?

Im präventiven Rahmen der Restrukturierungsrichtlinie fehlt jede Vorgabe zu grenzüberschreitenden Wirkungen; die Anwendung der Europäischen Insolvenzordnung (EuInsVO) ist lediglich als Option erwähnt (ErwG. 13). Der deutsche Gesetzgeber hat sich daher bei Umsetzung der Richtlinie im StaRUG dazu entschlossen, die Anwendung der EuInsVO nur als Option zu ermöglichen, nicht aber für alle StaRUG-Verfahrensformen vorzuschreiben. Nur wenn der Schuldner bei Anzeige der Restrukturierungssache beantragt, sie als öffentliche Restrukturierungssache durchzuführen, wird ab dem Sommer 2022 das Regelungsregime der EuInsVO anwendbar sein (sofern die öffentliche Restrukturierungssache bis dahin im Anhang A der EuInsVO aufgenommen ist). Stellt der Schuldner diesen Antrag nicht, finden alle Verfahrensschritte des StaRUG als nicht-öffentliche Restrukturierungssachen statt. Entsprechendes gilt mangels Antragsoption für alle StaRUG-Verfahren bis Sommer 2022. Die EuInsVO kann die grenzüberschreitenden Wirkungen all dieser StaRUG-Verfahren ebenso wenig garantieren wie die eines gerichtlich bestätigten Sanierungsvergleichs. Zugleich findet sich im StaRUG weder ein Verweis auf die Anwendung eines anderen Regelungsregimes, etwa der Brüssel Ia-VO für Zivilverfahren (EuGVVO), noch eine eigenständige Regulierung grenzüberschreitender Sachverhalte.

Regelungsbedarf

Wo liegt das Regelungsdefizit? Hat ein Sachverhalt Auslandsberührung, so sind drei Fragestellungen zusätzlich zu klären:

(1) Ist das deutsche Gericht trotz der Auslandskomponente zuständig (internationale Zuständigkeit)?

(2) Welches Recht wendet das zuständige deutsche Gericht an (anwendbares Recht)?

(3) Würde das deutsche Verfahrensergebnis in den relevanten ausländischen Rechtsordnungen Wirkung entfalten können (Anerkennung)?

Die Besonderheit der Anerkennungsfrage

Während die richtige Beantwortung der ersten beiden Fragen in Deutschland bis in die Revisionsinstanz vollständig überprüfbar ist, kann die Frage der Anerkennung offengelassen werden, solange aufgrund hinreichender Inlandswirkungen keine Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis des Schuldners für seine Restrukturierung entstehen. Die Anerkennung im Ausland ist dann allein Sache der Gerichte und Behörden im Ausland.

Für die Anerkennungsfrage ist zudem hervorzuheben, dass moderne Anerkennungsgrundsätze des Europäischen Zivilverfahrensrechts es den Anerkennungsgerichten regelmäßig verbieten, die richtige Beantwortung der zweiten Frage (richtige Bestimmung des anwendbaren Rechts und dessen richtige Anwendung im Einzelfall) zu überprüfen (Verbot der revision au fond). Dieses Verbot gilt mit Abstrichen auch für die Zuständigkeitsfrage: Die EuInsVO verbietet eine Überprüfung im Anerkennungsstaat (Grundsatz der automatischen Anerkennung in Art. 19, 32), währen die EuGVVO diese Überprüfung zumindest begrenzt (Art. 45 Abs. 3). Erst ein Ordre-Public-Verstoß markiert dann die Grenze der Wirkungserstreckung.

Die Antwort auf die dritte Frage, die Anerkennungsfrage, ist für nicht-öffentliche StaRUG-Verfahren bereits Gegenstand einer durchaus streitigen Fachdiskussion (siehe etwa Paulus/Bähr/Hackländer, ZIP 2021, 1086; Schlöder/Parzinger/Knebel, ZIP 2021, 1041; Skauradszun, NZI 2021, 568). Für die anderen beiden Fragen gilt dies bislang leider nicht in gleichem Maße. Dies überrascht, wenn man bedenkt, dass jedes Restrukturierungsgericht diese Fragen bereits am ersten Tag richtig beantworten muss und insoweit durch alle Instanzen bis hin zum BGH überprüft werden kann.

Die Zuständigkeitsfrage

Die erste Frage (internationale Zuständigkeit) wird für öffentliche Restrukturierungssachen von Art. 3 EuInsVO beantwortet (werden) – auch im Verhältnis zu Drittstaaten. Für andere Restrukturierungssachen fehlt hingegen eine spezifische Regelung im StaRUG ebenso wie für die gerichtliche Bestätigung eines Sanierungsvergleichs. Immerhin scheint es insofern naheliegend, die Regelungslücke in guter deutscher Rechtsanwendungstradition wie in anderen Zivilverfahren der ZPO dadurch zu schließen, dass man im Wege der (doppelt analogen) Anwendung der Regeln zur örtlichen Zuständigkeit die Frage nach der internationalen Zuständigkeit mitbeantwortet. § 35 StaRUG würde mit seinem COMI-Kriterium so auch diese Frage klären. Die sich so ergebende Antwort auf die Zuständigkeitsfrage steht dabei unter dem Vorbehalt, dass auf nicht-öffentliche Restrukturierungssachen nicht vorrangig die EuGVVO anzuwenden ist, sodass deren Art. 4 ff. die Zuständigkeit regeln. Hier wird die Auslegung der insolvenzrechtlichen Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO durch den EuGH abzuwarten sein.

Die Frage nach dem anwendbaren Recht

Für die zweite oben aufgeworfene Frage nach dem anwendbaren Recht lässt sich eine Antwort nun leider nicht so unmittelbar erkennen. Öffentliche Restrukturierungssachen unterfallen gemäß Art. 7 EuInsVO weitgehend von der lex fori concursus; Ausnahmen ergeben sich aus den Art. 8 bis 18 insbesondere für Sicherungsrechte und grundstücksbezogene Rechtsverhältnisse. Für andere StaRUG-Verfahren findet sich hingegen keine Regelung.

Darf der Restrukturierungsplan also die Anleihen, die nach dem Recht des Staates New York begeben wurden, oder französische Steuerforderungen stunden oder gar erlassen? Weder das StaRUG noch eine eventuell anzuwendende EuGVVO enthalten hierzu eine Aussage.

Wie sind nun diese Fragen zu beantworten?

(1) Maßgeblichkeit des jeweiligen Statuts:

Im Grundsatz ist für jedes planbetroffenes Rechtsverhältnis das maßgebliche Sachrecht für Modifikationen und Erlöschenstatbestände nach den allgemeinen Regeln des IPR zu bestimmen. Für vertragliche Schuldverhältnisse gilt die Rom I-VO; für außervertragliche die Rom II-VO; für dingliche Rechte das Sachenrechtsstatut (lex rei sitae) – so auch BeckOK StaRUG/Skauradszun StaRUG § 2 Rn. 13). Damit wäre der Regelungsbereich des StaRUG bei nicht-öffentlichen Verfahren auf Rechtsverhältnisse begrenzt, die nach Maßgabe des deutschen Rechts (inklusive StaRUG) verändert werden können. Ausländische Rechtsverhältnisse wären allein nach ausländischen Recht zu gestalten. Parallelverfahren wäre erforderlich. Effiziente, kostengünstige Restrukturierungslösungen wäre so nicht gesichert.

(2) Analogie zum Insolvenzrecht:

Zur Begründung einer Maßgeblichkeit des deutschen Rechts auch für ausländische Rechtsverhältnisse könnte man auf die Idee kommen, die entsprechenden Regelungen aus dem Insolvenzrecht zu übernehmen und analog anzuwenden. Dort wird in § 335 InsO und Art. 7 EuInsVO bestimmt, dass das Recht des Verfahrensstaates (lex fori concursus) auch bestimmt, wie weit die Eingriffsbefugnisse von Restrukturierungsplänen reichen. Das Planstatut überlagert andere Sachrechte, etwa das Vertrags- oder Deliktsstatut. Aus der internationalen Zuständigkeit deutscher Restrukturierungsgerichte (§ 35 StaRUG analog: COMI des Schuldners) würde die Anwendung deutschen Rechts (§§ 2 ff. StaRUG) auf alle danach gestaltbaren Forderungen des Schuldners – unabhängig von deren Statut – folgen (so etwa die Idee bei Skauradszun, NZI 2021, 568; auch eine erste Entscheidung des englischen High Court zum neuen Restructuring Plan sieht in ihm der Sache nach ein Insolvenzverfahren: Gategroup Guarantee Ltd, Re [2021] EWHC 304 (Ch) (17 February 2021) .

Leider stößt eine solche Analogie in Deutschland bereits auf methodische Einwände. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte es keiner Sonderregel für öffentliche Restrukturierungssachen bedurft. Man hätte schlicht alle StaRUG-Verfahren der EuInsVO unterstellt. Es dürfte für eine Analogie also bereits an der Planwidrigkeit der Regelungslücke fehlen. Auch passt das Regelungsregime der Art. 7-18 EuInsVO, §§ 335-342 InsO nicht ohne Brüche zu den Besonderheiten eines nur bestimmte Gläubiger und Gesellschafter betreffenden und daher nicht öffentlichen Restrukturierungsversuchs und genau aus diesem Grund wich der Gesetzgeber auf eine zweite Verfahrensoption (nicht-öffentliche Verfahren) aus. Schon die Interessenlage ist insofern nicht vergleichbar.

(3) Erweiterung des Gesellschaftsstatuts:

Wer in den nicht-öffentlichen StaRUG-Verfahren rein gesellschaftsrechtliche Verfahrenshilfen erkennt, für den bestimmt das Gesellschaftsstatut und damit die Gründungstheorie bzw. gegenüber Drittstaaten die Sitztheorie das anzuwendende Sachrecht (J. Schmidt, ZInsO 2021, 654). Das Recht des Satzungs- oder Verwaltungssitzes ist auch das maßgebliche Restrukturierungsrecht. Schuldner mit Sitz in Deutschland könnten dann das StaRUG auch nutzen, um ausländische Rechtsverhältnisse zu verändern.

Fraglich ist allerdings, inwieweit das Argument überzeugt, ein Rechtsinstrument im Überschneidungsbereich von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht ist in seiner Gänze nur noch Gesellschaftsrecht zuzuweisen, wenn das Insolvenzrecht nicht gelten soll (so Schmidt). Die vertragsrechtliche Komponente einer Restrukturierung geht so völlig verloren. Vor allem aber bleibt offen, was bei Schuldnern gelten soll, die ihr Unternehmen nicht über eine Gesellschaft als Rechtsträger betreiben (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 StaRUG).

(4) Die lex fori:

Die Lösung könnte vielmehr in einer Anwendung der EuGVVO und damit im Verweis auf die lex fori gefunden werden, erscheint es doch selbstverständlich, dass international zuständige Gerichte ihre eigenen Verfahrensregeln anwenden. Bedenken gegenüber diesem Ansatz folgen aus dem Inhalt der lex fori, die eben nur die heimischen Verfahrensregeln, also das Prozessrecht, zur Anwendung beruft, bei Eingriffen in materielle Rechte aber keine Aussage darüber treffen kann, welches Sachrecht eben diese Eingriffe reguliert.

An diese Grenze stößt im Übrigen auch die lex fori concursus, also das Insolvenzstatut, das traditionell wie konzeptionell nur den verfahrensrechtlichen Umgang mit dem Schuldnervermögen und den Gläubigerforderungen regeln kann, nicht aber selbst materielle Rechtsänderung erzeugt. Lediglich Durchsetzungshindernisse entstehen (so etwa bei Ablehnung der Erfüllung nach § 103 InsO oder einem Planerlass nach § 254 Abs. 3 InsO bzw. einer Restschuldbefreiung nach § 301 InsO). Die Veränderung materiellen Rechts bedarf der Umsetzung nach Maßgabe des anwendbaren Rechts. Dabei ist die Grenzziehung sicher fließend, etwa wenn formal nur die Durchsetzbarkeit von Forderungen verändert wird (permanent stay), zugleich aber solche „prozessualen“ Wirkungen ein bestehenbleibendes materielles Recht im Kern entwerten. Man kann insofern durchaus auf die Idee kommen, solche „prozessualen“ Insolvenzwirkungen als materiell und damit nicht von der lex fori concursus gedeckt anzusehen, wie es die englischen Gerichte mit der Wiederentdeckung der Rule in Gibbs getan haben – dazu Bakhshiyeva v Sberbank of Russia & Ors [2018] EWHC 59 (Ch) (18 January 2018).

Die Diskussion um die Reichweite der lex fori concursus soll hier nicht vertieft werden, da sie den StaRUG-Verfahren nicht hilft. Festzuhalten ist allerdings, dass die allgemeine lex fori erst recht nicht in der Lage sein kann, das Sachrecht für die Veränderung materiellen Rechts zu bestimmen.

(5) Die Notwendigkeitsdoktrin:

So bleibt schließlich nur die Feststellung, dass keine der etablierten IPR-Grundsätze das besondere Geschehen einer nicht-insolvenzlichen Restrukturierung in dem Sinne erfassen, dass eine einheitliche Lösung für heimische wie ausländische Rechtsverhältnisse erreicht wird.

Eine Lösung kann hier – bis zum Eingreifen des Gesetzgebers – nur im Wege der Rechtsfortbildung entstehen. Sie sollte sich am pragmatischen Ansatz englischer Gerichte im Umgang mit Schemes of Arrangements ausländischer Unternehmen orientieren. Diese haben auf Basis der Feststellung ihrer internationalen Zuständigkeit (sufficient connection with England) und der Feststellung einer hinreichend sicheren Anerkennung der Wirkungen des Schemes auf ausländische Rechtsverhältnisse in den betreffenden Rechtsordnungen die Antwort auf Frage nach dem (tatsächlich) anwendbaren Recht offengelassen. Zugleich spielt der Gesichtspunkt, ob zumindest ein Teil der zu restrukturierenden Rechtsverhältnisse englischem Recht unterliegen, bei der Feststellung einer „sufficient connection with England“ und damit bei der Bejahung der internationalen Zuständigkeit eine Rolle, wenngleich dies kein entscheidender Gesichtspunkt ist (siehe schon in Rodenstock GmbH, Re [2011] EWHC 1104 (Ch) (06 May 2011); zuletzt etwa Colouroz Investment et al [2020] EWHC 1864 (Ch.) at 66 oder auch Swissport Fuelling Ltd, Re [2020] EWHC 1499 (Ch) (05 June 2020)). Interessanterweise wird also aus dem anwendbaren Recht auf das Forum, nicht aber aus dem Forum auf das anwendbare Recht geschlossen. Insgesamt ist dieser Umgang mit ausländischen Schuldnern und ausländischen Rechten von dem Grundgedanken getragen, dass der Schuldner und die zustimmende Gläubigermehrheit, sofern sie im Heimatrecht keine Hilfe wie im englischen Recht finden, das englische Scheme nutzen dürfen, sofern diese Restrukturierungshilfe für sie wirksam ist. Das Gesamtinteresse an der Restrukturierungslösung – deren Notwendigkeit – schlägt Brücken über rechtliche Lücken.

Ein solch pragmatisches Vorgehen wird auch den deutschen Restrukturierungsgerichten zu empfehlen sein. Kann die internationale Zuständigkeit bejaht werden und ist die Anerkennung des Plans in relevanten Rechtsordnungen hinreichend wahrscheinlich (was in der Regel durch Sachverständigengutachten zu belegen sein wird), so sollte die Frage nach der Anwendbarkeit des StaRUG auf alle betroffenen Rechtsverhältnisse offen bleiben dürfen, sofern relevante Anknüpfungspunkte für das anwendbare Recht zumindest im Schwerpunkt nach Deutschland verweisen (etwa das Sachrecht der Mehrzahl der zu restrukturierenden Rechtsverhältnisse oder auch eine Gerichtsstandsvereinbarung oder -klausel). Sollen im nicht-öffentlichen StaRUG-Verfahren lediglich Anleihen oder Kreditverträge mit Rechtswahlklauseln zugunsten ausländischer Rechtsordnungen restrukturiert werden, so wäre zunächst die Rechtswahl oder zumindest der Gerichtsstand zugunsten Deutschlands zu ändern.

Auf mittlere Sicht wird der deutschen, besser noch der europäische Gesetzgeber gefordert sein, die für außerinsolvenzliche Restrukturierungen entstandene Regelungslücke durch die Normierung eines eigenen Restrukturierungsstatuts zu schließen, dass nach dem regelungstechnischen Vorbild der Art. 7 bis 18 EuInsVO gern von einer Grundsatz- und mehreren Ausnahmebestimmungen getragen sein kann, dabei aber inhaltlich auf die Besonderheiten von Restrukturierungen eingeht und diese für alle drei Fragen grenzüberschreitender Sachverhalte mit eigenständigen Regelungen beachtet. Insbesondere die Wahl des Restrukturierungsgerichts und –rechts durch Vereinbarung und die limitierte Zahl von nicht dispositiven Ausnahmen von dieser Wahl wird hier zu erlauben und im Detail zu regeln sein.

European Model Protocols – Abschluss des EU-Forschungsprojekts

Am 17. Juni 2021 hat ein Forschungsprojekt seinen formalen Abschluss gefunden, dass im Jahr 2017 in Rom begann: die Entwicklung eines European Model Protokolls auf Basis der seit ca. 30 Jahren etablierten Praxis in grenzüberschreitenden Insolvenzen. Auf der finalen Konferenz, die leider nur online stattfinden konnte, erläuterte das Projektteam seine Forschungswege und -ergebnisse. Das Projekt wurde durch die EU finanziert (JUST-AG-2017/JUST-JCOO-AG-2017).

Kooperationspflichten für Verwalter und Gerichte in der EuInsVO

Das im Projekt erarbeitete European Model Protocol übernimmt nun nicht schlicht die in 30 Jahren erarbeiteten Inhalte von Kooperationsvereinbarungen zwischen Insolvenzverwaltern aus mehreren Nationen. Es nimmt seinen Ausgangspunkt vielmehr in den besonderen Vorgaben der Europäischen Insolvenzordnung, die seit 2017 sowohl für Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren als auch für Insolvenzverfahren über transnationale Unternehmensgruppen allgemeine Kooperationspflichten vorsehen. Diese Pflichten treffen dabei nicht nur die beteiligten Verwalter, sondern auch die Gerichte.

Zwei unterschiedliche Adressaten derselben Pflicht

Auf der Basis einer detaillierte dogmatischen Analyse der sich hieraus ergebenden zwingenden rechtlichen Vorgaben haben wir entschieden, zwei separate Modellregelungen zu schaffen.

Das Verwalter-Protocol

Der erste Teil des European Model Protocol richtet sich an Verwalter, die den Inhalt, die Formen und die Grenzen ihrer Kooperation konkretisieren und so planbar gestalten wollen. Hier bietet wir in 24 Modellklauseln Lösungen für die verschiedenen Themenkreise der Kooperation an: von der Informationsgewährung über die Behandlung streitiger Themen bis hin zur gemeinsamen Planentwicklung. Diese Protocols würde in der bekannten Form zwischen den Verwaltern verhandelt, angepasst und vereinbart.

Die Gerichts-Guidelines

Der zweite Teil des European Model Protocol betrifft die beteiligten Gerichte. Die von uns im Rahmen des Projekts gewonnenen empirischen Erkenntnisse legen hier nahe, dass Richterinnen und Richter in EU-Mitgliedstaaten starke Bedenken gegen eine persönliche Unterzeichnung von Vereinbarungen mit ausländischen Gerichten tragen, sodass aus unserer Sicht eine Kooperationsförderung nicht im Wege klassischer „Gerichts-Protocols“ erfolgen kann, sondern über die gesetzlichen Verfahrensordnungen bzw. – wo möglich – über Verfahrensgrundsätze oder Guidelines der betreffenden Gerichte erfolgen sollte, die aus Anlass eines Insolvenzverfahrens etabliert werden können, dann aber über den einzelnen Insolvenzfall hinaus wirken dürfen. Hierfür haben wir 20 Modellregeln entworfen, in denen Gerichte die Formen und Grenzen gerichtlicher Kooperation bestimmen und so rechtssicher planbar machen können.

Ziel: Die Etablierung einer EU-Protocol-Kooperations-Kultur

Das zweiteilige European Model Protocol bietet kooperationspflichtigen Beteiligten in einem grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren einen Orientierungspunkt und eine Verhandlungsgrundlage für die konkrete Erfüllung dieser Pflicht. Für die Gerichte sind die Gerichtsverwaltungen und auch der Gesetzgeber, vielleicht sogar der EU-Gesetzgeber, aufgefordert, diese Grundlagen zu implementieren. Verwalter dürfen das EMP gern als Verhandlungsbasis nutzen. Die Musterregeln erlauben dabei nicht nur eine rechtssichere Handhabung der neuen Kooperationspflichten der EuInsVO. Sie dienen auch dazu, die bislang eher im Common Law zu findende Kooperationskultur in den EU-Mitgliedstaaten praktikabel und damit positiv erfahrbar zu machen. Vielleicht entsteht so mit der Zeit auch bei den Verfahrensbeteiligten in EU-Insolvenzverfahren eine Kultur protocol-gestützter Kooperation.

 

Weitere Einzelheiten zum Projekt, insbesondere zu den beteiligten Universitäten, finden sich hier.

 

Das European Model Protocol kann hier in englischer, deutscher, französischer, italienischer und spanischer Sprache heruntergeladen werden.

 

Der Forschungsbericht ist hier als Buch erhältlich, kann aber auch als e-Book hier heruntergeladen werden.

Die dogmatische Basis des StaRUG – Kritik und Alternative

Das StaRUG ist nun seit drei Monaten in Kraft und die Praxis tut sich schwer mit dem neuen Recht. Während das zeitgleich in Kraft getretene niederländische Recht die ersten gerichtlich bestätigten Pläne erzeugt und die englische Praxis den neuen Restructuring Plan bereits auf seine Grenzen austestet, bleibt es um das StaRUG ruhig. In den vielen Veranstaltungen zum Thema wird deutlich, dass die harten Schnitte, die der Bundestag auf Empfehlung des Rechtsausschusses dem Gesetz auf den letzten Metern angetan hat, die Anwendungsbereich der neuen Hilfen durchaus erheblich begrenzt haben. Die Nutzung des Restrukturierungsrahmens durch die Geschäftsleiter wird nun nur in Kooperation mit den Gesellschaftern haftunssicher möglich sein, zumal das schmal ausgefallene Zugangsfenster (drohende Zahlungsunfähigkeit, aber keine Überschuldung) einen gößeren zeitlichen Abstand zur prognostizierten Zahlungsunfähigkeit verlangt, sodass Gesellschafterpositionen aktuell oft werthaltig erscheinen.

Hinzu kommt, dass es auch in der Kommunikation mit den Restrukturierungsbeteiligten nicht gerade trivial ist, einerseits ein existenzielles Problem beim Schuldner darzustellen, dass heute schon Einschnitte in Gläubiger- oder Gesellschafterpositionen erfordert, die zur Not auch mit gerichtlicher Unterstützung zwangsweise erfolgen sollen, während man andererseits dem Gericht noch versichern muss, das eben dieses Problem doch noch nicht akut ist, sondern erst in Monaten ein Problem werden könnte, wenn denn zuvor die Restrukturierung nicht gelingt. Stehen weniger als 12 Monate an Zeit zur Verfügung, so liegt zudem die Frage einer Insolvenzverschleppungshaftung bei Scheitern der Restrukturierung ganz in den Händen der Insolvenzverwalter und Landgerichte, die im Nachhinein (mit hindsight bias) prüfen, ob die Restrukturierungsaussicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben war oder nicht doch schon Überschuldung vorlag. Restrukturierungsanreize werden so sicher nicht gesetzt und nicht einmal Lockdown-bedingte Finanznöte genügen aktuell als Treiber für einen „Run“ auf die neuen Verfahrenshilfen des StaRUG.

Aus meiner Sicht sind diese Probleme nicht allein dem Rechtsausschuss anzulasten, sondern bereits in der dogmatischen Grundidee des StaRUG angelegt, auf deren Basis im BMJV das Gesetz konstruiert wurde und die in der Begründung zum Regierungsentwurf nachzulesen ist. Dort verzichtete man bewusst auf das Abstandsgebot zum Insolvenzverfahren und etablierte stattdessen die Doktrin der Parallelität zu insolvenzrechtlichen Hilfen. Diese basiert auf der Annahme, dass Zwangseingriffe in Gläubigerrechte nur zu rechtfertigen sind, wenn der Gläubiger einen solchen Eingriff alternativ auch schon über den freiwilligen Gang des Schuldners in ein Insolvenzverfahren hinnehmen müsste. In der Konsequenz stehen die StaRUG-Hilfen nicht zeitlich vor den InsO-Hilfen, sondern nur und erst dann zur Verfügung, wenn der Schuldner drohend zahlungsunfähig ist und so auch in ein Insolvenzverfahren gehen könnte. Ein Abstandsgebot existiert nicht. Beide Verfahren können (theoretisch) identische Hilfen anbieten.

In einem aktuellen Beitrag für eine Festschrift, die im Laufe des Jahres erscheinen soll, stelle ich dar, dass dieses insolvenzrechtliche Paradigma weder ohne Brüche im StaRUG funktioniert noch für die Rechtfertigung von Zwangseingriffen erforderlich ist. Anknüpfend an meine Anregung von gerichtlichen Restrukturierungshilfen, die auf Basis des allgemeinen Zivilrechts konzipiert werden (siehe das Working Paper aus dem Sommer 2019), zeige ich auf, dass die (zu Recht) modular gestalteten Hilfen des Restrukturierungsrahmens auf einer insolvenzfernen, rein zivilrechtlichen Grundlage durchaus zu rechtfertigen sind. Zugleich kann bei einem Wechsel der dogmatischen Grundkonstruktion des StaRUG hin zum Paradigma der freien Sanierung auch ohne Brüche ein hinreichend weiter Anwendungsbereich nicht-insolvenzlicher Hilfen gestaltet werden. Das Working Paper, das dem Festschriftbeitrag zugrunde liegt, stelle ich hier zum Download bereit.

Ergänzung (29.11.2021): Der Beitrag ist nun erschienen (Madaus, Festschrift für Reinhard Singer zum 70. Geburtstag, 2021, S. 415 ff.). Ich sende ihn auf Anfrage gern zu.

Österreichs Entwurf einer Restrukturierungsordnung – das Planverfahren der InsO 1999

Nun ist auch in Österreich der Entwurf einer Restrukturierungsordnung (ReO) zur Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie veröffentlicht worden (hier der Text). Eine erste Durchsicht zeigt, dass der österreichische Gesetzgeber den Trend zu modernen, modularen Gerichtshilfen verweigert und es mit einem klassischen vollumfänglich gerichtlichen Verfahren ähnlich einem Vergleichsverfahren versucht.

Europäisches (und lokales?) Restrukturierungsverfahren

Einem Trend verweigert sich das österreichische Recht nicht. Es wird das Restrukturierungsverfahren wie in Deutschland und den Niederlanden wahlweise als öffentlich bekanntgemachtes („europäisches“) und nicht publik gemachtes Verfahren geben. Auch im österreichischen Entwurf findet sich für nicht bekanntgemachte Verfahren keine Aussage zur grenzüberschreitenden Wirkung – was auch nicht erforderlich ist, wenn die EuGVVO greift. Interessant ist die Wortwahl, die suggeriert, dass allein veröffentlichte Verfahren als „europäisches Restrukturierungsverfahren“ grenzüberschreitende Ambitionen haben sollen.

Regelverfahren oder reine Planbestätigung?

Der Entwurf erlaubt eine Vereinfachung des Restrukturierungsverfahrens zur Bestätigung von Plänen, die nur „Finanzgläubiger“ erfassen und unter diesen unstreitig sind (Zustimmung aller Gruppen mit 75% Summenmehrheit des erfassten Kapitals). Zugleich bedarf es einer Bescheinigung, dass die Bestätigungsvoraussetzungen vorliegen, insbesondere keine Schlechterstellung der Akkordstörer vorliegt. Die Vereinfachung besteht dann (allein) darin, dass diese Pläne außergerichtlich abgestimmt werden dürfen und nur zur Bestätigung das Verfahren eingeleitet wird.

Großzügigeres Zugangsfenster

Aus deutscher Sicht ist insbesondere die Definition der wahrscheinlichen Insolvenz als Zugangskriterium interessant. Hier gewähren unsere Nachbarn einen großzügigeren Zugang. Nach § 6 Abs. 2 steht das Verfahren Unternehmen offen, „wenn der Bestand des Unternehmens des Schuldners ohne Restrukturierung gefährdet wäre; dies ist insbesondere gegeben, wenn die Zahlungsunfähigkeit droht oder die Eigenmittelquote 8% unterschreitet und die fiktive Schuldentilgungsdauer 15 Jahre übersteigt.“ Wenn man schon eine Zugangshürde aufbauen möchte (ich meine, man kann darauf verzichten), scheinen diese Kriterien der Beschreibung einer Bestandsgefährdung angemessen.

Planreichweite wie beim Insolvenzplan vor dem ESUG

Der konservative Ansatz der Richtlinienumsetzung zeigt sich vor allem in der Beschreibung der Planreichweite. Der Restrukturierungsplan darf allein Gläubigergruppen bilden. Sieht der Plan gesellschaftsrechtliche Maßnahmen vor, so verweist § 32 Abs. 1 des Entwurfs auf das Gesellschaftsrecht. Immerhin wird eine „grundlose“ Verhinderung der Planumsetzung verboten. Diese – nahezu wörtliche – Umsetzung des Art. 12 der Richtlinie schafft eine Rechtslage, wie sie im deutschen Insolvenzplanverfahren zwischen 1999 und 2012 existierte – erweitert um eine Gesellschafterpflicht zur Begründung eines Planvetos. Ob dies genügt, um die deutschen Erfahrungen zu vermeiden, die 2012 zum ESUG mit dessen gesellschaftsrechtlichen Planmaßnahmen führten, bleibt abzuwarten.

Insgesamt macht der österreichische Entwurf den Eindruck einer schlichten Umsetzung des Richtlinientextes ohne Ambitionen im europäischen Wettbewerb der Restrukturierungsordnungen. Er mag insofern aus deutscher, englischer oder niederländischer Sicht unmodern wirken. Es bleibt abzuwarten, ob der Entwurf zumindest für den heimischen Markt funktionieren wird. Es wäre schade, wenn er das Schicksal des von der Praxis weitgehend ignorierten Unternehmensrestrukturierungsgesetzes (URG) teilen müsste.

Die StaRUG-Verfahrenshilfen sind verfügbar – in diesen Restrukturierungsgerichten

Seit dem 1.1.2021 sind die Regelungen des SanInsFoG und damit auch die Verfahrenshilfen des StaRUG in Kraft. Die sachliche Zuständigkeit für diese Verfahren liegt gemäß § 34 StaRUG bei neuen Abteilungen der Amtsgerichte am Sitz eines OLG – den Restrukturierungsgerichten. Zugleich ist es den Ländern erlaubt, diese sachliche Zuständigkeit einem anderen Amtsgericht im OLG-Bezirk zuzuweisen. Soweit ich das erkennen kann, sind damit nun folgende Amtsgerichte als Restrukturierungsgerichte für Restrukturierungssachen zuständig:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Disclaimer: Die Übersicht basiert auf der Anwendung der Regelungen in § 34 Abs. 1 StaRUG sowie auf informelle Informationen über Rechtsverordnung nach § 34 Abs. 2 StaRUG (siehe unten). Noch fehlen mir die Quellen zu den Landesverordnungen, die den Sitz auf Grundlage des § 34 Abs. 2 StaRUG verschieben. Ich werde diese unten nachtragen, sobald sie veröffentlicht sind.

Update 15.1.2021:  In Niedersachsen wurde durch Rechtsverordnung vom 2.1.2021 das AG Hannover anstelle des AG Celle zum Restrukturierungsgericht bestimmt (§ 34 Abs. 2 StaRUG).

Update 25.1.2021: In Nordrhein-Wesfalen wurde durch Rechtsverordnung das AG Essen anstelle des AG Dortmund zum Restrukturierungsgericht bestimmt (§ 34 Abs. 2 StaRUG).

Die finale Fassung des SanInsFoG steht – und tritt zum 1.1.2021 in Kraft

Der Deutsche Bundestag wird heute, am 17.12.2020, ab 13:10 Uhr in zweiter Lesung das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) beraten und verabschieden. Grundlage der Abstimmung ist eine Fassung, die nach den Beratungen im Rechtsausschuss entstanden ist und zum Teil erhebliche Änderungen gegenüber dem Regierungsentwurf beinhaltet. Die wesentlichen Änderungen in der finalen Gesetzfassung lassen sich wie folgt beschreiben:

1. Änderungen im Restrukturierungsrahmen (StaRUG)

Die Änderungen, die das StaRUG durch den Rechtsausschuss erhalten hat, sind durch zwei Streichungen geprägt.

Zum einen entfällt der Abschnitt zur Vertragsbeendigung (§§ 51 ff. RegE) ersatzlos. Damit stehen bei Restrukturierungen in Deutschland weder die gerichtliche Vertragsbeendigung nach niederländischem Vorbild zur Verfügung, wie sie im Referentenentwurf vorgeschlagen und im Regierungsentwurf verwässert wurde, noch besteht die Option zur Regelung erst künftig fälliger Forderungen aus bestehenden gegenseitigen Verträgen im Plan nach englischem Vorbild, wie ich es im Rechtsausschuss angeregt hatte. Der Restrukturierungsrahmen wird so auf ein Instrument zur rein bilanziellen Restrukturierung von Stichtagsverbindlichkeiten reduziert. Die außergerichtliche Verhandlungen von laufenden Vertragsbeziehungen, insbesondere von Miet- oder Leasingverträgen, wird nicht unterstützt. Allerdings wird zum 1.1.2021 in solchen Fällen das BATNA nicht mehr nur aus der Wahl zwischen der Fortsetzung des Vertrags oder dem Gang zum Insolvenzgericht bestehen. Als dritte Option steht die Inanspruchnahme niederländischer Hilfen im Raum, die ohne eine Verlagerung des COMI, also ohne großen Aufwand, erreichbar und in Deutschland verwertbar sind. Es dürfte nur einiger erfolgreicher „Test“-Verfahren bedürfen, um die Diskussion um die Korrektur der späten Streichung dieses Instruments wiederzubeleben.

Zum anderen hat der Rechtsausschuss die Regeln zum Vorrang der Gläubigerinteressen ab dem Moment der drohenden Zahlungsunfähigkeit und die daran anknüpfende Organhafung (§§ 2 und 3 StaRUG) ersatzlos gestrichen. Das StaRUG greift damit nicht in Kernbereiche gesellschaftsrechtlicher Haftungsgrundsätze ein. Die weitreichende Prägung der Geschäftsführung durch insolvenzrechtliche Prüfungen entfällt. Dies ist sicher zu begrüßen, hätte aber auch zu naheliegenden Streichungen bei den Zugangshürden Anlass gegeben. Der im Grundkonzept des StaRUG verfolgte Geltungsanspruch insolvenzrechtlicher Prinzipien wird aber so zumindest an einer Stelle aufgeben. Es ist aber auch insgesamt kaum nachvollziehbar, warum insolvenzrechtliche Prinzipien nicht erst ab Insolvenzreife, sondern bereits bis zu zwei Jahre davor das Handeln der Beteiligten lenken sollen. Als dogmatische Grundlage taugt dieses Konzept wenig. Das Insolvenzrecht sollte diesen Regelungsbereich dem vertragsrechtlich geprägten Restrukturierungsrecht überlassen.

Die in der Begründung des StaRUG verfolgte dogmatische Fehldeutung begünstigt dann auch Irrwege des Gesetzgebers. So braucht es ohne eine Insolvenz eben keines kollektiv wirkenden Instrumentenkastens (kein common pool Problem), sodass die Verfahrenshilfen in Restrukturierungen auch keinen „quasi-kollektiven“ Charakter erhalten dürften. Das StaRUG zieht diese Grenze leider nicht, sodass es kaum verwundert, dass ein neuer § 93 nun für Fälle, in denen ein StaRUG-Verfahren aussieht wie ein Insolvenzverfahren, da es „gesamtverfahrensartige Züge“ aufweist, die Einsetzung eines „Gläubigerbeirats“ vorsieht, der dann wie ein Gläubigerausschuss agieren soll und insbesondere auch Gewerkschaftsvertreter einbezieht. An dieser Stelle besteht die Gefahr, dass ein Verfahren, das in der Öffentlichkeit vielleicht nicht mehr vom Insolvenzverfahren zu unterscheiden ist, bald auch die indirekten Kosten eines solchen Verfahrens erzeugt.

Zu bedauern ist, dass es nicht mehr gelang, Regelungen zur internationalen Zuständigkeit bei nicht-öffentlichen Verfahren zu ergänzen sowie die Sonder-Restrukturierungsbeauftragten zu entfernen oder aber näher zu definieren. Hier wird man auf Nachbesserungen nach einer Evaluierung hoffen müssen.

Immerhin findet sich im StaRUG weiter die Konzentration der Restrukturierungsgerichte und auch die Modularität und Flexibilität der Hilfen bleibt unangetastet. In der Summe findet sich im StaRUG damit immer noch ein moderner und flexibler Instrumentenkasten zur Begleitung und Finalisierung von Restrukturierungen außerhalb der Insolvenz. Deutschland macht hier einen bedeutenden Schritt hin zu einem modernen Restrukturierungsstandort. Nun bedarf es erster „Leuchtturm-Verfahren“, um die Funktionalität des neuen Rechts und der mit ihm umgehenden deutschen Institutionen zu verdeutlichen und so auch im Ausland zu signalisieren, dass wir in Deutschland nicht nur übertragende Sanierungen und Liquidationen in der Insolvenz können (World Bank Ranking), sondern auch Restrukturierungen.

2. Änderungen in der InsO-Modernisierung

Die Änderungen, die der Rechtsausschuss gegenüber dem Regierungsentwurf im Bereich der Insolvenzordnung vornimmt, fallen ebenfalls eher punktuell, aber erheblich aus.

Hervorzuheben ist die Aufweichung der Vorgaben zur Gerichtskonzentration in § 2 InsO. Hier hat sich der Bundesrat durchgesetzt. Bedeutsam ist auch die Erstreckung des § 55 Abs. 4 InsO auf die vorläufige Eigenverwaltung, die danach nicht mehr von steuerlichen Vorteilen profitiert. Den Sondersachwalter wird es in der InsO-Eigenverwaltung – im Gegensatz zu StaRUG-Verfahren – nicht geben.

3. Der Corona-Schutzschirm

Einen Schritt in die richtige Richtung macht der Rechtsausschuss auch in Sachen Corona-Schutzschirm. Hier wird Corona-Betroffenen nun die Möglichkeit eröffnet, über die bislang geltenden Regeln der InsO-Eigenverwaltung in ein Schutzschirmverfahren oder auch vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren zu gehen, selbst wenn bereits Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Damit steht den Betroffenen nun ein Schutzschirm in Eigenverwaltung offen. Was weiter fehlt, ist jede Regelung dazu, wie die Betroffenen im Verfahren weiter vorgehen sollen. So gilt etwa die Dreimonatsfrist des § 270b InsO. Vorzugswürdig dürfte insofern weiter eine passgenaue Regelung für Pandemiebetroffene sein – ein zeitlich begrenztes Pandemierecht, das mehr ist als nur das Zurverfügungstellen des Insolvenzrechts. Vorschläge hierzu finden sich auch in meiner Stellungnahme im Rechtsausschuss.